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Für «Bluewin» unterwegs (3/5) Der Tag, an dem Max Küng das Funkloch gestohlen wurde
Von Max Küng
2.10.2019
Auf der Suche nach Funklöchern in der Schweiz fährt Max Küng seinen heissgeliebten San-Bernardino-Pass hinauf. Doch dieses verdammte Strichlein, das hat Gümmeler Küng nicht auf der Rechnung gehabt.
46°29'44.9"N
9°10'13.1"E
San-Bernardino-Pass, Kanton Graubünden.
Als ich diese fünfteilige Serie über Funklöcher begann, da freute ich mich nicht nur darauf, für mich neue Orte in diesem Land zu entdecken, sondern auch, mein persönliches Lieblingsfunkloch vorzustellen. Ich weiss, wo es zu finden ist: im Kanton Graubünden, genauer auf dem San-Bernardino-Pass. Wie oft war ich in den letzten Jahren mit dem Rennvelo dort hochgefahren? Ich weiss es nicht mehr. Aber was ich weiss: Die Auffahrt ist wunderschön. Denn auch ich bin einer dieser Gümmeler.
«Gümmeler» ist ein Begriff, der nicht im Duden steht. Es existiert auch kein Wikipedia-Eintrag dazu. Findet man etwas darüber in der 24-bändigen Brockhaus Enzyklopädie? Fehlanzeige. «Gümmeler» ist einer dieser schweizerdeutschen Begriffe, ein typischer Helvetismus, nirgends exakt definiert, aber allen ist klar, wovon man spricht. Von einem Rennvelofahrer nämlich, oder wie man in Deutschland sagen würde: Rennradfahrer.
Von diesen Gümmelern gibt es diverse Sorten. Die mit rasierten Beinen und die ohne. Die, die dickköpfig ohne Helm fahren, konsequent. Die Verbissenen und die ganz Verbissenen – und die extrem Verbissenen. Sie unterscheiden sich durch den Grad der Buntheit ihrer Kleidung, in ihrem Fitnesszustand und in ihrer Beziehung zu ihrem Gefährt. Man könnte sagen: Es ist ein bunter Haufen, ein heterogener Kosmos.
Gemein ist aber allen: Sie mögen die Berge. Die Höhen, auf die geteerte Strassen führen. Die Pässe ziehen sie an. Je höher so ein Pass liegt, je weiter der Weg dorthin ist, desto besser für den Gümmeler. Auf den Pässen tummeln sich noch andere. Schmerbäuchige Motorradfahrer, die sich aus den Oberteilen ihrer Lederkombis häuten; Busladungen mit Rentnern, die die Restauranttoilette stürmen; Sportwagenfahrer, die die glühenden Bremsscheiben ihrer Gefährte abkühlen lassen.
Aber für all die motorisierten Ausflügler ist der Pass nicht das Ziel, sondern bloss ein Ort einer kurzen Rast. Ihre Reise wird so weitergehen, wie sie zuvor gewesen war. Dem Gümmeler aber steht nicht nur die Anstrengung ins Gesicht geschrieben, sondern auch eine Belohnung bevor: die Schussfahrt ins Tal.
Was die Gümmeler auf dem Pass angekommen ebenso interessiert wie die prächtige Aussicht: das Passschild. Denn dort steht, was eben geschafft wurde im Schweisse des Angesichts. Das Schild ist die Quittung. Blau auf weiss steht es geschrieben: der Name des Passes und – noch wichtiger – die Höhe in Metern über Meer, obendrein untendrunter auch noch in Fuss. Gümmeler lieben Zahlen, davon können sie nicht genug bekommen, von Metern und Minuten, alles, was man messen kann; denn den Zahlen kann man vertrauen. Gefühle sind schön und gut, Zahlen jedoch sind absolut verlässliche Gefährten. Über Gefühle zu reden? Schwierig? Von Zahlen zu erzählen? Geht stundenlang.
Zum Gümmeler-Standard bei der Befahrung eines Berges gehört folglich der sogenannte Passschildschuss – eine Fotografie des Passschildes, selbstverständlich mit dem eigenen Velo daran angelehnt, im Idealfall mit sich selbst als stolz grinsendes und von Glückshormonen geflutetes Wesen danebenstehend, eventuell den Daumen zum Okay-Zeichen gereckt.
