Entlassungen bei Swiss «Ich komme mir vor wie im Casting»

Von Andreas Fischer

7.5.2021

Weil die Flugzeuge bei der Swiss bei weitem nicht mehr so voll sind wie vor der Coronakrise, muss die Airline rigoros sparen. Unter anderen werden bis zu 780 Mitarbeitende entlassen. (Symbolbild)
Weil die Flugzeuge bei der Swiss bei weitem nicht mehr so voll sind wie vor der Coronakrise, muss die Airline rigoros sparen. Unter anderen werden bis zu 780 Mitarbeitende entlassen. (Symbolbild)
KEYSTONE

Die Swiss streicht Hunderte Stellen. Wirtschaftsvertreter finden das vernünftig, Gewerkschaften versuchen, den Schaden abzufedern. Aber was sagen eigentlich die Betroffenen?

Von Andreas Fischer

Überraschend kam die Ankündigung gestern nicht: Die Swiss will bis zu 780 Mitarbeitenden betrieblich kündigen. Auch der Flottenbestand wird reduziert. Durch den starken Abbau bei Personal und Flugzeugflotte will die Swiss insgesamt rund 500 Millionen Franken einsparen.

Eine Massnahme, die sich ankündigt hat: «Zum einen ist allen klar, dass die Luftfahrt von der Corona-Pandemie besonders stark betroffen ist. Zum anderen hat das Swiss-Management in den letzten Monaten explizit schon angedeutet, dass eine Redimensionierung wohl unumgänglich wird», kommentierte Andreas Schürer, Geschäftsführer der wirtschaftsnahen Interessenvertretung Komitee weltoffenes Zürich, auf Anfrage von «blue News».



Auch bei der Kabinenpersonal-Gewerkschaft Kapers war man ob der Entwicklung des vergangenen Jahres nicht überrascht, wie Vizepräsident David Martinez zu «blue News» sagt: «Wir sind natürlich erschüttert und enttäuscht, dass es so weit kommen muss.»

Verunsicherte Belegschaft

Anders sieht es bei der Belegschaft aus. «blue News» erreicht einige Mitarbeitende am Telefon, zur aktuellen Situation will sich kaum jemand äussern. Martinez spricht von einer gewissen Angstkultur: «Es will jetzt natürlich niemand negativ auffallen.»

Einer, der reden will, ist Robin K.*: Seinen richtigen Namen will der Flugbegleiter nicht lesen. Seit vier Jahren arbeitet er bei der Swiss.

«Vor Covid war die Arbeit anstrengend, herausfordernd, hat aber sehr viel Spass bereitet. Jeder Tag war eine Challenge.» Der Job habe viele schöne Seiten, sagt Robin K. Vermissen würde er aber nicht nur die Sonnenbäder in Dubai oder «ein gutes Pad Thai» in Bangkok. Vermissen würde er vor allem das familiäre Gefühl.

Die Swiss sei vor Corona ein sehr profitables und wachsendes Unternehmen gewesen: Die Pandemie habe die Airline in die grösste Krise ihrer Geschichte gestürzt, sagt Gewerkschafter Martinez. Er spricht im Zusammenhang mit den gestern verkündeten Massnahmen von einer «Corona-bedingten Restrukturierung».

Auch für das Komitee weltoffenes Zürich ist die Krise «eindeutig auf den exogenen Faktor Corona-Pandemie und nicht auf Managementfehler zurückzuführen – das ist auch unbestritten. Erschwerend kommt dazu, dass in Europa der innerkontinentale Verkehr nahezu zum Erliegen kam – wegen völlig unterschiedlicher und strikter Reisebeschränkungen».

«Vor der Zahl bin ich erschrocken»

Mit der Pandemie wurde vieles zurückgefahren, berichtet Robin K.: «Die meiste Zeit sitzt man zu Hause und hofft auf einen Einsatz und dass kein Flug aus dem Dienstplan gecancelt wird.» Nicht aus finanziellen Gründen, denn angestellt sind die Flugbegleiter bei der Swiss mit einem fixen Salär. «Natürlich sind wir nicht die Grossverdiener in diesem Beruf.»

Zuletzt hatte sich Robin K. wieder mehr Optimismus erlaubt: «Die Swiss hat ihren Teil zur Hoffnung beigetragen. Es hiess immer, dass man die Krise übersteht, ohne dass Leute entlassen werden müssen. Wir wurden, dass muss man ganz ehrlich sagen, von der Swiss immer gut und ehrlich informiert», sagt der Flugbegleiter. So habe es monatliche Videocalls für die Mitarbeitenden gegeben, in denen «wir auch Statistiken gesehen haben. Die haben für mich anfangs auch nicht so schlimm ausgesehen».

