Cüpli? Nein, danke Eine Kreuzfahrt ganz für Heavy-Metal-Fans

Von Gil Bieler

3.12.2019

Laut, haarig und trinkfest: Fans von Heavy Metal gleichen eher Piraten als Kreuzfahrtgästen. Mit dem Musikfestival 70'000 Tons of Metal entern sie dennoch einen Luxusdampfer. Und wer hat’s erfunden? Ein Schweizer.

Die Gegensätze könnten nicht grösser sein. Auf der einen Seite die Welt der Kreuzfahrtschiffe: Prunk, gediegenes Ambiente, edle Roben. Auf der anderen Seite: Musikfestivals für Metal-Fans. Lärm, Gegröle, zerschlissene Klamotten und Dosenbier.

Andy Piller hat diese höchst unterschiedlichen Welten dennoch zusammengeführt: Er ist Gründer von 70'000 Tons of Metal, einem jährlich auf einem Kreuzfahrtschiff stattfindenden Musikfestival. An Bord der imposanten «Independence of the Seas» treten Bands mit Namen wie Atheist, Terrorizer und Grave Digger auf.

Wie kam er überhaupt auf diese schräge Kombination? Na beim Bier, wie Piller bei einem Treffen am Zürcher Hauptbahnhof erklärt.

Wie die Bieridee Gestalt annahm

«Vom Balkon meiner damaligen Wohnung in Vancouver sah ich genau auf den Pier», erklärt der Weltenbummler mit Schweizer und deutschem Pass. An einem lauen Sommerabend mit Freunden – «und definitiv einem Bier zu viel» – habe er verkündet: «Wir sollten mal einen solchen Dampfer mieten und darauf ein Metal-Festival veranstalten.» Nie im Leben könne das gutgehen, hätten alle entgegnet, «das gibt noch Tote»! Doch ihn habe dieser Gedanke nicht mehr losgelassen.



Seine Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt. Im Januar wird das schwimmende Festival bereits zum zehnten Mal in See stechen. Die Reise führt von Fort Lauderdale, Florida, jeweils zu einem wechselnden Ziel in der Karibik und wieder retour. 2020 etwa geht’s ins mexikanische Cozumel. Gut 3'000 Musikfans und 60 Bands aus aller Welt werden an Bord erwartet. Im letzten Jahr waren 73 Nationalitäten vertreten. Piller spricht daher voller Stolz von den «Vereinten Nationen des Heavy Metal».

Die Cruise ist regelmässig ausverkauft, wogegen einige Konkurrenten im Laufe der Jahre die Segel streichen mussten. Hatte Piller ganz zu Beginn erwartet, dass sein Konzept so gut aufgehen würde? Er nippt am Kaffee. «Ich sage es mal so: Man investiert nicht Jahre seines Lebens in ein Projekt, wenn man nicht davon überzeugt ist.» Und manchmal seien «die gestörtesten Ideen am Ende die besten».

Kein x-beliebiges Schiff

Freilich brauchte es viel Überzeugungsarbeit und Klinkenputzen, um seine Vision auch Wirklichkeit werden zu lassen. Piller arbeitete einen Businessplan aus, wobei ihm zugutekam, dass er nach eigenen Angaben schon 15 Jahre als Tourmanager gearbeitet hatte. Die Musikbranche war ihm also vertraut. Von Kreuzfahrten dagegen habe er nichts verstanden. Er musste sich in das Thema einarbeiten – und eine Reederei finden, die ihm überhaupt ein Schiff vermieten wollte.

Einblicke des diesjährigen 70'000 Tons of Metal. 

Video: Youtube

Kein x-beliebiger Dampfer sollte es sein. Piller hatte klare Vorstellungen: Eine grosse Bühne unter freiem Himmel auf dem Pooldeck war ein Muss. Und im Theatersaal, der sich auf den meisten Luxusdampfern findet, wollte er die Stühle abmontieren. «Denn ein gestuhltes Metal-Konzert, das geht gar nicht.»

