Expertin über Radikal-Diät von Food-Influencerin«Diese Ernährungsform kann man eigentlich nicht überleben»
Von Marjorie Kublun
2.8.2023
Sie nannte sich auf Instagram «Rawveganfoodchef». Nun ist die Influencerin mit 39 Jahren gestorben. Ernährungsexpertin Angelika Kirchmaier schätzt ihre Ernährungsweise im Interview mit blue News ein.
Von Marjorie Kublun
02.08.2023, 18:31
03.08.2023, 11:35
Von Marjorie Kublun
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Die russische Food-Influencerin Zhanna Samsonova ist nach einer Radikal-Diät mit 39 Jahren gestorben.
Ernährungsexpertin Angelika Kirchmaier sagt, man könne eine solche Ernährungsform gar nicht überleben.
Der Russin habe es wahrscheinlich an Eiweiss, essenziellen Fettsäuren, Kohlenhydraten und anderem mehr gefehlt.
Extreme Ernährungsformen sind laut Kirchmaier in den letzten Jahren explodiert. Das Phänomen betreffe auch schon Kinder im Kindergartenalter.
Eine gesunde vegane Ernährung sei allerdings durchaus möglich.
Vier Jahre ihres Lebens ass und trank Influencerin Zhanna Samsonova «nur Obst, Sonnenblumenkernsprossen, Frucht-Smoothies und Säfte» – eine Extremdiät, oder als was würden Sie diese Ernährungsweise bezeichnen?
Diese Ernährungsform kann man eigentlich nicht überleben. Dass sie überhaupt so lange mit einer so einseitigen Ernährung leben konnte, wundert mich. Wahrscheinlich waren die Vitamin- und Mineralstoff-Speicher vorher sehr gut gefüllt.
Die Influencerin gab an, sechs Jahre lang kein Wasser mehr getrunken zu haben. Kann man durch Obst und Salat wirklich den Flüssigkeitshaushalt füllen?
Nein, unmöglich. Diesen No-Water-Trend gibt es schon seit ein paar Jahren und er ist höchst gefährlich. Wer nur über Obst und Gemüse versucht, seinen Flüssigkeitsbedarf zu decken, trocknet quasi aus. Das ist so, als würde man Meereswasser trinken. Es sind viel zu viele gelöste Teilchen, man darf maximal 290 pro Liter Blut zu sich nehmen. Bei Fruchtsaft liegt man bei ungefähr 600 bis 900. Man kann niemals nur mit Obst und Gemüse den Flüssigkeitsmangel ausgleichen.
Angelika Kirchmaier
Thomas Trinkl
Angelika Kirchmaier zählt zu den bekanntesten Ernährungsexpertinnen Österreichs. Sie verfügt über eine akademische Ausbildung u.a. in den Bereichen Klinische Ernährungsmedizin, Diätologie, Gesundheitswissenschaften und Sport. Sie ist ausgebildete Köchin, Autorin u.a. von «Mein knackig-frisches Immunsystem» und zweifache Mutter.
Haben sich Extremdiäten durch das Netz verbreitet?
Ja, sie sind in den letzten Jahren leider explodiert. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Mittlerweile kommen Kindergartenkinder zu mir, beispielsweise solche, die bestimmte Lebensmittel nicht mehr zu sich nehmen oder kein Wasser mehr trinken wollen, weil es so von jemandem im Internet propagiert wird.
Was hat Influencerin Zhanna Samsonova besonders gefehlt?
Ihr hat es querbeet an allem gefehlt. Es hat an Eiweiss, essenziellen Fettsäuren, Kohlenhydraten gefehlt und natürlich an den meisten Mineralstoffen. Gewisse Mineralstoffe wie B12 sind nur in tierischen Produkten zu finden. Das Einzige, was ausreichend durch das Obst und Gemüse abgedeckt war, war ein Teil der wasserlöslichen Vitamine und Mineralstoffe sowie der Ballaststoff-Anteil.
«Vegan ist möglich mit einer exzellenten Ernährungstherapie»
Kann man sich vegan gesund ernähren?
Ja, kann man. Man muss sich aber sehr gut mit Ernährung auskennen und sich informieren. Ohne Nahrungsergänzungsmittel funktioniert es kurzfristig, auf Dauer jedoch nicht. Wer nämlich längerfristig komplett auf tierische Produkte verzichtet, wird ohne Supplements irgendwann Mangelerscheinungen bekommen.
Welche Mineralstoffe und Vitamine fehlen beim Veganismus häufig?
Eiweiss, Vitamin B12, diverse Mineralstoffe wie Eisen und Calcium und die lebensnotwendigen essenziellen Fettsäuren wie Omega 3, die nicht in der richtigen Menge vorhanden sind.
Welche Lebensmittel muss man unbedingt integrieren, damit die vegane Ernährung funktioniert?
Es ist schwierig, die Ernährung über Supplements zu regeln. Viele denken: «Ich nehme einen Eiweisspulver-Drink, dann passt das schon.» Das stimmt aber nicht. Ich muss sagen: Bisher habe ich in meiner Ernährungspraxis noch kein einziges Eiweisspulver gesehen, das tatsächlich zu 100 Prozent wirkt. Die meisten wirken nicht, wie der Körper es bräuchte.
Man muss sich auch beim Thema Nahrungsergänzungsmittel sehr gut auskennen, wie das jeweilige Präparat einzunehmen ist. Beim Eisen zum Beispiel gibt es ganz viele Faktoren, die die Eisenresorption beeinflussen. So sollte man Vollkorn nicht mit Eisen zu sich nehmen. Es gibt dabei viele Faktoren, die man beachten muss, um die Vitamine und Mineralstoffe überhaupt resorbieren zu können.
Was sind die ersten Alarmzeichen des Körpers, dass etwas mit der Ernährung nicht stimmt?
Es sind sehr unspezifische. Ich merke in meiner Praxis, dass viele mit Magen-Darm-Problemen kommen, was oftmals an den in veganen Produkten enthaltenen Zusätzen liegt. Es sind oftmals ungünstige Zusammensetzungen, die sich zuerst im Magen-Darm-Trakt bemerkbar machen. Dann gibt es Blutbild-Veränderungen, Müdigkeit oder ein Kribbeln in den Beinen. Es gibt viele Symptome, die aber nicht zwingend auf ein Ernährungsproblem hinweisen.
Sehr häufig ist es so, dass man es sehr lange nicht erkennt. Danach wird die Behandlung oft schwierig, weil der Körper es verlernt, bestimmte Substanzen wie beispielsweise Vitamin B12 aufzunehmen. B12 benötigt nämlich einen «Helfer» im Magen, der sich allerdings zurückbildet, wenn man niemals B12 zu sich nimmt. Im schlimmsten Fall kann das sogenannte «Refeeding Syndrom» tödlich enden.
Sollte sich ein*e Veganer*in einem regelmässigen ärztlichen Check-up unterziehen?
Ja, ich empfehle halbjährlich.
Es gibt Leistungssportler, die vegan leben. Wie geht das zusammen?
Wenn sie gute Ernährungsberater haben, dann funktioniert das auch. In dem Fall ist es dann besonders wichtig, dass man richtige Fachleute, also Ernährungsmediziner und Diätologen, zu Rate zieht.
Ist eine vegetarische Ernährung viel gesünder als eine vegane?
Vegetarisch geht viel leichter, denn bei dieser Ernährungsform brauche ich kaum Supplements. Was ich brauche, sind das Vitamin B12 und maximal Eisen. Damit ist es eigentlich erledigt. Aber auch vegan ist möglich mit einer exzellenten Ernährungstherapie.
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