Nordkorea-Experte«Kim Jong-un sitzt trotz Pandemie fest im Sattel»
Von Sven Hauberg
1.3.2021
Auch in Nordkorea gibt es Corona-Fälle, glaubt der Experte Eric Ballbach. Im Interview erklärt er, ob die Pandemie eine Gefahr für das Kim-Regime darstellen könnte.
Wohl noch nie in seiner Geschichte war Nordkorea derart abgeschottet wie heute. Die Grenzen zu China und Russland sind dicht, der Aussenhandel ist eingebrochen. Wird die Pandemie zur Gefahr für Kim Jong-un? Im Interview erklärt Nordkorea-Experte Eric Ballbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik, wie die Corona-Lage im Land ist und wie der neue US-Präsident Biden auf Kims Atomprogramm reagieren dürfte.
Herr Ballbach, Nordkorea hat bislang keinen einzigen Corona-Fall offiziell gemeldet. Ist das glaubwürdig?
Dass es keine Fälle gibt, ist natürlich Propaganda. Man weiss über informelle Kanäle, dass dem sicherlich nicht so ist. Wie hoch die Fallzahlen aber sind, kann man nicht sagen. Es gibt Informationen, dass es lokale Ausbrüche gab, aber wohl keine unkontrollierte Ausbreitung. Das ist sicherlich Folge eines frühen und sehr extremen Lockdowns, in den Nordkorea schon im Januar 2020 gegangen ist. Nordkorea ist pandemieerfahren – das Land hat seine Lektionen aus der Mers-Epidemie gelernt und erkannt, dass der einzige gangbare Weg die totale Isolation ist.
Was würde ein unkontrollierter Ausbruch des Coronavirus für Nordkorea bedeuten?
Das wäre fatal. Das Gesundheitssystem in Nordkorea ist in einem sehr schlechten Zustand. Hinzu kommen die internationalen Sanktionen, sodass durch den Lockdown eine Art doppelte Isolation nach aussen entstanden ist. Nordkorea soll demnächst bis zu zwei Millionen Impfstoffdosen über die Weltgesundheitsorganisation erhalten, über das Covax-Programm für ärmere Länder. Perspektivisch werden russische und chinesische Vakzine eine grosse Rolle spielen. Wir erwarten, dass der erste Punkt, in dem sich Nordkorea öffnen wird, der Bereich der Gesundheitszusammenarbeit sein wird.
Zur Person
Bild: zVg
Eric Ballbach forscht beim Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit zu Nord- und Südkorea. Die Denkfabrik der Stiftung Wissenschaft und Politik berät unter anderem die deutsche Bundesregierung.
Was bedeutet diese Abschottung für die Versorgung der Bevölkerung?
Die Versorgung ist schon durch die Sanktionen sehr stark eingeschränkt. Die Sanktionen gehen sehr weit, sie legen zum Beispiel fest, wie viel Öl ins Land kommen darf – auch wenn Nordkorea geschickt darin ist, die Sanktionen zu umgehen. Vor allem die Isolation nach China hat die Lage nicht besser gemacht. Immerhin gab es im letzten Jahr keine Missernte, sonst hätte auch hier eine humanitäre Katastrophe gedroht. Aber die Lage bleibt dennoch sehr angespannt.
In den vergangenen Jahren hat Kim Jong-un sein Land ein Stück weit modernisiert, auch, um die Bevölkerung ruhigzustellen. Wenn die Wirtschaft nun längere Zeit stagniert: Was bedeutet das für die Legitimation seiner Herrschaft?
Kim Jong-un sitzt offenbar fest im Sattel, er hat trotz der Pandemie seine Herrschaft weiter stabilisiert. Der gerade abgehaltene Parteikongress hat noch einmal gezeigt, dass es keine sichtbare Opposition im Land gibt, auch nicht in der Bevölkerung. Aber mehr noch als sein Vater Kim Jong-il hat Kim Jong-un den Fokus darauf gelegt, die Lage der Bevölkerung zu verbessern. Deswegen hat sich Nordkorea nun in ein Dilemma hineinmanövriert: Auf der einen Seite ist die Isolation wichtig, um eine unkontrollierte Ausbreitung der Pandemie zu verhindern; auf der anderen Seite stellt sich die Frage, wie lange Nordkorea in dieser totalen Isolation bleiben kann. Irgendwann könnte es zu sozialen Problemen kommen.
Das nordkoreanische Atomprogramm kostet viel Geld. Bislang lautete die Gleichung des Regimes: Wir können uns beides leisten – nukleare Aufrüstung und eine bessere Versorgung der Bevölkerung.
Diese Gleichung ist noch nie wirklich aufgegangen. Die Verteidigung des Landes war dem Regime schon immer wichtiger, also der Ausbau der militärischen und vor allem der atomaren Fähigkeiten. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass Nordkorea von dieser Politik nie abgewichen ist. Spannend ist, wie sich die Biden-Administration in dieser Frage positionieren wird.
