Experten wagen Ausblick Fliegen wird komplizierter und erst mal teurer

Von Andreas Fischer

11.5.2021

Bis sich die Luftfahrtbranche nach der Corona-Krise wieder gefangen hat, müssen Schweizer Reisende teilweise höhere Ticketpreise in Kauf nehmen und wohl auch öfter umsteigen.
Bis sich die Luftfahrtbranche nach der Corona-Krise wieder gefangen hat, müssen Schweizer Reisende teilweise höhere Ticketpreise in Kauf nehmen und wohl auch öfter umsteigen.
KEYSTONE / Archiv

Die Luftfahrtbranche will endlich durchstarten. Einfach wird das aber nicht. Zwei Experten erklären, welche Flugtickets nach Corona teurer werden und was die Verkleinerung der Swiss-Flotte für Schweizer Reisende bedeutet.

Von Andreas Fischer

Fast überall auf der Welt macht sich Hoffnung breit, dass die Corona-Pandemie ein Ende nimmt und sich das Leben normalisiert. Allerdings wird die Normalität zunächst anders aussehen als vor dem Virus. In der Luftfahrt etwa werden die Auswirkungen der Krise noch ein paar Jahre zu spüren sein.

Die Corona-Pandemie hat die Branche hart getroffen. Die meisten Flieger bleiben seit mehr als einem Jahr am Boden, die Swiss muss trotz staatlicher Kredite und Bürgschaften rigoros sparen, wie die Airline vorige Woche verkündet hat. Das hat auch Auswirkungen auf Herrn und Frau Schweizer, die sich auf einen ausgedünnten Flugplan und teilweise höhere Ticketpreise einstellen müssen.

«Gigantische Preisschübe in die eine oder andere Richtung sind bislang nicht zu beobachten», sagt Stefan Eiselin, Gründer und Chefredakteur des Luftfahrt-Portals «Aerotelegraph», im Gespräch mit «blue News» zwar. Gleichwohl würden höhere Preise bei Ferienflügen den Fluggesellschaften sicher helfen.

Der Grund dafür: Der Geschäftsreiseverkehr ist stark zurückgegangen. «Wir haben in der Forschung festgestellt, dass man in diesem Segment in Europa mit etwa 30 Prozent weniger Nachfrage rechnen muss. Bei Interkontinentalflügen erwarten wir einen Rückgang von etwa 20 Prozent», erklärt Dr. Andreas Wittmer von der Universität St. Gallen auf Nachfrage von «blue News».

Höhere Preise, aber nicht für immer

Für die Airlines bedeutet das weniger Ertrag pro Flug. Dass sich die Preise für Freizeitreisende erhöhen werden, hält Wittmer daher nicht für ausgeschlossen. Allerdings: «Ferienflüge in der Hochsaison werden jetzt schon mit einem hohen Preis angeboten und sich nicht gross ändern.»

Anders sieht das bei Flügen an typische Business-Destinationen aus, etwa New York: «Vor der Krise waren auf dieser Strecke sehr viele Geschäftsreisende auf einem Flug. Diese Reisenden zahlen überdurchschnittliche Ticketpreise: Weil sie spät buchen, oder weil sie Businessclass fliegen. Wenn es hier einen Rückgang gibt, betrifft das natürlich den Gesamterlös eines Fluges. Die Airlines haben gar keine andere Wahl als die Kosten, die nicht mehr durch die höherpreisigen Businesstickets gedeckt werden, auf alle anderen Passagiere oder auf Fracht im Flugzeugbauch umzulegen.»



Das habe in einem preiselastischen Markt Auswirkungen: Die Nachfrage wäre zwar da, aber es könnten sich weniger Menschen die teureren Flüge leisten. Wittmer glaubt allerdings nicht, dass dies langfristig, sondern eher kurz- und mittelfristig zu beobachten sein wird.

Als Beispiel führt der Aviatik-Experte die CO2-Abgabe an, die Deutschland vor einigen Jahren eingeführt hat: «Weil die Tickets teurer wurden, schwächte sich das Nachfragewachstum zunächst etwa ab. Binnen eines Jahres erholte sich das Wachstum wieder, und es ging normal weiter.»

Airlines unter Kostendruck

«Wo die Preise für einzelne Destinationen zu liegen kommen, hängt immer von Angebot und Nachfrage ab», sagt Eiselin. Schliesslich werden Preise nicht im luftleeren Raum festgelegt. «Vermutlich wird es auf einigen Strecken in der Tat höhere Preise geben, wenn Airlines wenig Konkurrenz haben. Auf der anderen Seite werden aber weiterhin niedrige Preise vorherrschen, vor allem bei den Strecken nach Nordamerika.»

In Europa werde es ähnliche Entwicklungen geben. «Ziele wie Berlin oder London werden günstig bleiben. Wenn Sie nach Luxemburg, Göteborg oder Vilnius wollen, wird es wohl teuer bleiben oder werden», glaubt Eiselin.



Dass die Airlines rigoros sparen, indem sie Personal abbauen, Flotten verkleinern, Flugpläne zusammenstreichen, geschieht nicht nur aus akuten Kostengründen, «sondern anhand einer Nachfrageprognose für die kommenden Jahre», wie Wittmer erklärt. «Das kann bedeuten, dass sie zum Beispiel statt mehrmals nur noch einmal pro Tag nach New York fliegen.» Airlines lege also Flüge zusammen, um den Geschäftsreiseanteil konstant zu halten und die Flüge profitabel zu operieren.

