Kolumne Ein Jahr mit dem Tod verbracht – und was ich dabei gelernt habe

Von Michelle de Oliveira

10.12.2023

Ein Jahr mit dem Tod: Kolumnistin Michelle de Oliveira hat sich in den letzten Monaten intensiv mit ihrem Sterben befasst.
Ein Jahr mit dem Tod: Kolumnistin Michelle de Oliveira hat sich in den letzten Monaten intensiv mit ihrem Sterben befasst.
Bild: Michelle de Oliveira

Im Januar hatte sich die blue News-Kolumnistin vorgenommen, dieses Jahr ihren Tod vorzubereiten. Nun zieht sie Bilanz: Sie hat nicht so viel geschafft, wie sie eigentlich wollte. Aber doch Wichtiges gelernt.

Von Michelle de Oliveira

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Anfang des Jahres nahm sich Michelle de Oliveira vor, dieses Jahr ihren Tod vorzubereiten. Sie wollte ihm damit den Schrecken nehmen.
  • Nun zieht die blue News-Kolumnistin Bilanz und stellt fest: Sie hatte in den vergangenen Monaten oft keine Zeit für den Tod, weil ihr Leben dazwischen kam.
  • Etwas ist de Oliveira jedoch angegangen: Sie hat zwei Notizbücher gekauft, eines für ihren Sohn und eines für die Tochter. In den Büchern hält sie Gedanken, Erlebnisse und Gefühle fest.

Zu Beginn dieses Jahres habe ich in meiner monatlichen blue News-Kolumne geschrieben, dass ich meinen Tod vorbereiten will. Dass ich genau hinsehen will und mir das Unvorstellbare vorstellen werde:

Was, wenn ich jetzt plötzlich sterben würde?

Noch immer stockt mir der Atem, wenn ich diese Zeilen schon nur schreibe. So viel vorweg: Ich habe nicht so viel erledigt, wie ich mir vorgenommen hatte.

Das Leben kam mir stets dazwischen

Zur Person: Michelle de Oliveira

Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogini, Mutter und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Ausserdem hat sie ein Faible für alles Spirituelle. In ihrer Kolumne berichtet sie über ihre Erfahrungen mit dem Unfassbaren, aber auch aus ihrem ganz realen Leben mit all seinen Freuden und Herausforderungen. Sie lebt mit ihrer Familie in Portugal.

Wie das oft so ist mit Vorsätzen, bin ich motiviert ins Jahr gestartet, und wollte mich an all die bürokratischen Dinge wagen (Vorsorgeauftrag, Patientinnenverfügung, Erbfragen klären) und schob es dann doch immer weiter vor mir her, und jetzt ist das Jahr fast vorbei – und nichts davon ist gemacht.

Immer war so viel Wichtigeres zu tun. Ich hatte keine Zeit für den Tod, das Leben kam mir stets dazwischen. Obwohl, so ganz stimmt das auch nicht.

Ich habe mich zwar vor den bürokratischen Angelegenheiten gedrückt, mich aber sonst durchaus mit dem Sterben im Allgemeinen und meinem Ableben im Besonderen auseinandergesetzt.

Einerseits, weil im nahen Umfeld jemand gestorben ist und mir einmal mehr bewusst wurde, wie unendlich schnell es gehen kann mit der Endlichkeit.

Andererseits führte ich privat und beruflich unzählige Gespräche über den Tod und das Leben, aber auch darüber, warum das Sterben in unserer Kultur so wenig Platz einnimmt. Und ich habe mich auch über ein oder mehrere mögliche Leben nach dem Tod unterhalten.

Und dabei einmal mehr gelernt: Ich will das Beste aus meinem Leben vor dem Tod, aus dem jetzigen Leben herausholen.

Weniger streiten, dafür mehr lachen

Weniger streiten, dafür mehr lachen. Weniger sorgen, dafür mehr freuen. Weniger wollen, dafür dankbarer sein. Weniger verschieben, dafür spontaner sein.

Diese Vorsätze sind nicht bahnbrechend und klingen nach Binsenwahrheiten, das ist mir klar. Und doch hat es mir gutgetan, mir dieser Dinge wieder einmal so richtig bewusst zu werden.

«Every day is extra» – auf Deutsch «Jeder Tag ist zusätzlich» – steht auf einem längst verblichenen Post-it, das über meinem Schreibtisch an einem Fotorahmen klebt.

Natürlich nehme ich jetzt nicht alles easy, werde nicht mehr wütend, streite nicht mehr und ich bin nicht dauernd ganz bescheiden vor lauter Dankbarkeit. So ist das Leben nicht, auch nicht mit der Gewissheit des Todes. Aber es gelingt mir doch öfters, grosszügig zu sein, mit mir, mit anderen, mit dem Leben.

Lustige Episoden und schlaue Worte der Kinder

Und etwas vom Schwersten, aber für mich auch etwas vom Wichtigsten, bin ich in diesem Jahr doch angegangen: Ich habe zwei ledergebundene Notizbücher gekauft, eines für meinen Sohn und eines für meine Tochter. In diesen Büchern halte ich nun unregelmässig Gedanken, Erlebnisse und Gefühle fest.

Dinge, die wir erleben, lustige Episoden und schlaue Worte der Kinder. Beim Schreiben ist mir oft mulmig und fast jedes Mal kullern mir ein paar Tränen über die Wangen.

Weil ich immer hoffe, dass ich ihnen die Bücher eines Tages schenken kann, wenn sie erwachsen sind. Dass ich sie ihnen überreichen kann, zusammen mit einer festen Umarmung. Und nicht, dass es ein Erinnerungsstück an ihre unerwartet und viel zu früh verstorbene Mutter wird. Aber – auch das wurde mir wieder bewusst – das liegt nicht in meinen Händen.

Damit ich das im Rummel des Lebens im nächsten Jahr nicht sofort wieder vergesse, habe ich das verblichene Post-it kürzlich durch ein neues, grösseres und giftgrün leuchtendes Zettelchen ersetzt:

«Every day is extra.»


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