Kolumne am MittagKim Jong-un hat abgespeckt – und sogar das US-Militär interessiert's
Von Sven Hauberg
11.6.2021
Wenn Kilos Weltpolitik machen: Das Körpergewicht des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un gibt zu reden.
Von Sven Hauberg
11.06.2021, 11:38
11.06.2021, 11:59
Sven Hauberg
Glaubt man der in solchen Dingen freilich nicht gänzlich zuverlässigen Wikipedia, dann war Tāufaʻāhau Tupou IV der dickste Monarch der Weltgeschichte. Satte 208 Kilo soll der einstige König des Pazifikstaates Tonga zu Lebzeiten gewogen haben.
Dagegen nimmt sich Kim Jong-un – zwar kein König, aber gut möglich, dass er sich wie einer fühlt – geradezu leichtgewichtig aus: 140 Kilogramm soll der nordkoreanische Diktator im vergangenen Jahr auf die Waage gebracht haben. Das zumindest behauptet der Geheimdienst von Südkorea.
Und noch eins wollen die Spione aus Seoul dank Bildanalysen über den Körper des Feindes aus dem Norden in Erfahrung gebracht haben: Kim habe seit seinem Amtsantritt vor zehn Jahren rund 50 Kilo zugelegt, im Schnitt sechs bis sieben Kilo pro Jahr.
«Kim Jong-un sieht dünner aus»
Und nun das: Kim, das schreibt das Portal «NK News», hat offenbar abgespeckt. «Kim Jong-un sieht dünner aus», titelte die auf Nordkorea spezialisierte Seite unlängst.
Als Beweis dienen dem Portal Aufnahmen, die das nordkoreanische Staatsfernsehen vor einigen Tagen ausgestrahlt hat und die sich zum Teil auch auf Twitter finden lassen. Darauf zu sehen ist ein noch immer recht rundlicher Diktator, der das tut, was er immer macht: sich von duracelhasigen Funktionären beklatschen lassen, kompetent aus dem dunklen Anzug gucken und Anweisungen geben.
Kim Jong Un walking into the politburo meeting, from KCTV June 5. Also some hummingbird applause on the left there pic.twitter.com/Cpbum5Txgs
Wer genau hinsieht, erkennt aber in der Tat, dass Kim ein paar Kilos weniger mit sich herumträgt. Belegen sollen das auch Aufnahmen von Kims linkem Unterarm, die «NK News» eigenen Angaben zufolge «forensisch» untersuchen liess. Kim, so das Portal, habe bei seinem jüngsten Auftritt dieselbe Schweizer Luxusuhr getragen wie auch in den letzten Monaten.
Mit einem Unterschied: Das Armband der Uhr trage er nun kürzer. Klarer Beweis also: Kim ist auch an den Armen dünner geworden.
«Crazy fat kid»
Das Abwägen und Abwiegen von Kims Körpergewicht mag man nun als ein alles andere als gewichtiges Problem abtun. Indes: Kim ist nicht nur sehr dick, er gilt auch als Kettenraucher. Eine ungesunde Kombination, wie schon sein Grossvater und sein Vater feststellen mussten, die beide an einem Herzinfarkt verstorben sein sollen. Der körperliche Zustand des Diktators hat also durchaus politische Dimensionen.
«Wenn es ihm gelingt, Gewicht zu verlieren, wird das wahrscheinlich deutlich die Chancen verbessern, dass Nordkorea bis auf Weiteres stabil bleibt», zitiert die «Süddeutsche Zeitung» unter der Schmunzelüberschrift «Gewichtige Hinweise» den Nordkorea-Experten Andrei Lankov.
Zumal Kim junior von manch Analysten bereits 2020 kurzzeitig für tot erklärt worden war. Damals war der Mittdreissiger ungewöhnlich lange von der Bildfläche verschwunden. Weshalb man annahm, sein Gesundheitszustand habe sich plötzlich verschlechtert.
Als Kim seinem Vater ins Diktatorenamt folgte, war er 27 Jahre alt. Ernst nahm den Jungspund damals kaum einer – auch, weil Kim mit seinem vielen Babyspeck nicht wirklich gefährlich wirkte. Die ehemalige CIA-Analystin Jung H. Park, die mittlerweile für die Biden-Regierung arbeitet, zeigt in ihrer im vergangenen Jahr erschienenen Biografie, wie Kims Gewicht und seine Aussenwahrnehmung Hand in Hand gingen. «Crazy fat kid» habe man ihn in der US-Politik genannt, schreibt Park, oder auch «Pyongyang's pig boy».
«Hinweise auf andere Informationen»
Spätestens als Kim 2018 erstmals mit Donald Trump zusammentraf, war die Zeit der Scherze über das dicke Kind aus Nordkorea vorbei – obwohl er seinerzeit laut dem südkoreanischen Geheimdienst noch nicht ganz auf dem Höhepunkt seines körperlichen Umfangs angekommen war. Gut möglich, dass Kim seinerzeit beschloss, dass grosses politisches Gewicht besser sei als körperliches. Von der internationalen Bühne allerdings ist Kim schon lange wieder verschwunden, auch, weil sich Nordkorea aufgrund der Corona-Pandemie von der Aussenwelt abschottet.
Jung H. Park, die erwähnte US-Analystin, hat ihr durchaus lesenswertes Buch übrigens geschrieben, ohne jemals Kim getroffen zu haben. Auch in Nordkorea war sie offenbar nie. Und so zeigt die Debatte um Kims Kilos ein Problem auf, das die meisten sogenannten Nordkorea-Experten haben: Um das Innenleben des abgeschotteten Staates zu beleuchten, bleiben ihnen kaum mehr als ein paar Fotos und Videos sowie jene spärlichen Informationen, die über Flüchtlinge oder andere Wege aus Nordkorea dringen. Was freilich oft nicht mehr ist als ein Stochern im Trüben.
Heute beschäftigt Kims Körperbau auch die US-Streitkräfte. Gegenüber «NK News» sagte der Nachrichtendienstoffizier Mike Brodka vom United States Special Operations Command Korea, man beobachte Kim genau. «Oberflächlich betrachtet bedeutet ein spürbarer Gewichtsverlust vielleicht nicht viel, aber er kann Hinweise auf andere Informationen liefern, nach denen Geheimdienstmitarbeiter suchen», so Brodka.
Nichts genaues aber weiss auch er nicht. «Es kann eine einfache Angelegenheit einer gesunden Lebensstiländerung sein oder ein komplexeres Problem», so Brodka weiter. «Im Moment wissen wir es nicht, aber es wirft genug ernste Fragen auf, dass wir die Ereignisse in den nächsten paar Monaten aufmerksam verfolgen müssen, um es herauszufinden.»
Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – sie dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.