Kolumne Sich für alles schämen – und natürlich auch für die Winterjacke

Von Julia Wagner

13.12.2019

Eine Daunenjacke? Keine gute Option. Gerade erst wurde wieder vor dem Kauf gewarnt, weil viele Gänse für Daunen lebend gerupft werden.
Eine Daunenjacke? Keine gute Option. Gerade erst wurde wieder vor dem Kauf gewarnt, weil viele Gänse für Daunen lebend gerupft werden.
Bild: Getty Images

Esse keine Avocados mehr, kaufe keine Plastiksäckli, trenne den Abfall, fahre auch im Winter Velo – bloss habe ich jetzt Winterjacken-Scham. Und weil ich mir deshalb wärmere Temperaturen herbeisehne, schäm ich mich auch.

Flugscham? Ist etwas für umweltbewusste Anfänger.

Ich fliege seit einem Jahr kaum noch. Ich esse auch keine Avocados mehr, kaufe keine Raschelsäckli im Supermarkt, trenne akribisch meinen Abfall und fahre auch im Winter so oft es geht mit dem Velo.

Kurz gesagt, ich dachte, meine Ökobilanz wäre ganz okay. Bis ich anfing nach einem wärmenden Kleidungsstück für die kalte Jahreszeit zu suchen – jetzt habe ich Winterjacken-Scham. Wenn man da erst mal anfängt, sich ein bisschen schlau zu machen, wird es nämlich richtig eng.

700'000 Mikroplastik-Teilchen 

Eine dicke, wattierte Nylonjacke? Keine gute Idee. Erstens basieren Kunstfasern auf fossilen Rohstoffen und zweitens tragen sie zum Mikroplastik-Problem bei. Gerade erst habe ich gelesen, dass ein Waschgang mit synthetischen Textilien bis zu 700'000 Mikroplastik-Teilchen ins Abwasser spülen.



Eine dicke Wolljacke? Vergessen Sie’s. Wolle erhöht den globalen CO2-Ausstoss. Schuld daran sind die Schafe.

Eine warme Daunenjacke? Auch keine gute Option. Gerade erst wurde wieder vor dem Kauf gewarnt, weil viele Gänse für Daunen lebend gerupft und bis zu 20 Tiere für die Füllung einer einzigen Jacke benötigt werden.

Ein klassischer Parka mit Fellkranz aus Fake-Fur? Lieber nicht. Da Pelz-Imitationen schwieriger herzustellen sind, zieren immer mehr echte Felle aus chinesischen Tierfabriken Winterjacken, auch wenn es darauf keine Hinweise auf dem Etikett gibt.

Blick in den Spiegel? Besser nicht

Weil ich am Weltuntergang natürlich nicht schuld sein möchte, habe ich mich dazu entschlossen, einfach meine alten Winterjacken aufzutragen. Dafür sehe ich jetzt halt scheisse aus.

Der Schnitt meines Parkas ist längst wieder out. Wenigstens ist das Dunkelblau unauffällig in der Dezember-Dunkelheit.



Der Lammfell-Mantel von Helmut Lang aus einer Zeit, als er noch selbst designte und für den ich sehr lange gespart habe, ist klassisch, aber halt auch schon etwas speckig.

Die Felljacke, die ich von meiner Mutter geerbt habe – und sie wiederum von meiner Großmutter – hält seit nunmehr drei Generationen die Familie warm.

Aber auch wenn das nachhaltig ist, ist Pelz mittlerweile politisch völlig inkorrekt. So richtig gern lässt man sich damit auch nicht auf dem Weihnachtsmarkt blicken.

Die Scham bleibt also, egal was ich anziehe.

So gesehen kann ich den Mode-Frühling kaum erwarten. Auch wenn ich mich ein bisschen dafür schäme, dass ich mir wärmere Temperaturen herbeisehne.

Künftig gibt es hier an jedem Freitagmorgen eine Autoren-Kolumne –abwechselnd zu den Themen Mode, Essen, E-Mobility und Mutter.

Zur Autorin: Julia Wagner besuchte als Chefredaktorin von miss und später als Leiterin von Stylebook.de alle wichtigen Fashionweeks dieser Welt. Jetzt pendelt sie als Freelancerin ständig zwischen Berlin, Zürich und Wien – und trägt fast nur noch Hipster-Look: Sneaker, Jeans & Rucksack. Das liegt vor allem daran, dass die Haute Couture nicht ins Handgepäck passt.

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