Ohne Drehscheibe Zürich keine Swiss

Dass die Schweizer Airline unter anderem fünf Langstreckenflieger stilllegen will, habe weitreichende Auswirkungen auf die Kunden, wie Eiselin erklärt. «Die Swiss wird einige Ziele nicht mehr selbst bedienen, das heisst, man muss dann ab Zürich wohl in Frankfurt umsteigen. Zudem wird es für einige Ziele keine täglichen Flüge mehr geben, sondern nur noch beispielsweise drei pro Woche. Und dadurch braucht es auch weniger Zubringerflüge aus Europa. Der Wegfall auf der Langstrecke spiegelt sich dann also auch auf der Kurzstrecke.»

Das Massnahmepaket bekomme auch der Flughafen Zürich zu spüren. «Die Lufthansa-Gruppe ist der grösste Kunde: Der Sparkurs schlägt sich auf den Umsatz des Flughafens nieder. Kommt hinzu, dass auch andere Airlines Kapazitäten abbauen», sagt Eiselin.



Die Stellung als internationales Drehkreuz sei allerdings zurzeit nicht in Gefahr, auch wenn die Lufthansa-Gruppe, zu der die Swiss gehört, mit München und Frankfurt zwei Hubs in relativer Nähe hat. «Würde die Lufthansa-Gruppe alle Langstreckenflüge in München oder Frankfurt bündeln, dann hätte Zürich faktisch keine interkontinentale Direktanbindung mehr. Das wäre ein ziemliches Fiasko für den Zürcher Flughafen und ein grosser volkswirtschaftlicher Schaden», sagt Andreas Wittmer. «Die Politik würde wohl mitreden wollen: Der Bund hat schliesslich für Kredite gebürgt. Wenn wir keine Drehscheibe Zürich haben, dann haben wir auch keine erfolgreiche Swiss wie wir sie kennen.»

Beim zweitgrössten Schweizer Flughafen Genf würden sich die Auswirkungen der Pandemie ohnehin in Grenzen halten, glaubt Eiselin. «Der Flughafen Genf wird voraussichtlich weniger getroffen sein, weil er vornehmlich auf Urlaubsverkehr ausgerichtet ist, der sich laut Prognosen viel schneller erholt. Die Menschen haben ein grosses Nachholbedürfnis: Jeder möchte mal wieder raus, ans Meer, in die Sonne.»

Weniger Ziele, häufiger umsteigen

Allerdings müssten sich Reisende laut Eiselin darauf einstellen, dass es in Zukunft weniger Punkt-zu-Punkt-Verbindungen gibt. «Und zwar nicht nur bei Fernzielen, sondern auch in Europa. Zuerst werden sekundäre Ziele wegfallen, die schon bisher nicht oder nur knapp rentiert haben. Als Schweizer Reisende werden wir sicher mehr umsteigen müssen als vor der Krise.»

Wittmer, der die Branche global betrachtet, hingegen ist sich in diesem Punkt noch nicht sicher: «Da gehen die Meinungen auseinander. Wenn man kleinere Flugzeuge einsetzen würde, könnte man schon mit relativ wenig Passagieren den Break-even erreichen und auch sekundäre, also kleinere Destinationen direkt anfliegen.»



Allerdings gibt es eine Einschränkung: Flugzeuge wie der Airbus A321 Long Range oder die Boeing 737 Max Long Range haben eine Flugzeit von maximal etwa acht Stunden. «Das», so Wittmer, «reicht von Europa aus gerade für die Ostküste der USA, vielleicht noch Chicago. Es geht auch nicht nach Asien, sondern nach Nordafrika oder in den Mittleren Osten.»

Vier harte Jahre

Einig sind sich Experten darin, dass sich die Luftfahrtbranche in wenigen Jahren wieder komplett erholt. Wittmer glaubt, dass die Branche bis im Jahr 2025 wieder auf einem ähnlichen Niveau operieren könnte wie 2019. Der Wissenschaftler prognostiziert nach extrem tiefen Preisen zum Wiedereinstieg zwar kurzfristig einen Anstieg: «Irgendwann aber wird sich das Geschäftsreisesegment durch neue internationale Reisenachfrage wieder erholen.»

Man dürfe nicht vergessen: «Die Welt ist nicht zu Ende gebaut. Die Weltbevölkerung wächst, es gibt immer mehr Arbeitsplätze, es werden neue Unternehmen gegründet. Wer jetzt am Markt ist, fliegt vielleicht 20 Prozent weniger, aber neue Unternehmen werden auch fliegen. Nicht nur in der Schweiz, sondern vor allem auch in Schwellenländern. Die Welt ist immer noch globalisiert.»

Eiselin verweist auf frühere Krisen der Zivilluftfahrt, «zum Beispiel nach 9/11 oder während der Finanzkrise 2008. Damals ging man vom gleichen Szenario aus, nämlich, dass die Geschäftsreisen langfristig einbrechen würden. Irgendwie kam die Branche aber immer zurück – und zwar stärker».