Sybil Schreiber«Ich habe einen Tipp, falls Sie ein Sexproblem haben»
Bruno Bötschi
11.4.2018
Sybil Schreiber schreibt zusammen mit ihrem Mann Steven Schneider seit über 18 Jahren eine Paar-Kolumne. Nun zeigt sie sich in ihrem Prosa-Debüt von einer ganz neuen Seite. Ein Gespräch über die Liebe, Sex in einer langjährigen Partnerschaft und Menschen ohne Glück.
Bluewin: Frau Schreiber, Sie sind die eine Hälfte des bekanntesten Ehepaars der Schweiz. Was ist es für ein Gefühl, wenn die halbe Schweiz alles über einen weiss?
Sybil Schreiber: Sie weiss nicht alles, nur einen Teil davon, den konfliktreichen. Aber es ist ein sehr schönes Gefühl, denn ich weiss: Wir sind nicht allein mit unseren Problemen. Wir bekommen soviel Zustimmung von den Leuten, die sich in unseren Kolumnen wiedererkennen. Alltag ist eben nichts Exklusives. Das ist doch ganz beruhigend.
Werden Sie erkannt, wenn Sie im Restaurant auf die Toilette gehen?
Ja, aber es sind immer nette Begegnungen. Schweizerinnen und Schweizer sind ja so diskret und respektvoll. Kurz vor Weihnachten sprach mich im Supermarkt eine Frau an, als ich mit dem vollbepackten Einkaufswagen an ihr vorbei schlenderte. «Sie liegen bei uns jeden Dienstag auf dem Küchentisch. Sie gehören bei uns zur Familie», sagte die Frau. Dann haben wir beide herzlich gelacht.
Seit über 18 Jahren schreiben Sie und Ihr Mann Steven Schneider jede Woche die Paar-Kolumne «Schreiber vs. Schneider» in der «Coop-Zeitung»: Sind Sie in allen Lebenslagen derart ausdauernd?
Ich bin eine treue Seele. Die Kolumne ist längst Teil unseres Zusammenlebens geworden. Sie gehört einfach dazu, als würde sie unsere Familie durch die verschiedenen Lebensphasen schieben. Ich glaube total lustig wird es, wenn Steven und ich im Altersheim sind.
Warum?
Weil wir dann so richtig die Sau rauslassen und schreiben können, was wir wollen.
Trotz des grossen Erfolgs mit der Paar-Kolumne sind Sie jetzt fremdgegangen: Das kürzlich erschienene Prosa-Buch «Sophie hat die Gruppe verlassen» haben Sie allein geschrieben.
Als Paar macht man viel gemeinsam. Die Kolumne ist eines unserer vielen Wir-Projekte. Irgendwann realisierten wir, es braucht auch Ich-Projekte. Steven hat mehrere Bücher herausgeben, ich fing vor vier Jahren an, Kurzgeschichten zu schreiben. Eines Tages meinte Steven, ich solle sie einem Profi zeigen. Ich lehnte dankend ab.
In einem Interview sagten Sie: «Ohne Steven wäre mein Buch wahrscheinlich gar nie herausgekommen.» Was hat Ihr Mann getan?
Kreative Menschen zweifeln oft an ihrem Können. Es ist gut, wenn man dann jemand hat, der an einen glaubt. Passiert ist es am Ende einer Besprechung mit unserem Verleger André Gstettenhofer vom Salis Verlag in Zürich. Plötzlich nahm Steven eine Klarsichtmappe aus seiner Tasche, drückte sie André in die Hand und sagte: «Sybil weiss von nichts. Ich habe alle ihre Kurzgeschichten ausgedruckt, damit du sie lesen kannst. Wenn es ein Scheiss ist, rufst du bitte mich an. Wenn sie gut sind, rufst du Sybil an.» Dann drehte er sich zu mir um und sagte: «Du bist jetzt einfach still, ich will, dass das jetzt ein Profi liest.» In dem Moment war ich sauer, aber gleichzeitig auch gerührt und beschämt.
Sie schreiben in Ihrem Buch über Menschen ohne Glück, über Einsame und Erfolglose.
Mich interessieren die unsichtbaren Menschen. Stille, unscheinbare Figuren, die oft zu wenig wahrgenommen werden. Diese Personen reizen mich. Ihre Sehnsüchte, ihre Macken, ihre Verschrobenheiten.
Mit Ihrer Familie leben Sie im aargauischen Bad Zurzach. Gibt es dort viele solche Menschen?
Nicht mehr als anderswo! Es gibt sie überall, auf dem Land genauso wie in der Stadt. Sie müssen sich nur umdrehen, schon sehen sie einen. Ich gebe seit Jahren Schreibkurse. Da kommen jeweils ganz unterschiedliche Menschen zusammen. Fast alle sind solche, die etwas zu erzählen haben, sich aber bis dahin nicht getraut haben, es zu tun. Das berührt mich jedes Mal von neuem.