In einer Rede zu seiner Aussenpolitik, die Joe Biden im Februar gehalten hat, hat er Nordkorea nicht einmal erwähnt …
Als Beobachter beunruhigt einen das natürlich. Andererseits sind die USA gerade dabei, ihre Politik zu überprüfen, auch gegenüber Nordkorea. Ich erwarte, dass sich Biden von der Trump'schen Nordkorea-Politik abwendet. Wie sich das genau ausgestaltet, weiss man noch nicht. Trump hat viele aussenpolitische Fehler begangen, auch gegenüber Nordkorea. Aber er hat auch eine durchaus beachtliche Leistung erbracht: Er hat auf oberster Ebene einen Kanal noch Pjöngjang geschaffen.
Trump hat Kim dreimal getroffen. Was kann Biden aus diesen Treffen lernen – oder ist Trump mit seiner Politik total gescheitert?
Ich würde nicht sagen, dass Trump komplett gescheitert ist. Man muss realistisch sein und sehen, dass Nordkorea sein Nuklearprogramm kurzfristig nicht aufgeben wird, das wird ein sehr langfristiger Prozess sein, der sehr grossen politischen Willen von allen Seiten voraussetzt. Gelingt es, auch angesichts der Spaltung in den USA, diesen Willen aufrechtzuerhalten?
Gibt es denn grundsätzlich andere Auffassungen über Nordkorea bei Demokraten und Republikanern? Während der Demokrat Bill Clinton eine eher nachlässige Politik gegenüber Pjöngjang verfolgte, hat sein Nachfolger George W. Bush vor allem auf Druck gesetzt.
Bushs erste Amtszeit war durch eine sehr grosse Härte gekennzeichnet, in der zweiten Amtszeit aber durch viele diplomatische Initiativen. Unter Clinton hingegen wäre es beinahe zu einem Militärschlag gegen Nordkorea gekommen, der nur durch eine private Initiative des Ex-Präsidenten Jimmy Carter verhindert werden konnte. Die Angriffspläne lagen schon im Weissen Haus bereit. Fest steht: Es gab bislang wenig Konsistenz in der Nordkorea-Politik der USA. Umgekehrt gilt: Wenn man eines sagen kann über die nordkoreanische Politik, dann, dass sie konsistent ist. Wenn natürlich auch nicht so, wie wir uns das erhoffen würden.
Joe Biden ist schon seit Jahrzehnten in der Politik. Was kann man aus seinem bisherigen Handeln gegenüber Nordkorea ablesen?
Biden hat sicherlich schon viele Hochs und Tiefs erlebt. Ich hoffe, er lernt aus den Fehlern der Obama-Administration. Obamas Politik der «strategischen Geduld» hat nicht funktioniert, also der Versuch, dieses Problem an den Rand zu drängen und ihm mit damals noch recht halbherzigen Sanktionen Herr zu werden. Das ist grundlegend schiefgegangen. Es gab unter Obama nur eine kurze diplomatische Initiative, die zu einem Abkommen geführt hat, das aber kurz nach Unterzeichnung null und nichtig war. Ich hoffe, dass Biden daraus die richtigen Schlüsse zieht: Man kann das Nordkorea-Problem nicht totschweigen, man braucht vielmehr einen sehr langen Atem.
Als Trump in Singapur erstmals Kim getroffen hat, hat er ihm in einem bizarren Video seine Vision für Nordkorea gezeigt: ein wirtschaftlich blühendes Land. Kim scheint diese Vorstellung nicht beeindruckt zu haben.
Für Kim ist vor allem die Stabilität seines Regimes entscheidend. Jede wichtige politische Entscheidung wird unter dieser Prämisse gesehen. Alles, was eine Gefahr für das Regime darstellen könnte, etwa eine unkontrollierte wirtschaftliche Öffnung, wird vermieden. Man will den frischen Wind des wirtschaftlichen Aufschwungs hereinlassen, aber keine Freiheiten. Das ist eine Gratwanderung, die oft zugunsten des Regimes getroffen wird. Es geht darum, das Regime zufriedenzustellen. Die Bevölkerung kommt leider erst danach.
Welche Rolle spielt China in der Nordkorea-Politik – hat Xi Jinping überhaupt noch Einfluss auf Kim?
Der politische Einfluss Pekings ist relativ gering, Nordkorea setzt sich immer wieder klar über chinesische Interessen hinweg. Peking hat zwar grossen wirtschaftlichen Einfluss auf Nordkorea – vor der Pandemie wurden bis zu 90 Prozent des nordkoreanischen Aussenhandels über China abgewickelt –, ist aber nicht bereit, diesen wirtschaftlichen Einfluss politisch so einzusetzen, wie es das könnte. Denn China möchte zwar kein atomar bewaffnetes Nordkorea an der eigenen Grenze, aber noch weniger ein kollabierendes Nordkorea. So wird es immer im Interesse der Chinesen sein, dass das Regime überlebt.