Doch je länger die Pandemie dauerte, umso skeptischer wurde Robin K. «Ich habe mich dann schon gefragt, in welche Richtung das gehen wird.» Irgendwann war dann auch dem Flugbegleiter klar, dass die Swiss nicht drumherum kommen würde, Leute zu entlassen: «Vor der Zahl bin ich dann trotzdem erschrocken.»

Schrumpfkurs für die Zukunft

«Zentral bleibt, dass sich die Swiss treu bleibt, ihre Grund-DNA und ihre Grundstrategie bewahrt und so stark bleibt, dass sie die Krise erstens gesund übersteht und zweitens in besseren Zeiten auch wieder wachsen kann», hält Andreas Schürer den Stellenabbau für wichtig, damit die Swiss überhaupt noch in die Zukunft blicken kann.

Die Gewerkschaft will nun im Zuge des Konsultationsverfahrens den Schaden mindern. Dazu gehört unter anderem, dass man über freiwillige Massnahmen Lösungen findet, um die Anzahl der Kündigungen zu minimieren. «Im Moment weiss noch niemand, wer betroffen sein wird», erklärt David Martinez.

Gemäss Gesamtarbeitsvertrag habe ein Personalabbau unter anderem nach dem Dienstalter zu erfolgen. Konkret: Wer am kürzesten dabei ist, muss als Erstes gehen. Aber auch die soziale Situation spiele eine Rolle: «Dabei handelt es sich um Härtefälle. Wenn jemand über 50 Jahre alt ist oder alleinerziehend, muss das berücksichtigt werden.» Wem wirklich gekündigt wird, stehe aber erst Anfang Juni fest.

«Am Ende entscheiden die nackten Zahlen»

Was Robin K. jetzt am meisten beschäftigt, ist die Unsicherheit: «Es dauert ja noch einen Monat, bis klar ist, wer wirklich gehen muss. Vielleicht komme ich knapp noch durch, aber die Garantie gibt mir hier keiner. Am Ende entscheiden die nackten Zahlen. Bei den Entlassungen geht es nach Seniorität: Da ist man dann einfach eine Nummer, und wenn die nicht mehr passt, dann ist man weg.» Er komme sich «wie im Casting vor: Entweder es reicht für die nächste Runde oder nicht».

«Ich muss ehrlich sagen: Ich habe Angst. Ich liebe meinen Job, ich mache ihn wirklich mit Leidenschaft.» Das wird Robin K. auch weiterhin tun. Nur mit halber Kraft arbeiten, kommt für ihn nicht infrage, auch wenn die Angst um den Job mitfliege: «Klar ist die Situation zermürbend: Die Leidenschaft für den Beruf ist dadurch nicht erloschen. Wenn ich einen Job mache, dann mache ich ihn richtig. So, als würde ich noch Jahre dabei sein.»

Trotzdem habe er sich schon nach Alternativen umgeschaut, «es bleibt mir ja nichts anderes übrig, als einen Plan B in der Tasche zu haben». Konkret entschieden habe er allerdings noch nicht, ob er einen neuen Weg einschlagen möchte.

Rückkehr ungewiss

Laut David Martinez stünde für Robin K. im Falle einer Kündigung auf jeden Fall eine Hintertür offen. Was mit den Betroffenen geschehe, denen gekündigt wird, werde zwar noch im Detail verhandelt. «Was gekündigte Flugbegleiter aber sicher haben, ist ein dreijähriges Wiedereintrittsrecht im selben Beruf», sagt Martinez. «Falls die Swiss in den nächsten drei Jahren also wieder einen Bedarf an Flugbegleitern hätte, dann würden sie ohne Assessment eingestellt werden.»

Ob Robin K. von diesem Recht Gebrauch machen würde, weiss er noch nicht. Das hänge vor allem davon ab, wie lange es dauert: «Angenommen, ich baue mir in den nächsten Jahren woanders etwas auf, dann wäre das eine sehr schwierige Entscheidung. Und sind wir ehrlich: Die Luftfahrtbranche macht immer wieder Krisen durch. Möchte ich das in Zukunft wieder erleben müssen?»

* Name geändert und der Redaktion bekannt.