Kolumne Telefon-Phobie – bitte ruf mich nicht an

Von Marianne Siegenthaler

25.5.2020

Für die Kolumnistin sind E-Mail, WhatsApp und SMS ein Segen. (Symbolbild)
Für die Kolumnistin sind E-Mail, WhatsApp und SMS ein Segen. (Symbolbild)
Bild: Getty Images

Telefonieren – im Grunde eine simple Sache, kostet aber manche Menschen einiges an Überwindung. Telefonschwäche nennen das die einen, andere sprechen von Telefon-Phobie.

Ich bin kein Digital Native. Aber eins habe ich mit den jungen Leuten gemeinsam: Ich telefoniere nur sehr ungern. Am liebsten überhaupt nicht. Viel lieber schreibe ich ein E-Mail oder ein WhatsApp.

Allenfalls schicke ich eine Sprachnachricht, wenn mir die Tipperei zu mühsam ist. Ich benütze mein Smartphone für alles Mögliche – aber möglichst nicht fürs Telefonieren. Die Freude am Plaudern per Handy oder Festnetz geht mir einfach ab. Das war schon immer so. Auch in der Vor-Smartphone-Zeit.

Ich telefoniere nur aus beruflichen Gründen oder wenn es unbedingt nötig ist. Und halte den Anruf so kurz wie möglich. Small Talk am Telefon? Das ist nichts für mich. Wenn schon plaudern, dann gern im persönlichen Kontakt.

Mehr Übung hilft

Jetzt aber Entwarnung für alle, denen es ähnlich geht: Die Telefon-Phobie gilt (noch) nicht als klinisch bewiesene Angststörung. Wer also nicht gern telefoniert, leidet deswegen noch lange nicht an einer Sozialphobie. Und braucht auch keine Therapie. Allenfalls etwas mehr Training. Das gilt erst recht für jüngere Menschen.

30 Prozent von ihnen benutzen die Telefonfunktion auf ihren Smartphones überhaupt nie. Forscher vermuten deshalb, dass vor allem mangelnde Übung die Ursache für ihre Telefon-Phobie ist. Aber auch der Drang nach Selbstbestimmung spielt eine Rolle. Wer will denn schon ungefragt gestört werden bei was auch immer? Ständig erreichbar, ja gern, aber nicht per Klingelton.



Ein weiterer Punkt: der Optimierungswahn. Bevor ein Selfie gepostet wird, wird es bearbeitet, der perfekte Ausschnitt gewählt, mehrere Filter drübergelegt, und auch an den Hashtags oder Bildunterschriften wird gefeilt, bis alles passt. Auch ich würde keine E-Mails oder WhatsApp rausschicken, die nicht korrekt formuliert und fehlerfrei geschrieben sind – mal abgesehen von allfälligen Tippfehlern, die ich aber sofort in einem weiteren WhatsApp mit Sternchen korrigiere.

Das funktioniert beim Telefonieren nicht. Da geht alles ganz schnell und kann nicht erst aufgehübscht werden. Man muss improvisieren können, wenn der Chef anruft und fragt, wo denn nun die versprochenen Unterlagen bleiben. Genau, sie liegen immer noch da, wo wir sie gestern hingelegt haben. Oder wenn man zur Dentalhygiene aufgeboten wird, den Termin aber so weit wie möglich nach hinten schieben will. («Hab grad waaaaahnsinnig viel zu tun, ich melde mich im September, ok?»)

Nonverbale Kommunikation fehlt

In meinem Fall ist es nicht die mangelnde Übung – schon rein aus beruflichen Gründen muss ich häufig telefonieren –, mir fehlt was anderes. Am Telefon ist die nonverbale Kommunikation reduziert. Zwar lässt sich auch aus dem Tonfall, der Sprechgeschwindigkeit, den Pausen oder der Betonung einiges deuten. Aber Mimik, Blick oder Körperhaltung sehe ich ja nicht. Das verunsichert.

Habe ich mich klar genug ausgedrückt? Warum antwortet der Gesprächspartner nicht sofort? Hab ich was Falsches gesagt? Hat der andere wirklich verstanden, was ich sagen will?

Beim Telefonieren, scheint mir, sind Missverständnisse und Ärger fast schon vorprogrammiert. So habe ich vor einiger Zeit telefonisch einen Tisch am Fenster mit Seesicht für das Geburtstagsessen mit einem Freund reserviert. Hat leider nicht geklappt. Aus welchen Gründen auch immer. Und vor Kurzem kam der Sanitär auch eine Stunde früher, als eigentlich telefonisch abgemacht war. Auf die Zuger Kirschtorte, die ich Anfang April per Telefon bestellt habe, warte ich heute noch.



Unangenehm, aber alles nicht so schlimm. Wirklich übel sind Peinlichkeiten und Fettnäpfchen, in die man nur telefonisch treten kann. So habe ich auch schon mal einen Gesprächspartner mit einer eher hohen Stimme mit «Frau Müller» angesprochen – es war aber ein Mann.

Oder mich bei einer Behörde mit harschen Worten über irgendetwas beschwert – bis sich herausstellte, dass ich den falschen Ansprechpartner angewählt habe. Ist mir übrigens auch umgekehrt schon passiert. Eine aufgebrachte Frau beschimpfte mich am Telefon, weil mein Hund dauernd bellt. Es dauerte eine Weile, bis ich die Frau überzeugen konnte, dass sie falsch verbunden war. Ich habe gar keinen Hund.

Fazit: Für Leute wie mich, die, sagen wir mal, eine Telefonschwäche haben, sind E-Mail, WhatsApp oder SMS ein Segen. Aber wenn es dann halt gar nicht anders geht, dann rufen wir halt an.

Zur Autorin: Marianne Siegenthaler ist freie Journalistin und Buchautorin. Wenn sie grad mal nicht am Schreiben ist, verbringt sie ihre Zeit am liebsten im, am und auf dem Zürichsee.

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