In Ihrem Buch geht es auch um Mord und Totschlag.
Aber nur ganz diskret ... Ich bin zwar ein durchaus heiterer Mensch, aber mich reizt auch das Düstere. Ich bin sehr an Abgründen und Schattenseiten interessiert.
Und was halten die Leserinnen und Leser Ihrer Paar-Kolumnen von Ihren düsteren Kurzgeschichten?
Die sind überrascht, sagen: «Wow, dass hätten wir gar nicht von Ihnen gedacht. Aber es macht Spass die Geschichten zu lesen.» Ein Leser schrieb mir, ihn hätten die Geschichten berührt. Ein Lob, das mich sehr glücklich macht.
Gibt es etwas in Ihrem Leben, dass Sie seit Jahren versuchen, aber keinen Erfolg damit haben?
Lasagne. Ich komme einfach nicht an die Lasagne meiner Schwiegermutter heran, obwohl ich es immer und immer wieder versuche. Mein Mann und unsere Kinder essen meine Lasagne zwar, aber sie sagen immer: «Die Nonna konnte es halt schon besser.»
Sie führen sozusagen eine öffentliche Ehe. Wie reagieren Ihre beiden Töchter im Teenageralter auf die Paar-Kolumne?
Die Kolumne ist für Alma und Ida Alltag. Als die Kinder kleiner waren, dachten sie, alle Eltern schreiben Kolumnen. Zum Glück haben sie nie etwas Unangenehmes erlebt, sie wurden wegen der Kolumne in der Schule auch nie geärgert. Seit sie Teenager sind, tauchen unsere Töchter aber nicht mehr so oft in der Kolumne auf.
Warum nicht?
Wenn wir sie heute erwähnen, dürfen sie die Kolumne gegenlesen und haben ein Vetorecht. Das ist zwar manchmal schade, denn die Pubertät bietet natürlich ein fast unerschöpfliches Konfliktpotential.
Welche anderen Themen sind tabu für die Kolumne?
Politik und Religion, darüber wird sonst schon genug geschrieben.
Und Sex?
Sex bringen wir, aber wohl dosiert.
Geben Sie es doch zu, nach 20 Jahren Beziehung haben Sie keinen Sex mehr.
Tja, wenn das so wäre, dann hätten wir wohl was falsch gemacht. Von daher kann ich sie also beruhigen, es geht uns bestens miteinander. Falls Sie übrigens wirklich ein Sexproblem haben, dann habe ich einen Buchtipp für Sie: «Make More Love» von Ann-Marlene Henning und Anika von Keiser ist ein wirklich tolles Aufklärungsbuch für Erwachsene.
Wie muss ich mir das vorstellen, wenn ein Ehepaar zusammen eine Kolumne schreibt?
Montag und Dienstag sind unsere Kolumnentage. Wir sitzen dann im Büro und schreiben. Steven schreibt seine Ideen auf, ich meine. Später mailen wir uns gegenseitig die Texte und antworten darauf. Von 1000 Kolumnen, die wir bisher geschrieben haben, ist bisher nur eine abgelehnt worden.
Welche?
Wir waren auf dem Weg zum Gotthard und standen im Stau. Irgendwann drückte bei Steven und mir die Blase. Wie wir dieses Problem dann gelöst haben, war der Redaktion zu deftig. Lustigerweise bekamen wir später, als wir den Text in unserem Kolumnenbuch publizierten, ganz viele Tipps aus der Leserschaft, wie wir beim nächsten Mal das Problem lösen könnten.
Ob beim Aufräumen, Kochen, bei einem Spaziergang mit dem Hund oder unterwegs mit dem Wohnmobil – selten ist man sich, laut Kolumne, im Hause Schreiber/Schneider auf Anhieb einig. Trotzdem sind Sie seit 20 Jahren ein Paar. Ihr Geheimrezept für eine glückliche Beziehung?
Ohne Humor ist es nicht zu schaffen. Warum soll ich mich über Banalitäten wie eine leere WC-Papier-Rolle ärgern? Das bringt nichts.
Es heisst, Spontanität und eine Prise komödiantisches Talent seien die Stärke von Ihnen und Ihrem Mann. Und wenn es doch zwischen Ihnen kracht, was passiert dann?
Wenn wir streiten, suche ich schneller wieder den Anschluss, sage als erste: «Sorry, tut mir leid.»
Ihr Mann behauptete in einem Interview: «Besonders wenn Schreiber sauer ist, spricht sie druckreif. Dann muss ich sofort Schreibpapier und Stift holen, um mir das zu notieren. Sonst würde ich es nämlich sofort wieder vergessen.» Wirklich wahr?
