Wattwandern Barfuss über den Meeresboden wandern – von Amrum nach Föhr

Nicole Jankowski, dpa

4.8.2019

Sie gehören zu einer Auszeit an der deutschen Nordseeküste einfach dazu: die Wattwanderungen. Doch nur von Amrum nach Föhr lässt sich zwischen zwei Inseln wandern.

Völlig losgelöst. So fühlt es sich an. Mitten im Watt liegen die Küsten der drei Nordseeinseln endlos weit entfernt: 3,5 Kilometer bis Sylt, vier Kilometer bis Föhr, drei Kilometer bis Amrum.

Auch nach 20 Jahren im Watt packt diese Freiheit den Amrumer Dark Blome. «Das hier ist eine der schönsten Ecken, die ich kenne», sagt der Wattführer, bevor er in den Sand zeichnet, wie Ebbe und Flut entstehen. Sonne, Erde, Mond – das Geheimnis der Gezeiten.

Fast 350 Tage im Jahr ist Blome im Unesco-Weltnaturerbe unterwegs. An diesem Morgen im Mai sind es neun Menschen, die mit ihm von der Ortsmitte in Norddorf auf Amrum bis nach Dunsum auf der Nachbarinsel Föhr laufen wollen. 14 Kilometer hat der 56-Jährige für die heutige Tour veranschlagt. Ein sportliches Programm. Statt auf der direkten Route Richtung Föhr will Blome die Gruppe in einem Schwenk über die Kormoraninsel führen, einer grossen Sandbank vor den Küsten der Inseln Amrum, Sylt und Föhr.

Jugendzentrum für Wurmkinder

Wer sich ins Watt begibt, sollte das nur mit einem kundigen Wattführer tun. Dieser kennt sich aus, weiss, wie Wetter, Ebbe und Flut den Weg beeinflussen, und kann einen gefahrlos von einer Insel zur anderen bringen.

Dark Blome nimmt es auch nach unzähligen Jahren im Watt genau. Kartenmaterial und Kompass hat er in seinem Rucksack verstaut. Und für den Fall der Fälle einen zusätzlichen Ersatzkompass dabei. Der Start der Führungen variiert je Zeitpunkt von Ebbe und Flut: Rund zwei Stunden vor Niedrigwasser startet die Wanderung.

Dass die spaghettiartigen Sandhäufchen von Wattwürmern stammen, ist für Nordseeküsten-Urlauber fast Allgemeinbildung. Warum sie am Anfang des Watts allerdings noch zart und klein sind, weiss der Wattführer. «Hier ist unser Jugendzentrum für die jungen Würmer», sagt er. Und weist den Weg Richtung «Seniorenheim».

Ein Kunstwerk in schlichten Farben

Bei jedem Schritt graben sich die Zehen in den feinen Sand. Doch nicht überall hat sich das Meer komplett zurückgezogen. Beim Gang durch den grossen Priel vor Amrum ist barfuss nicht genug. Als Priel wird ein Wasserlauf im Watt bezeichnet. Also ein kurzer Zwischenstopp zum Hochkrempeln der Hose. Wer sichergehen will, zieht sie einfach aus. Zwölf Grad Wassertemperatur sind weniger unangenehm als gedacht. Hineinplumpsen möchte trotzdem niemand.

Der Blick bleibt auf den Boden gerichtet. Jetzt kommen die Muschelbänke, warnt Blome. Verstreut liegen grosse und kleine Exemplare scharfkantiger Austern auf dem Boden. Der Meeresboden zeigt zugleich immer andere Wellenzeichnungen. Grosse Wellen, kleine Rillen, enge Rippel – ein natürliches Kunstwerk in reduzierten Farben.

Dass unter dieser anmutigen Oberfläche das pralle Leben steckt, stellt Dark Blome kurz darauf unter Beweis. Mit der Forke, die er am Rucksack trägt, gräbt er einen Wattwurm aus dem Sand – und was für einen. «Das ist ein ganz schöner Johnny, so einen grossen hatte ich noch nie», sagt Blome bewundernd.

Blomes Wattkenntnisse scheinen unerschöpflich. Doch die Flut kommt, die Zeit drängt. «Ich möchte euch bitten, mein Tempo beizubehalten», sagt der Wattführer und schreitet beherzt voran. Minutenlang hängt jeder Schritt für Schritt seinen Gedanken nach. Zaghaft bricht endlich die Sonne durch die graue Wolkenwand.

Da ist sie endlich, die Flut

An der Kormoraninsel wird die Gruppe wieder eins. Vorsichtig deutet Blome nach vorne und reicht sein Fernglas herum. Ein Baby-Seehund liegt nur wenige Meter entfernt auf dem trockenen Untergrund.

Da wissen die Wattwanderer noch nicht, dass sie das ganz grosse Schauspiel erst erwartet. In Sichtweite des grasigen Deichs in Dunsum auf Föhr lässt Blome die Gruppe verharren und blickt auf seine Uhr. «Um zehn nach eins müsste sie kommen», sagt er. Sie, das ist die Flut. Minute um Minute verstreicht – und dann geht es rasend schnell.

Eine weisse Linie schiebt sich immer näher heran, feines Rauschen begleitet sie. Dann ergiesst sich das Meerwasser über den Sandboden, auf dem die Gruppe steht, umspült nackte Füsse und Knöchel und fliesst weiter Richtung Ufer. Die Kraft der Gezeiten – hier wird sie hautnah erfahrbar für einen Moment. Ein Bus bringt die Gruppe anschliessend nach Wyk, mit der Fähre geht es später zurück auf die Nachbarinsel.

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