Kolumne Das Jahr bliebe eine halbe Sache, würde ich es bereits abhaken

Von Caroline Fink

21.6.2021

Das erste Halbjahr 2021 ist vorbei. Unsere Kolumnistin blickt zurück und sieht: ein Wechselbad aus Spektakel und Sorgen. Sie hat sich schon überlegt, das Jahr mit einer Silvesterparty vorzeitig abzuschliessen. Doch dann kamen ihr die alten Griechen in die Quere.

Von Caroline Fink

Kürzlich erzählte ein Kollege beim Mittagessen, er hätte mal im Juli Silvester gefeiert. Warum? Weil er und seine Freunde entschieden hätten, das Jahr vorzeitig zu beenden. «Weil es zu mies war.»

Ich habe noch nie ein Jahr vorzeitig beendet. Zum Jahreswechsel 2021 war ich jedoch froh, das Jahr 2020 in die Wüste zu schicken. Wir standen in La Punt im Schnee und zündeten bengalische Lichter an, um 2021 willkommen zu heissen.

Jetzt ist es bald zur Hälfte vorbei, dieses neue Jahr. Und ich blicke etwas verwundert, ja perplex, auf seine ersten sechs Monate zurück. Wie sie waren?

Zur Autorin: Caroline Fink
Bild: Gaudenz Danuser

Caroline Fink ist Fotografin, Autorin und Filmemacherin. Selbst Bergsteigerin mit einem Flair für Reisen abseits üblicher Pfade greift sie in ihren Arbeiten Themen auf, die ihr während Streifzügen in den Alpen, den Bergen der Welt und auf Reisen begegnen. Denn von einem ist sie überzeugt: Nur was einen selbst bewegt, hat die Kraft, andere zu inspirieren.

Nun, eine liebe Bekannte von mir wurde von einem Auto angefahren und lag im Spital, eine andere Freundin grämt sich mit einem notorischen Exhibitionisten in ihrem Garten, eine Bergkameradin fiel 25 Meter tief in eine Gletscherspalte – und überlebte mit mehreren Knochenbrüchen.

Ich selbst hatte Covid auf knapp 5000 Metern Höhe, strandete für mehrere Wochen aufgrund eines harten Lockdowns in Nepal und wurde zum seltsamen Eremiten während zehn Tagen Quarantäne in meiner Wohnung.

In anderen Worten: Jüngst kam mir der Gedanke, Ende Juni Silvester zu feiern.

Doch dann fiel mir ein, was da sonst noch war: Der Auftrag etwa, während zwei Monaten eine Expedition im Himalaja zu filmen. Überhaupt das Privileg, in ein Flugzeug zu steigen und wenig später tibetische Mönche beim Gebet zu sehen. Durch Wälder voll blühendem Rhododendron zu wandern.

Nach meiner Rückkehr mit Freundinnen und Freunden auf dem Balkon zu sitzen und Chinotto zu trinken. Mit meinem neuen Mountainbike erstmals im Leben verspielte Singletrails zu entdecken. Oder mit 100 Künstlerinnen und Künstlern an einem Sommerabend auf der Dachterrasse meines Ateliers Vernissage einer Ausstellung zu feiern.

Glück – ein vielschichtiger Begriff

Was bot es also bisher, dieses 2021? Wenn etwas, dann wohl das: Licht und Schatten, Höhen und Tiefen, Freud und Leid. Und das alles in extremis.

Kürzlich fielen mir deshalb die Griechen der Antike ein, die gesagt haben sollen, ein Leben könne als glücklich gelten, wenn es zur Hälfte aus guten Zeiten bestehe.

Weiter las ich auf Wikipedia, Glück sei «ein sehr vielschichtiger Begriff, der Empfindungen vom momentanen bis zu anhaltendem, vom friedvollen bis zu ekstatischem Glücksgefühl einschliesst». Insofern dürfte ich mit meinem bisherigen 2021 ganz zufrieden sein.

Friedvoll oder anhaltend glücklich war es zwar nicht. Ekstatisch schon eher. Zumindest hie und da. Intensiv und voller Eindrücke auch. Ein Jahr halt, das in die Geschichte meines Lebens eingehen wird. Von dem ich noch erzählen werde in einer Zeit, in der ich zur Generation jener gehören werde, «welche die Pandemie noch erlebt haben».

Deshalb verzichte ich auf die Silvesterparty Ende Juni. Stattdessen halte ich das Ticket für die nächsten sechs Monate 2021 in der Hand. Blicke nach vorn, richte die Krone und lasse mich überraschen, was dieses Jahr noch bringen wird.

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In der Rubrik «Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren, freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von «blue News» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine E-Mail an: redaktion.news@blue.ch.

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