Böse Gestalten? Eher durstig

Zu den geschäftlichen Aspekten kam noch die Herausforderung, Vorurteile gegenüber Metal-Fans abzubauen: «Gerade in den USA haftet uns immer noch ein Stigma an», sagt Piller. Viele sähen in ihnen nur «tätowierte, böse Gestalten» und «langhaarige Bombenleger».

Mit Dokumentationen und Berichten über Musikfestivals habe er die Reederei-Verantwortlichen schliesslich davon überzeugen können, wie friedlich die Metal-Gemeinde sei. «Und am Ende wollen die ja auch Geschäfte machen.»



Nach dreieinhalb Jahren Vorarbeit ging im Januar 2011 die Festival-Premiere über die Bühne, noch im etwas kleineren Rahmen mit 2'000 Fans und rund 40 Bands.

Bloss hatte die Kreuzfahrt-Crew den Durst der neuen Klientel unterschätzt: «Noch bevor wir überhaupt den Hafen verlassen hatten, ging schon die erste Biersorte aus», erinnert sich Piller amüsiert. «Dabei hatte ich bei Treffen mit den Kreuzfahrt-Verantwortlichen noch extra betont: Es braucht nicht Champagner oder Wein, dafür genug Bier!» Beim Stopp in Cozumel habe dann «eine ganze Reihe von Corona-Trucks» für dringend benötigten Nachschub gesorgt.

Death Metal im Flumserhof

Piller kennt halt seine Pappenheimer: Er ist seit jungen Jahren ein Metalhead. Sein erstes Konzert habe er als Teenager in seiner damaligen Heimat Flums SG veranstaltet. Death Metal im Hotel Flumserhof! «Das war schon krass, zu sehen, wie plötzlich all diese langhaarigen Gestalten im Dorf auftauchten», sagt Piller.



Der Schüler war auf den Geschmack gekommen, weitere Konzerte im ganzen Land kamen dazu, von Basel über Bern bis ins Wallis. «In die Schule ging ich, um mich zu erholen.» Nicht von ungefähr habe er mehrmals «nicht ganz freiwillig» die Schule wechseln müssen.

Heute hat sich 70'000 Tons of Metal zu einem Vollzeitjob ausgewachsen. Gut ein Dutzend Mitarbeiter sind das ganze Jahr über mit der Organisation beschäftigt, und die Kreuzfahrt-Crew sei ganz angetan von den Metal-Fans: «Die meckern ja gar nie», höre er oft, sagt Piller. Ein Captain habe es einmal besonders schön auf den Punkt gebracht: «Das Metal-Volk hat ein einschüchterndes Äusseres, aber einen sehr soften Kern.»

Was ist mit Sex, Drugs und Rock’n’Roll?

Man merkt: Der Skipper ist es sich gewohnt, als Verteidiger seiner Szene zu reden. Nach Skandalen oder Exzessen der aufgetretenen Bands gefragt, hüllt sich Piller in Schweigen. Nur so viel: Er frage die Musiker jeweils: «Habt ihr schon ‹Miami Vice› gesehen?» Fort Lauderdale sei ja ein Vorort von Miami, und wegen der Zollkontrollen sei es nicht besonders ratsam, Drogen mitzubringen. «Aber klar, wenn wir in Jamaika angelegt haben, riecht es danach manchmal schon etwas verdächtig», erzählt Piller verschmitzt.



Ist das Abenteuer 70'000 Tons of Metal nach all den Jahren zur reinen Routine geworden? «Vieles natürlich schon», sagt Piller. Doch sei er jemand, der nie zufrieden sei, wolle immer noch dieses und jenes optimieren. So tüftle er schon an neuen Ideen für die nächsten Ausgaben.

Auch beschäftigt ihn die Kritik an der miesen Umweltbilanz von Kreuzfahrtschiffen, die in den letzten Jahren lauter geworden ist. Geplant sei etwa, dass Festivalbesucher künftig den CO2-Ausstoss direkt beim Buchen kompensieren können. Soll ja niemand sagen, schwarze Klamotten und grünes Gewissen gingen nicht zusammen.

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