«Die Schlaumeier stehen 1 Stunde» Drängelnde Touristen fordern Tessiner Postauto-Chauffeure

jke

29.7.2024

Tourist*innen geniessen das sommerliche Wetter in der Verzasca bei Lavertezzo TI, im Bild die historische Brücke von Lavertezzo.
Tourist*innen geniessen das sommerliche Wetter in der Verzasca bei Lavertezzo TI, im Bild die historische Brücke von Lavertezzo.
Bild: Keystone/Ti-Press/Pablo Gianinazzi

Während der Corona-Pandemie erlebte das Tessiner Verzascatal einen massiven Anstieg an Tourist*innen – und auch heute ist die Region äusserst beliebt. Eine Herausforderung für die Busfahrer*innen.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • 50'000 Gäste nutzen im Sommer die Postautos im Tessiner Verzascatal.
  • Tourist*innen drängen oft so stark ins Postauto, dass Busfahrer*innen die Türen kaum schliessen können.
  • Seit der Corona-Pandemie sind auch die Zahl der Camper und die daraus resultierenden Herausforderungen stark gestiegen.

Nicht zuletzt wegen Influencer*innen erlebt das Verzascatal im Tessin mit seinen grau-grünen Gewässern einen wahren Touristenboom und zieht zahlreiche Besucher*innen an.

In den Sommermonaten nutzen gegen 50'000 Gäste die Postauto-Verbindungen ins Tessiner Tal – eine erhebliche Herausforderung für die Fahrerinnen und Fahrer.

Diese hohe Frequenz bedeutet für Chauffeur*innen nicht nur erhöhte Aufmerksamkeit und Stress, sondern auch logistische Schwierigkeiten, um den Andrang zu bewältigen.

Giuseppe Basilico, ein 48-jähriger Postautofahrer, erlebt täglich, wie Tourist*innen sich in sein Postauto drängen, sodass er manchmal kaum die Türen schliessen kann.

In solchen Momenten erinnern sie ihn an Geier, erzählt er der SRF-Nachrichtensendung «Echo der Zeit». «Kaum habe ich parkiert, wollen sie schon einsteigen.»

«Jetzt müssen die Schlaumeier eine Stunde stehen»

Während der Corona-Pandemie fuhren die Postautos hintereinander in Vierer- oder Fünfergruppen das enge Tessiner Tal hoch, nun fahren sie in Dreierbesetzung.

Ein vielleicht volles Postauto passiert die alte Brücke Ponte di Salti, in der Nähe von Lavertezzo im Tessiner Verzascatal. (Archivbild)
Ein vielleicht volles Postauto passiert die alte Brücke Ponte di Salti, in der Nähe von Lavertezzo im Tessiner Verzascatal. (Archivbild)
Bild: Keystone/Gaetan Bally

Obwohl Giuseppe Basilico mit den Händen «Nein» signalisiert, steigen an der nächsten Haltestelle rund ein Dutzend Gäste in seinen vollen Bus ein, statt den folgenden abzuwarten.

«Die Schlaumeier sind bei mir eingestiegen. Sie haben gedacht, es gibt hier noch Platz. Jetzt müssen sie die einstündige Fahrt stehen», informiert er einen Kollegen und öffnet für den Rest der Fahrt keine weiteren Türen mehr.

Basilico schätzt, dass 90 Prozent der Tourist*innen gut erzogen sind. Doch es bringt ihn auf die Palme, wenn Bedürftigen wie Schwangeren und älteren Menschen kein Platz angeboten wird.

Über Funk bleibt er in Kontakt mit den anderen beiden Fahrern und warnt vor Gefahren, wie etwa einem Lieferwagen, der zu schnell fährt.

Camper verschärfen die Situation

Diese Kommunikation sei für die Fahrer*innen fundamental wichtig und diene als Frühwarnsystem. «Die Strasse ist sehr kurvig und manchmal eng.»

Seit der Corona-Pandemie hat nicht nur die Zahl der Tourist*innen zugenommen, sondern auch die der Camper.

Im Verzascatal wurden viele neue Stellplätze geschaffen, um das Wildcampen in den Griff zu bekommen. Trotz dieser Infrastruktur stellen die vielen Camper, die am Wochenende neben den Töff- und Velofahrer*innen auf der Talstrasse unterwegs sind, eine Herausforderung dar.

«Meine Kollegen mussten schon mit dem Postauto extra die Wand streifen und einen Blechschaden in Kauf nehmen, um den Camper nicht zu berühren», sagt Giuseppe Basilico in der SRF-Nachrichtensendung «Echo der Zeit».

Schweizerdeutsch lernen statt sich ärgern

Viele Tourist*innen bringen ihr eigenes Picknick mit und halten sich nur eine halbe Stunde im Tal auf, um Fotos zu machen, was die Restaurant- und Grottobesitzer*innen frustriert.

Weiter erzählt Basilico, dass die meisten Tourist*innen kein Italienisch sprechen. Das erschwere die Kommunikation. Der gebürtige Italiener verständigt sich dann auf Englisch oder mithilfe des Handys.

Anders als andere Chauffeur*innen ärgert er sich nicht darüber, sondern sieht es als Gelegenheit, ein wenig Schweizerdeutsch zu lernen.

Giuseppe Basilico hat starke Nerven und ist stolz auf seine Arbeit. Besonders sinnstiftend erlebt er sie aber, wenn er mit den Talbewohner*innen kommunizieren kann.

Gerade ältere Menschen plaudern gern mit ihm, um sich ein wenig die Einsamkeit zu vertreiben, erzählt er.


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