Psychische ErkrankungenApps sollen Depressionen bei Teenagern frühzeitig erkennen
Lindsey Tanner, AP
8.1.2019
Mit der Auswertung von Handy-Nutzerdaten sollen Rückschlüsse auf die psychische Gesundheit geschlossen werden. Bis zur Marktreife solcher Apps wird es wohl noch einige Jahre dauern. Dann könnten sie jedoch die Psychiatrie tiefgreifend verändern.
Die Zunahme von Depressionen und der Anstieg der Selbstmordrate unter Teenagern und jungen Erwachsenen in den USA hat Forscher auf eine provokante Frage gebracht: Kann dasselbe Gerät, das einige Menschen für Ängste und Beklemmungen in unserer Zeit verantwortlich machen, auch dazu beitragen, diese zu erkennen? Dieser Gedanke hat ein regelrechtes Rennen um die Entwicklung von Smartphone-Apps ausgelöst, die vor psychischen Krisen warnen sollen.
Studien haben die exzessive Nutzung von Smartphones in einen Zusammenhang mit einer Verschlechterung der mentalen Gesundheit von Teenagern gebracht. Mit der Art, wie junge Menschen durch Instagram und Snapchat scrollen, wie sie Texte tippen oder YouTube-Videos ansehen, hinterlassen sie jedoch auch digitale Spuren, die Hinweise auf ihr psychisches Wohlbefinden zulassen.
Veränderungen bei Tipp-Geschwindigkeit, Tonfall, Wortwahl oder wie oft Kinder und Jugendliche zu Hause bleiben, können Studien zufolge auf Probleme hinweisen. Es gebe bis zu 1000 Smartphone-Biomarker für Depression, sagt Thomas Insel, ehemaliger Leiter des National Institute of Mental Health (NIMH) und heute einer der führenden Vertreter der Smartphone-Psychiatrie-Bewegung.
Potenzielle Selbstschädigung vorhersagen
Die Forscher testen Apps mit künstlicher Intelligenz, um depressive Episoden oder potenzielle Selbstschädigung vorherzusagen. «Wir verfolgen das Gegenstück zum Herzschlag im menschlichen Gehirn», sagt Alex Leow, App-Entwickler am Lehrstuhl für Psychiatrie der University of Illinois in Chicago. Bis es geprüfte, frei erwerbliche Stimmungserfassungs-Apps gibt, werden nach Ansicht der Entwickler jedoch noch einige Jahre vergehen.
Dabei spielen Datenschutz-Aspekte eine grosse Rolle. Für die Nutzung einer solchen App sei es erforderlich, dass die User bewusst zugestimmt hätten und ihre Zustimmung jederzeit widerrufen könnten, sagt Psychologe Nick Allen von der University of Oregon.
Allen hat eine App entwickelt, die an jungen Menschen getestet wird, die einen Selbstmordversuch unternommen haben. Die grösste Hürde im Moment sei, aus der Menge von Daten auf dem Smartphone die entsprechenden Indikatoren für eine mentale Krise zu identifizieren, sagt er.
Rund drei Millionen Teenager sind nach Zahlen der US-Regierung von Depressionen betroffen, Tendenz steigend. Die Selbstmordraten haben sich zwischen 2007 und 2015 bei Mädchen verdoppelt, bei den Jungen betrug der Anstieg 30 Prozent.
Facebook: Proaktive Erkennung
Menschen mit psychischen Krankheiten würden normalerweise erst behandelt, wenn sie eine Krise hätten und der Krankheitsverlauf sehr weit fortgeschritten sei, sagt Insel. «Wir wollen eine Methode haben, um die ersten Zeichen zu identifizieren.»
Wenn dies gelingt, könnten Smartphones in Echtzeit Hilfe bieten, etwa mit automatisierten Textbotschaften, Links und Telefonnummern von Hilfsangeboten oder Alarmmeldung an Eltern, Ärzte und Ersthelfer.
Facebook hat bereits eine sogenannte proaktive Erkennung eingeführt. Auslöser war ein live auf der Plattform übertragener Selbstmord. Inzwischen sind die Systeme von Facebook so eingerichtet, dass sie bestimmte Wörter oder Sätze in Postings erkennen, die auf eine bevorstehende Selbstschädigung hindeuten. Auch die Kommentare von besorgten Freunden werden einbezogen.
«Im vergangenen Jahr haben wir so Ersthelfer unterstützt, weltweit rund 3500 Menschen zu erreichen, die Hilfe brauchten», sagte Facebook-Chef Mark Zuckerberg im November. Zum Ausgang der Fälle machte das Unternehmen keine Angaben.
Aktuelle Studien
– An der Stanford University nehmen rund 200 Teenager an einer Studie teil, darunter Mobbing-Opfer, Kinder mit problematischen Familienverhältnissen oder anderen belastenden Hintergründen. Die Kinder werden zum Teil seit der Grundschule begleitet. Eine App fragt über einen Zwei-Wochen-Zeitraum dreimal am Tag ihre Stimmung ab. Die Wissenschaftler kombinieren die Antworten mit passiven Smartphone-Daten, die etwa anzeigen, wie aktiv die Kinder sind. Damit sollen mögliche Veränderungen identifiziert werden, die im Zusammenhang mit einer künftigen Depression stehen könnten.
– An der University of California in Los Angeles bieten Wissenschaftler eine Online-Beratung sowie eine App für Studenten an, die bei einem Test Anzeichen einer leichten Depression gezeigt haben. Rund 250 Studienanfänger haben sich bereit erklärt, die App im ersten Jahr zu testen. Dabei wird überprüft, wie die übermittelten Daten von der App mit der Verbesserung oder Verschlechterung der Symptome aus der Internet-Therapie korrelieren.
— An der University of Illinois untersuchen die Wissenschaftler mit ihrer App Depressionen und manische Phasen bei bipolaren Störungen. Bislang haben 2000 Teilnehmer die frei zugängliche App heruntergeladen und eingewilligt, dass Daten wie Schreibgeschwindigkeit, Zahl der Tippbewegungen oder die Nutzung der Rechtschreibprüfung übermittelt werden. Bislang ist die Studie für Personen ab 18 Jahre ausgelegt, wenn sie erfolgreich ist, könnte sie aber auf jüngere Teilnehmer ausgeweitet werden.
— Das Unternehmen Mindstrong in Kalifornien, das von Ex-NIMH-Chef Insel mitgegründet wurde, testet seine App in mehreren Studien. Die Technologie habe das Potenzial, die Psychiatrie zu verändern, sagt er. Die wichtigste Frage sei jedoch, ob sie auch die Gesundheit der Patienten verbessern könne. Google-Ableger Verily entwickelt eine ähnliche App, die nach Aussage des Unternehmens Vorhersagen über die mentale Gesundheit eines Menschen machen kann.
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Das Präsidenten und Kandidaten regelmässig offenlegen, wie es um ihre Gesundheit bestellt ist ist eine Besonderheit der US-Politik. Rechtlich ist das nicht vorgeschrieben, es ist aber zu einer Art Ritual geworden.
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