Autorin Sybil Schreiber über Harry «Wer aus Rache eine Biografie schreibt, sollte besser in eine Therapie»

Von Bruno Bötschi

24.1.2023

«Sie interessiert mich nicht, zu viel Schlammschlacht, wie es scheint»: Autorin Sybil Schreiber über Harrys Biografie «Spare».
«Sie interessiert mich nicht, zu viel Schlammschlacht, wie es scheint»: Autorin Sybil Schreiber über Harrys Biografie «Spare».
Bild: Kin Cheung/AP/dpa

Mit dem Vater starb auch ein Teil ihrer Geschichte: Autorin Sybil Schreiber bedauert, dass sie nicht festhielt, was er über sein Leben erzählte. Ein Gespräch über die Faszination der Erinnerung, die Biografie von Prinz Harry und die Gefahr von Rachefeldzügen.

Von Bruno Bötschi

Sybil Schreiber, nachdem das Buch «Spare» von Prinz Harry vergangene Woche erschienen ist, ist das Thema «Biografie schreiben» aktuell in aller Munde. Warum sollte ein Mensch eine Biografie schreiben?

Wer sich erinnert, lebt zweimal, sagte schon die Schriftstellerin Franca Magnani. Ich sehe das auch so.

Dass nicht nur bekannte Persönlichkeiten ihre Biografie schreiben, liegt schon länger im Trend. Wie kommt’s?

Kritische Stimmen sagen, es gehöre zur zeitgeistigen Nabelschau. Vielleicht hat auch jemand das Bedürfnis, seine Vergangenheit anders erscheinen zu lassen, als sie war. Etwas glamouröser oder bedeutsamer, zum Beispiel. Für Menschen mit Traumata kann es etwas Heilsames, Versöhnliches sein, aus Distanz noch einmal durch Schicksalsschläge zu gehen.

Viele entdecken einfach die Freude am Schreiben und es ist das Naheliegendste, über das zu schreiben, was man besten kennt. Wiederum andere wollen eine Welt, die es nicht mehr gibt, für ihre Kindeskinder erlebbar machen. Es gibt viele Gründe.

Zur Person:  Sybil Schreiber
Bild: Privat

Sybil Schreiber wuchs in München auf, besuchte die Schauspielschule in New York, machte eine Ausbildung als Modedesignerin und arbeitete als Redaktorin bei verschiedenen Schweizer Magazinen. Gemeinsam mit ihrem Mann Steven Schneider gab Sybil Schreiber über zehn Jahre lang biografische Schreibkurse. Dabei sind unzählige Lebensgeschichten entstanden, darunter auch ein Bestseller. Das Paar schreibt zudem für andere Menschen Biografien.

Sie haben zusammen mit Ihrem Mann Steven Schneider über zehn Jahre lang Kurse angeboten, in denen Menschen lernen konnten, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Wie kam es zu dieser Idee?

Als mein Vater starb, waren auf einmal seine Erzählungen weg. Ich habe mich damals sehr gegrämt, dass ich nichts davon aufgeschrieben hatte. Da beschlossen Steven und ich, die Lust auf das biografische Schreiben zu wecken und andere dabei zu unterstützen. Es sind ganz wunderbare Bücher entstanden.

Wann lohnt es sich, eine Geschichte aufzuschreiben?

Wenn man Spass daran hat, in die Vergangenheit zu reisen. Wenn man etwas wirklich loswerden will, wenn man sich befreien will, wenn man etwas bewahren möchte. Die Kunst besteht darin, nicht langweilig zu werden.

Was braucht eine Biografie, damit daraus später vielleicht sogar ein Buch werden kann?

Für ein Buch, das sich verkaufen soll: Identifikation. Tabuthemen. Grosses Drama. Wie bei Harry jetzt. Die meisten Biografien werden aber kein Bestseller, weil die meisten keinen König zum Vater und keinen Thronfolger als Bruder haben.

Unsere Meinung war aber immer, dass man sich nicht an die Niederschrift seiner Biografie machen soll, um sie nachher zu verkaufen. Die wichtigste Frage ist: Für wen schreibe ich? Für mich, für meine Familie oder für die Öffentlichkeit? Man muss am Anfang eine Entscheidung treffen. Denn sie beeinflusst den Schreibprozess enorm.

Wie sehr soll man in einer Biografie ins Detail gehen, wie viel Wert auf Vollständigkeit legen?

Vollständigkeit ist langweilig, das Leben richtet sich nicht nach einer spannungsreichen Dramaturgie. Romane sind geplant, ein Leben ist gelebt. Besser ist also: Man macht sich auf die Suche nach Wendepunkten und vergisst den Rest wie etwa: Von dann bis dann habe ich bei dem Arbeitgeber im Büro gearbeitet, danach von dann bis dann beim anderen ...

Was meinen Sie konkret mit Wendepunkten?

Wenn sich etwas verändert, in einem selbst oder um einen herum. Eine gute Übung ist, bewegende Augenblicke aus dem eigenen Leben zu definieren und kurze Texte dazu zu schreiben: Glück, Trennungen, Lebensorte, Krisen, Tiere, Gerüche, Enttäuschungen, Peinlichkeiten, Missgeschicke … Überall dort liegen Wendepunkte versteckt.

Selber schreiben oder schreiben lassen, so wie es Prinz Harry getan hat – wo liegen die Vor- und Nachteile?

Jemand anderes hat mehr Distanz, kann vielleicht besser einordnen, einen roten Faden finden, den man bei sich selbst nicht entdeckt, weil man sich ja so an sein eigenes Leben gewöhnt hat. Aber es kostet natürlich auch Geld, eine Lebensgeschichte von anderen schreiben zu lassen.

Sie und ihr Mann Steven Schneider schreiben für andere Leute Biografien. Was ist daran speziell?

Man taucht in das Leben anderer ein. Ob es eine Familienchronik ist oder eine Firmengeschichte: Im Mittelpunkt stehen bei Auftragsbüchern für uns immer die Menschen, ihre Gefühle, ihre Wandlungen. Das macht selbst trockene Themen interessant.

Zudem ist es sehr spannend, Bildmaterial zu sichten und auszuwählen. Viele sind allein von der Fülle an alten Fotos bereits überfordert, wir können da unvoreingenommen eine Auswahl treffen.

Harry tritt mit seiner Biografie «Spare» vielen Menschen und ganz besonders seiner Familie auf die Füsse: Finden Sie das gut?

Ich sage immer: Wer aus Rache eine Biografie schreibt, sollte besser in eine Therapie.

Werden Sie Harrys Biografie lesen?

Nein, sie interessiert mich nicht, zu viel Schlammschlacht, wie es scheint.

Haben Sie Ihre eigene Biografie schon geschrieben?

Wir haben ja unsere Kolumne in der «Coopzeitung», das sind wöchentlich aktuelle Biografie-Häppchen aus unserem Leben als Paar.


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