50 Jahre Avantgarde Concorde der Strasse – Citroën SM ist noch immer einzigartig 

dpa/tafi

12.7.2020

Der Citroën SM ging als «Seine Majestät» in die Geschichte ein. Die Regentschaft des vielleicht schönsten Autos der Welt währte allerdings nur kurz. Dafür ist die Mischung aus Sportwagen und Limousine heute noch immer einzigartig.

Die Welt ist im Aufbruch: In den 1970er-Jahren scheint kein Ziel unerreichbar. Die US-Amerikaner fliegen zum Mond, über den Atlantik pendelt die Concorde, und auf der Schiene lässt der Trans-Europ-Express die Distanzen schrumpfen.

Das ist der Geist, in dem auch die Citroën-Ingenieure mal wieder den Aufbruch wagen. Im Ringen um Aufstieg, Anerkennung und der Sehnsucht nach einem sportlichen Topmodell zeigen sie im Frühjahr 1970 mit dem SM ein Auto wie von einem anderen Stern.

Ein Architekt zeichnet die Zukunft

Gezeichnet hat den SM der eigentlich als Architekt ausgebildete Designer Robert Opron – mit einer spektakulären Linie, einer rasend schnellen Silhouette und einer unter Glas verborgenen Front mit sechs Scheinwerfern. Mit dem bei Maserati eingekauften Motor fährt das knapp 4,90 Meter lange Luxuscoupé direkt an die Spitze und wird zum elegantesten und avantgardistischsten Auto, das die französische PS-Welt bis dahin hervorgebracht hat: Fans haben das offizielle Kürzel, das je nach Quellenlage mal mit System Maserati oder Sport-Maserati ausgeschrieben wird, in «Sa Majesté» oder «Seine Majestät» umgemünzt.



Die Planungen für den SM reichen zurück bis in die frühen 1960er-Jahre, als der technologische Aufbruch beginnt und Citroën nach einem avantgardistischen Angebot für die Haute Volée sucht. Und schon damals sprechen die Franzosen mit Maserati, weil sie selbst keinen Sechszylinder haben.

Dass es dann doch ein paar Jahre länger dauert mit der Umsetzung, tut dem Projekt keinen Abbruch. Denn mittlerweile ist Citroën Mehrheitseigner bei der kriselnden Traummarke aus Italien, und der «Organspende» steht nichts mehr im Wege, erzählt SM-Experte Volker Hammes aus Kaarst.

Concorde für die Strasse

So bekommt die Concorde für die Strasse ihre Startfreigabe und erobert die Autobahn im Sturm: Die Tester sind begeistert. Details wie die geschwindigkeitsabhängige Servolenkung, die sich sogar im Stand selbst zurückstellt, und das hydraulische Fahrwerk mit seinem wolkengleichen Federungskomfort beeindrucken.

Selbst der deutsche Sportwagen Porsche 911 verblasst angesichts der Finesse, der Avantgarde und des Luxus, den die Franzosen zu bieten haben. Und angesichts des Preises, muss Hammes einräumen: Der SM ist teurer als der 911. «Macht aber nichts», rückt der Sammler die Koordinaten wieder zurecht.



Denn auch wenn die Fahrleistungen auf einem ähnlichen Niveau lagen, zielte der SM in Sachen Komfort und Luxus eher auf eine andere Marke aus Stuttgart: Mercedes. «Der SM war für die Franzosen, was die S-Klasse für die Deutschen war», sagt Hammes: «Das beste, was die eigene Automobilindustrie zu bieten hatte.»

Dass der SM bisweilen als Concorde für die Strasse bezeichnet wurde, liegt aber nicht allein am aerodynamischen Design mit einem konkurrenzlosen cw-Wert von 0,32 und der avantgardistischen Technik, sondern vor allem an den Fahrleistungen. Denn obwohl der Sechszylinder wegen einer Steuergrenze auf 2,7 Liter Hubraum und 125 kW/170 PS gedrosselt wird, erreicht der SM 220 km/h Spitze und ist damit seinerzeit der schnellste Fronttriebler der Welt.

Rücksichtsvolle Probefahrt

So schnell zu fahren, erfordert damals zumindest Übung und braucht heute einen gewissen Mut. Zum einen, weil der SM eine absolute Rarität ist und man den Oldtimer deshalb besser rücksichtsvoll bewegt. Und zum anderen, weil die Technik ihre Tücken hat. Das gilt vor allem für die eigenwillige Lenkung. Denn wer das Einspeichen-Lenkrad ohne das nötige Feingefühl bedient, der nimmt Kurven ziemlich eckig und fährt auf der Geraden schon mal Schlangenlinien.

Dass der Wagen vorne rund 20 Zentimeter mehr Spurweite hat als hinten, ist zumindest ungewöhnlich. Und auch das Bremsen erfordert ein wenig Gewöhnung, weil der SM dafür kein Pedal hat, sondern eine Art Gummiball – was die Dosierung nicht eben leichter macht.



Dann doch lieber langsam anfangen und den Blick dafür schweifen lassen in einem Cockpit, das seinesgleichen sucht. Schon das Lenkrad ist eine Schau, die ovalen Instrumente im kupfern ausgeschlagenen Cockpit sind eine Augenweide und der filigrane Schaltknüppel in der grossen Kulisse ist ein Blickfang. Vom Radio zwischen den Sitzen ganz zu schweigen.

Je länger man mit dem SM unterwegs ist, desto majestätischer fühlt sich der grosse Franzose an. Und desto mehr kann man das Gran-Turismo-Gefühl verstehen, von dem die Kunden damals schwärmten. Schnell wie ein Sportwagen, komfortabel wie eine Limousine – das war eine ganz eigene Kombination.

Die Zukunft war kurz, die Oldtimer sind teuer

So steil der SM damals aufstieg, so kurz währte seine Karriere. Denn der Höhenflug dauerte gerade einmal bis 1975, berichtet Citroën-Pressesprecher Christopher Rux. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Die aufziehende Ölkrise dürfte einer gewesen sein, die Übernahme durch Peugeot und der Verkauf der Maserati-Anteile an De Tomaso ein weiterer.

Und dass Frankreich 1974 das Tempo auf der Autobahn auf 130 km/h limitierte, war dem Überflieger sicher auch nicht zuträglich. Deshalb wurden auch insgesamt nur 12'920 Autos gebaut – und die letzten Rohkarossen mangels Nachfrage sogar verschrottet.



Wer heute einen gut erhaltenen SM fahren will, muss in der Regel mittlere bis hohe fünfstellige Beträge bereithalten, im Extremfall sogar mehr. Und es bedarf auch eines gewissen Geschicks. «Zwar ist die Ersatzteillage gar nicht schlecht», sagt Hammes mit Blick auf die vom Club organisierte Nachfertigung wichtiger Komponenten. «Doch wer nicht selbst am Auto schrauben kann, der muss vor allem bei der Wiederherstellung eines Restaurationsobjekts sehr tief in die Tasche greifen.»

Aber «seine Majestät» ist aller Mühen wert. Nicht nur finanziell, weil die Preise nach Hammes’ Einschätzung künftig eher steigen als fallen werden. Sondern auch wegen des unerreichten Fahrgefühls. Während die echte Concorde längst ausser Dienst ist, fliegt der SM auch weiterhin über die Strasse.

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