KolumneLondon wuchert und wuchert, bis es ein Nationalpark ist
Von Caroline Fink, London
14.8.2022
Eine Initiative will die britische Hauptstadt zu einem Nationalpark erheben. Dass dies kein Scherz ist, merkte die Kolumnistin bei einem Besuch: Noch nie hatte sie so einen Heuschnupfen wie in London.
Von Caroline Fink, London
14.08.2022, 13:17
Von Caroline Fink, London
Jüngst besuchte ich eine Freundin in London. Gemeinsam wanderten wir vorbei an viktorianischen Backsteinhäusern, gingen am Wasser des Regent's Canal entlang und suchten bei Greenwich den Nullmeridian.
Dabei begleitete mich eines auf Schritt auf Tritt: Heuschnupfen.
Ich nieste, schnäuzte und rieb mir die Augen. Was mir normalerweise in blühenden Wiesen passiert. Doch in einer Millionenmetropole?
Mit einem Mal jedoch fiel mir ein, was ich vor Kurzem gelesen hatte: dass in London vor drei Jahren eine Bewegung entstanden ist, die sich «London National Park City» nennt.
Weder Witz noch provokante Geste
Eine Bewegung, deren Vertreter die Stadt ökologisch so grün gestalten wollen, dass diese künftig als Nationalpark qualifiziert.
Erst dachte ich mir, dies sei ein Scherz. Oder eine Provokation, um auf die weltweite Biodiversitätskrise aufmerksam zu machen. Doch «London National Park City» ist weder Witz noch provokante Geste. Die Leute hinter dem Projekt meinen es ernst.
Zur Autorin: Caroline Fink
Bild: Gaudenz Danuser
Caroline Fink ist Fotografin, Autorin und Filmemacherin. Selbst Bergsteigerin mit einem Flair für Reisen abseits üblicher Pfade, greift sie in ihren Arbeiten Themen auf, die ihr während Streifzügen in den Alpen, den Bergen der Welt und auf Reisen begegnen. Denn von einem ist sie überzeugt: Nur was einen selbst bewegt, hat die Kraft, andere zu inspirieren.
Den Beweis für Londons urbane Wildnis sah ich bei meinem Besuch mit eigenen Augen: Vorgärten, Hecken, Pärke, Alleen – bereits jetzt wuchern an allen Ecken und Enden der Stadt Sträucher, Bäume, Blumen und Kraut.
Ich nieste und staunte.
Wobei ja kaum überrascht, dass just eine englische Grossstadt so verwildert wirkt, als wäre sie in einen Dornröschenschlaf gefallen.
Sind es doch die «Englischen Gärten», die seit Jahrhunderten der Natur huldigen: Im Gegensatz zu französischen Gärten, in denen Hecken und Beete in geometrisch akkurater Form gedeihen, blieb in England die sich selbst gestaltende Natur immer Vorbild.
Städte sollten künftig in der Natur stehen
Was auch ökologisch Sinn ergibt. Kam doch dieser Tage eine Studie in Zürich zum Schluss, dass selbst kleinste Grünflächen – sofern ökologisch wertvoll – Lebensraum für Tiere und Pflanzen bieten und damit die Biodiversität fördern.
Ja, manche Fachleute sagen gar, wir sollten radikal umdenken: Städte sollten künftig in der Natur stehen, anstatt Natur nur punktuell in Städten zuzulassen.
Denn gerade urbane Räume böten die Chance, nicht bloss am Boden, sondern auch in der Vertikalen begrünt zu werden. Was die Stadt Zürich beherzigte und vor wenigen Wochen an der Südfassade des Triemlispitals 4600 Pflanzen aus 100 Arten setzte.
Doch bis Zürich so überwuchert wie London ist, dürfte es ein weiter Weg sein; und ein noch weiterer, bis wir in urbanen Wäldern wohnen. Immerhin eines schafft London schon ziemlich gut: das Bild von Natur in unseren Köpfen zu verändern.
Denn ökologisch wertvolle Grünflächen wachsen eben nicht in mathematisch berechneten Gärten. Sondern mal verschlungen und dicht, mal blühend und von Licht durchflutet, mal mit Dornen und Nesseln bewehrt.
Egal in welcher Form, ist Natur dabei vor allem eines: archaisch schön. Zeit also, der sich selbst erschaffenden Anmut des vollkommenen Chaos Raum zu geben. In Grossbritannien, in der Schweiz und überall.
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