Kolumne Darum will ich künftig noch mutiger sein

Von Michelle de Oliveira

21.1.2024

Mutig zu sein bedeutet nicht nur, äussere Herausforderungen zu überwinden, sondern auch, sich den inneren Ängsten zu stellen.
Mutig zu sein bedeutet nicht nur, äussere Herausforderungen zu überwinden, sondern auch, sich den inneren Ängsten zu stellen.
Bild: Renato de Oliveira

Der Sohn der Kolumnistin beschäftigt sich im Moment mit Mut. Und hat sie damit selbst zum Nachdenken gebracht. Was ist Mut? Und vor allem hat sie gemerkt: Mut ist oft etwas ganz anderes, als wir denken.

Von Michelle de Oliveira

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Der sechsjährige Sohn von blue News Kolumnistin Michelle de Oliveira beschäftigt sich im Moment viel mit dem Thema «Mut».
  • Diese Tatsache hat seine Mutter nun ebenfalls zum Nachdenken gebracht: Was ist Mut eigentlich?
  • Mutig zu sein bedeutet also nicht nur, äussere Herausforderungen zu überwinden, findet de Oliveira, sondern auch, sich den inneren Ängsten zu stellen.

Mut ist bei mir gerade ein grosses Thema.

Zunächst jedoch nur indirekt, weil Mut meinen sechsjährigen Sohn derzeit sehr beschäftigt: Er findet es mutig, wenn er einen grossen Hund streichelt, wenn er vom Klettergerüst springt oder wenn er im Meer mit dem Kopf untertaucht.

Hingegen fehlt ihm der Mut, wenn er alleine in seinem Zimmer etwas holen möchte oder wenn er auf das WC will, der Lichtschalter aber zu weit im Dunkeln liegt.

Mutig ist, wer mutiges tut

Für meinen Sohn ist klar: Mutig ist, wer Mutiges tut. Und damit meint er Dinge, die als stark oder gefährlich gelten.

Zur Person: Michelle de Oliveir

Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogini, Mutter und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Ausserdem hat sie ein Faible für alles Spirituelle. In ihrer Kolumne berichtet sie über ihre Erfahrungen mit dem Unfassbaren, aber auch aus ihrem ganz realen Leben mit all seinen Freuden und Herausforderungen. Sie lebt mit ihrer Familie in Portugal.

Dabei versuche ich ihm immer wieder – mal subtiler, mal ziemlich deutlich – zu zeigen, dass Mut auch genau das Gegenteil bedeuten kann.

Dass es zwar mutig sein kann, vom 3-Meter-Turm zu springen, aber es mindestens genauso mutig ist, einfach umzukehren und zu sagen: «Ich schaffe das nicht.»

Vielleicht liegt die wahre Definition von Mut doch genau dort, wo wir etwas nicht wagen, dann, wenn wir unsere Unsicherheiten zulassen, statt sie zu verdrängen.

Ich bin nicht besonders mutig

Und mit diesen Gedanken wurde Mut plötzlich auch zu meinem Thema. Ich würde mich nicht als besonders mutig bezeichnen:

Auf schmalen Graten wird mir schnell mulmig, beim Klettern kriege ich gerne mal weiche Knie und ich exponiere mich nur ungerne, wenn meine Meinung nicht der Mehrheit entspricht.

Mutig zu sein bedeutet also nicht nur, äussere Herausforderungen zu überwinden, sondern auch, sich den inneren Ängsten zu stellen. Das beobachte ich nicht selten bei mir. Mir fällt es oft schwer, Nein zu sagen, und dann tue ich Dinge, die eigentlich nicht zu mir und meinen innersten Überzeugungen passen.

Weil ich niemanden verletzen will, weil ich nicht kompliziert sein will, weil ich nicht anecken will, weil ich gemocht werden will. Ich finde, sich selbst gegenüber aufrichtig zu sein, ist ein immenser Akt von Mut, der oft nicht als solcher anerkannt wird.

Es braucht Mut, sich zu verabschieden

Mein sechsjähriger Sohn findet aber nicht nur das Streicheln von grossen Hunden mutig. Neulich sagte er, dass es ihn auch Mut koste, mir «Tschüss» zu sagen, wenn wir für ein paar Tage getrennt sind.

Ich finde, damit hat er einen wichtigen Punkt angesprochen. Es braucht Mut, sich zu verabschieden. Sei es für ein paar Tage – mir fällt das noch immer unfassbar schwer, seit ich Mutter bin – aber auch dann, wenn es für immer ist. Wenn man jemanden verloren hat, braucht es Mut, sich dem Schmerz zu stellen und sich – in welcher Form auch immer – zu verabschieden.

Oder aber auch dann, wenn man sich gewollt von jemandem verabschiedet. Weil es wehtut, auch wenn man weiss, dass es besser ist. Loslassen ist mutig, nicht nur, wenn man sich vom hohen Klettergerüst fallen lässt.

Wenn ich «Nein» meine, sage ich nicht «Ja»

Ich habe keine Vorsätze gefasst für das neue Jahr, aber ich will mutiger sein. Und zwar nicht zwingend in riesigen, lebensverändernden Entscheidungen, sondern vor allem im Kleinen, im Alltag, vor allem mir selbst gegenüber:

Wenn ich «Nein» meine, sage ich nicht «Ja».

Wenn ich Hilfe oder Unterstützung brauche, hole ich sie mir. Wenn ganz viele Top-Surfer im Wasser sind, stürze ich mich in die Wellen, obwohl ich noch immer – wenn überhaupt – nur ein paar Sekunden auf dem Brett stehe.

Ich will mehr bei mir bleiben und weniger bei den Gedanken an die anderen.

Oder anders gesagt: Give less fucks. Weil ich glaube, dass Mut mehr ist als ein impulsiver Akt. Vielmehr ist Mut eine ständige Reise, eine kontinuierliche Entscheidung. Auf geht’s!


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