Auch bei der Ausführung dieses Fotos unterscheiden sich die Ansprüche der Gümmeler. Manchen macht es nichts aus, wenn ihnen der Rotz an der Nase hängt, andere achten akribisch auf Details, ihrer Ansicht nach heilige Regeln, wie etwa die Ausrichtung der Kurbelarme ihres Velos oder der Schlauchventile an ihren Rädern, letztere bitte auf exakt zwölf oder sechs Uhr. Zudem: Kette vorn auf dem grossen Zahnkranz, bitte! Keine Bidons in der Halterung, bitte! Und so weiter.
Kaum ist das Passfoto geschossen, verschickt man es von seinem Smartphone in die Welt hinaus. Damit die Freunde vor Neid zergehen, die bei der Arbeit im Büro sitzen, während der Gümmeler die Natur erfährt. Damit die Frau daheim weiss, was der Mann gerade Grosses geleistet hat. Damit Gümmelerkollegen das eben Geschaffte registrieren und ästimieren können – und auch sie neidisch werden. Damit alle wissen: Man ist oben angekommen. Man hat es geschafft. Man hat die Bestie Berg bezwungen. Man ist, was man ist: ein Held.
Der San Bernardino, ich deutete es bereits an, ist mein liebster Pass der Schweiz. Das hat einerseits damit zu tun, dass ich meine Ferien oft im Misox verbringe, jenem Tal, welches vor allem zweier Dinge wegen bekannt ist: Einerseits fliesst die Autobahn A 13 als Gotthard-Ausweich-Option hindurch, andererseits nuckeln die Menschen in den Städten gern an den Gazosa-Flaschen mit dem Bügelverschluss, auf deren Etikett der Torre Fiorenzana in Grono prangt, denn ebendort wird die süsse Limo in all ihren neun Geschmacksrichtungen abgefüllt.
Ansonsten ist das Misox ein eher unbekanntes, stilles Wesen, was mir sehr recht ist. Sommers ist auf jeden Fall die Zürcher-Dichte definitiv geringer als beispielsweise im Engadin. Ausserdem hat es Skorpione. Und mit die ältesten Bäume des Landes. Und die besten Metzger. Und eben: Der San Bernardino lockt!
Wie jeder Pass hat auch der San Bernardino zwei Seiten; schön ist er von beiden. Von Süden warten ab Bellinzona auf fünfzig Kilometer verteilt knappe 2‘000 Höhenmeter, zudem die Durchfahrt diverser Vegetationsstufen – von der mediterran anmutenden, palmenbestückten Talsohle hoch durch die kühlen Schatten spendenden Wälder, über die Waldgrenze hinaus und hinein in eine für Kurve um Kurve karger werdende Hochgebirgslandschaft.
Natürlich ist auch die eine oder andere fiese Rampe dabei, dafür jedoch kein einziger Tunnel. Von der Nordseite kommt’s drauf an, wie lange der Anlauf sein soll. Ob man in Chur startet, dann die spektakuläre Viamala-Schlucht durchradelt, oder später einsteigt: Ab Hinterrhein geht es wunderbar moderat in die Höhe, Serpentine um Serpentine kann man schlucken – auch ein relativ lahmarschiger Gümmeler fühlt sich dort ein Stück weit schnell wie Marco «Elefantino» Pantani.
Auf der Passhöhe des San Bernardino angekommen folge ich immer demselben Ritual, seit Jahren. Der Passschildschuss wird geknipst, mit Bidon und ohne auf die exakte Ausrichtung der Ventile zu achten. Dann hocke ich mich vor dem Ospizio auf einen der Plastikstühle, bestelle eine Gerstensuppe (die hier natürlich Zuppa d’Orzo heisst), eine Cola und blicke auf den Laghetto Moesola, in dem sich der Himmel spiegelt, strecke die Beine, die von der Anstrengung wohlig surren.
Sonst gibt es nichts zu tun, weil: Es gibt keinen Handyempfang hier oben.
Ich bin folglich dazu verdammt, in die Landschaft zu schauen, und nicht auf mein Handy.
Das Passschildfoto sende ich jeweils etwas später an meine Arbeitskollegen, an meine Frau, an meine Gümmelergenossen, auf dem Rückweg, dort, wo es wieder Empfang gibt, am Ende des Sees, kurz bevor die Strasse steil gen Süden abfällt, der Blick weit in den Süden geht und die zur Schussfahrt einladende Kurvenparade ihren Anfang nimmt. Dort halte ich jeweils kurz an, sende die frohe Botschaft in die Welt hinaus, fahre weiter.
