Kolumne Von Corona, Kröten und Grossmutters Wut auf die Chinesen

Von Caroline Fink

1.2.2021

Unsere Kolumnistin wollte mit ihrer Oma über Covid und Impfen reden. Doch sie erfährt einzig: Grossmutter möchte die Chinesen für den Virus bestrafen. Die Enkelin, die selbst schon in China war, teilt diese Meinung nicht. Bis ein chinesischer Drache sie im falschen Moment angrinst.

Meine Grossmutter ist 90 Jahre alt und fit wie ein Turnschuh. Sie lebt allein im vierten Stock ohne Lift, marschiert quer durch die Stadt zum Einkaufen und fährt nach wie vor in die Ferien ins Wallis. Das finde ich grossartig.

Umgekehrt machte mir ihr Aktivitätslevel in Kombination mit ihrem Alter angesichts der Pandemie jüngst auch Sorgen. So griff ich kürzlich zum Telefonhörer und wählte ihre Nummer.

Das Ziel: Herauszufinden, ob sie sich impfen lassen oder – im Fall einer Erkrankung – intensivmedizinisch behandelt werden möchte.

«Die Chinesen sind schuld»

Zur Autorin: Caroline Fink
Bild: Gaudenz Danuser

Caroline Fink ist Fotografin, Autorin und Filmemacherin. Selbst Bergsteigerin mit einem Flair für Reisen abseits üblicher Pfade greift sie in ihren Arbeiten Themen auf, die ihr während Streifzügen in den Alpen, den Bergen der Welt und auf Reisen begegnen. Denn von einem ist sie überzeugt: Nur was einen selbst bewegt, hat die Kraft, andere zu inspirieren.

Vorneweg: Antworten auf meine Fragen erhielt ich keine. Die Impfung sei etwas gar schnell entwickelt worden, sagte sie nur. Und Leute in ihrem Alter kämen ohnehin nicht mehr auf die Intensivstation.

Bloss in einem Punkt war sie klar und deutlich: Die Chinesen! Auf die habe sie eine Wut! Die seien mit ihrem gruusigen Essen schuld an der Misere der Welt!

Ich redete zur Verteidigung Chinas über verschiedene Kulturen und die Globalisierung. Doch Grossmutter überhörte mich. Vielleicht weil sie fast taub ist, vielleicht auch weil sie weiterreden wollte: Die Chinesen! Die müssten jetzt drankommen! Jawohl! So richtig drannehmen müsse man die! Ich staunte. Wusste ich doch gar nicht, dass meine zierliche Mamama – so nenne ich sie bis heute – solche Wörter kennt.

China überforderte mich

Meine telefonische Mission war also gescheitert. Einziger Trost war, dass mir meine Reise nach China wieder einfiel. Die Nachtmärkte und deren Wirbel aus brutzelnden Fleischspiessen, dampfenden Töpfen und farbigen Lampions.

Die älteren Chinesen, die im Park Tai-Chi übten, während Paare nebenan zu Lautsprechermusik Walzer tanzten. Die westlich anmutenden Supermärkte, die zwischen Gemüse und Kosmetik auch lebende Kröten verkauften, und die Zahnärzte, die in der Gasse hinter dem Sheraton Hotel Zahnprothesen montierten.

Es war die einzige Reise, auf der ich zwischen den Streifzügen durch Städte und Dörfer immer wieder lange Pausen im Hotelzimmer brauchte. China überforderte mich. Es war, als würden die Puzzleteile in meinem Kopf nicht mit jenen des chinesischen Alltags zusammenpassen, und so gewöhnte ich mir das Urteilen oder Verurteilen des Erlebten kurzerhand ab – zu fremd war die Welt, in die ich eingetaucht war.



Grossmutters Wut auf die Chinesen fiel mir wenige Tage nach meinem Anruf dennoch wieder ein. Ich wurde nämlich krank. Kein Covid, sagten die Tests, doch ich fühlte ich mich ziemlich mies. Als ich dann zwecks Linderung unter einem Frotteetuch Dampf inhalierte, blickte ich irgendwann in die Schüssel voll heissem Wasser vor meiner Nase und sah: einen chinesischen Drachen, der mich frech angrinste! Offenbar hatte ich im Schrank die Schüssel aus dem Chinashop erwischt.

Zugegeben, in diesem Moment kochte auch bei mir eine gewisse Wut hoch. Eine Wut auf diesen chinesischen Drachen, der sich über meine Visage lustig machte! Als ich wenig später Tigerbalsam auf die Stirn schmierte, las ich vorsichtshalber die Inhaltsangaben der Salbe.

Was mich wiederum beschwichtigte: Tiger sind keine enthalten. Fledermäuse auch nicht. – Drei Tage später war ich übrigens wieder gesund. Und meine Grossmutter geimpft.


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