Ja. Einmal hatten wir im Wohnzimmer eine Auseinandersetzung. Während ich schimpfte, stand Steven plötzlich auf und ging ins Büro. Ich war perplex, weil wir den anderen nie stehenlassen, keine Türen zuschlagen und auch nicht fluchen. In dem Moment dachte ich, Steven lässt mich ins Leere laufen. Stattdessen ging er an seinen Computer und schrieb Satz für Satz auf, was ich gerade im Streit gesagt hatte.
Wo haben sich Ihr Mann und Sie eigentlich kennengelernt?
Wir arbeiteten beide auf der Redaktion der «Schweizer Familie». Das Blatt machte damals Werbung mit dem Spruch «Die Zeitschrift für das Zusammenleben». Wir haben das wörtlich genommen.
Erzählen Sie bitte.
Anderthalb Jahre lang arbeiteten Steven und ich zusammen in einem Zweierbüro. Am Tag, an dem er kündigte, gab es abends einen Apéro auf der Redaktion. Da realisierte ich plötzlich, dass ich total in Steven verliebt bin. Irgendwann sind wir dann in unser Büro zurückgegangen und haben uns zum ersten Mal geküsst.
Jetzt mal ehrlich: Hatten Sie in den letzten 18 Jahren noch nie Ermüdungserscheinungen wegen Ihrer Kolumne?
Nein, das Leben hat so viel zu bieten. Steven sagt immer, wenn er keine Ideen habe, fahre er einfach mit mir Auto.
Sind Sie eine derart schlechte Autofahrerin?
Das behauptet er. Dabei passieren ihm die richtig teuren Fehler... Benzin statt Diesel tanken, zum Beispiel.
Sie haben, ausser kurz vor und nach der Geburt Ihrer beiden Töchter, nie eine Pause gemacht mit der Paar-Kolumne. Sind Sie schreibsüchtig?
Ja. Schreiben macht mir unheimlich viel Spass. Ich bin nicht die leidende Schreiberin, aber ich brauche Druck, ohne den geht nichts. Das Prosa-Buch wurde fertig, weil mir der Verleger sagte, bis dann und dann müsste ich die Texte abgegeben, sonst würde ich wohl heute noch daran schreiben.
Sie haben ein Wochenende für sich ganz allein: Was tun Sie?
Wenn ich beschliesse daheim zu bleiben, suche ich zuerst alle unsere Verstecke ab, ob ich noch irgendwo Marzipan-Schoggi finde.
Und wenn Sie wegfahren?
Dann würde ich mir eine SBB-Tageskarte kaufen, nach Zürich fahren, eine Schifffahrt unternehmen, danach in der «Kronenhalle» essen gehen und im Hotel Storchen übernachten.
Und wenn Ihr Mann dabei wäre?
Ich glaube, wir würden ins Tessin fahren und dort im Hotel Walter in Lugano die Nacht verbringen. Oder wir würden nach Poschiavo reisen. Das ist ein ganz wichtiger Ort für uns beide. Unsere erste Paar-Kolumne haben wir während einer Zugfahrt dorthin geschrieben, Jahre später haben wir dort geheiratet.
Sie sind in München aufgewachsen, besuchten die Schauspielschule in New York, leben heute mit Ihrer Familie in Bad Zurzach. Heimat, was ist das für Sie?
Die Schweiz ist ein grandioses Land, ich liebe sie über alles. Zudem bin ich eine Schnellwurzlerin. Egal, wohin man mich verfrachtet, ich fühle mich rasch daheim. In den Ferien sage ich oft schon am ersten Abend «Gehen wir nach Hause?» und meine das Hotel. Heimat ist für mich wie gutes Brot oder eine trockene Sommerwiese, auf die ich mich legen kann.
Zur Person: Sybil Schreiber
Sybil Schreiber wuchs in München auf, besuchte die Schauspielschule in New York, machte eine Ausbildung als Modedesignerin und arbeitete als Redaktorin bei verschiedenen Schweizer Magazinen. Seit über 18 Jahren schreibt sie zusammen mit ihrem Mann Steven Schneider die Kolumne «Schreiber vs. Schneider» in der «Coop-Zeitung». Sie gibt Schreib- und Biografiekurse. Schreiber lebt mit ihrem Mann und den beiden Kindern Alma und Ida in Bad Zurzach.
Buchhinweis: Sophie hat die Gruppe verlassen, Sybil Schreiber, 144 Seiten, Salis Verlag, ISBN 978-3-906 195-69-8, 24 Fr.
Nächste Lesungen: Solothurner Literaturtage, Freitag, 11. Mai, 15 Uhr, Stadttheater, und Sonntag 13. Mai, 13 Uhr, Boot-Lesung, www.literatur.ch
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