Bis letzte Woche jedenfalls war dem so. Seither aber nicht mehr. Nicht ohne Erstaunen sah ich nach meiner letzten Auffahrt zwei britische Motorradfahrer, die im Schatten der Werbesonnenschirme sassen und auf ihren Handys rumdrückten. Auch am Nebentisch wurden kleine Geräte gehätschelt. Und als ich auf mein Display blickte, da sah ich: Empfang. Ein Strichlein zwar bloss, aber eindeutig Empfang.
Ich rief sofort meine Frau an, um zu kontrollieren, ob dem wirklich so war. Sie nahm ab und sagte: «Hallo?» Ich sagte: «Fuck! Das Funkloch ist verschwunden!»
Ich stapfte hinter das Haus, aber auch dort: Empfang. Minimal zwar, aber eindeutig: Empfang! Ich ging den See entlang, erklomm die Felsen, wo Steinmandli an Steinmandli errichtet wurde, es ausschaut wie auf einem verdammten Steinmandli-Friedhof (und wer Freude daran hätte, Steinmandli umzuschmeissen, der hätte hier wahnsinnig viel zu tun). Überall Empfang!
Ich konsultierte online die Netzabdeckungskarte – und sah dort, dass tatsächlich Empfang verzeichnet ist, weit herum, gar bis zur Spitze des markanten Piz Uccello (2'723 Meter), dem Wahrzeichen des Dorfes San Bernardino. Das nächste Funkloch wäre hinter dem Piz Moesola (2'963 Meter) zu finden. Luftlinie sind das zwar keine drei Kilometer, aber mit den Veloschuhen hatte ich semioptimale Ausrüstung für eine Kletterpartie an den Füssen. Laut rief ich in die karge Steinwelt, die mich umgab: «Fuck!» Das Echo widersprach mir nicht.
Enttäuscht setzte ich mich in den Schatten vor das Restaurant, bestellte eine Gerstensuppe und eine Cola, so wie immer halt, obwohl es nicht mehr so wie immer war. Der Kellner nickte, als ich ihn darauf ansprach, und er lächelte. «Si, si», sagte er. Es gebe nun Empfang hier oben. Man habe auf den Lüftungskaminen des vierhundert Meter unter uns verlaufenden Strassentunnels Antennen angebracht, sowohl an jenem im Süden wie auch an jenem im Norden.
Das Funkloch wurde gestopft. Oder besser: Es wurde mir gestohlen. Zu meinem grossen Bedauern. Ich ass die Suppe. Trank die Cola. Dann fuhr ich wieder los. Den Passschildschuss verschickte ich von der gewohnten Stelle aus. Dann ging es hinunter.
PS: Im Norden lohnt es sich auf der Weiterfahrt in Sufers einen Halt einzulegen und im Hotel Seeblick mit Seeblick ein Stück Wähe zu essen, die in meinem Fall um 10:32 Uhr noch ofenwarm und knusprig serviert wurde – und die wohl die derzeit weltbeste Wähe darstellt. Im Süden lohnt es sich, in Mesocco in der Macelleria Alpina zu stoppen, weil: Das Carne Secca dort ist nicht zu toppen. Bonus-Tipp zu Mesocco: Nicht zu schnell ins Dorf rein blochen mit dem Rennvelo, sonst scheppert’s im Gehirn, denn das Kopfsteinpflaster ist Hardcore.
Zum Autor: Max Küng
Max Küng, 1969 geboren, stammt aus Maisprach BL – dort wuchs er auf einem Bauernhof auf. Seit 20 Jahren schreibt er Texte und Kolumnen für «Das Magazin». Er hat Romane und andere Bücher publiziert, zuletzt
erschien die Kolumnensammlung «Die Rettung der Dinge» bei Kein & Aber. Derzeit arbeitet Küng an seinem neuen Roman, dieser wird im Frühling 2020 erscheinen. Max Küng lebt in Zürich. Er ist verheiratet und Vater zweier Söhne. Er fährt gern Velo.
Für «Bluewin» unterwegs
Der vierte Teil der Serie mit Max Küng erscheint am Mittwoch, 9. Oktober, auf «Bluewin». Den zweiten Teil der Serie finden Sie unter folgendem Link. Und den ersten Teil hier.