Mit bald 41 Jahren hat Serena Williams noch ein Ziel: der 24. Grand-Slam-Titel. Dieser Traum wird ihr wohl verwehrt bleiben. «Väterchen Zeit» entzieht sich nicht mal eine Superheldin.
Es gab eine Zeit, da überwand Serena Williams – einer übermenschlichen Superheldin gleich – jedes Hindernis. Eine Jugend in Los Angeles' Problemviertel Compton? Ehrgeizige Eltern und das eigene Talent führen sie da raus. Eine Knieoperation 2003? 18 Monate später gewinnt sie das Australian Open. Rückfall bis auf Platz 81 der Weltrangliste und der angebliche Verlust der Motivation? Kein Problem, Williams gewinnt das Australian Open 2007 und wird wieder die Nummer 1.
So lief es in ihrer turbulenten Karriere immer wieder. Eine Lungenembolie bedrohte 2011 sogar Williams' Leben, doch sie kehrte stärker denn je zurück. Selbst nach der schwierigen Geburt ihrer Tochter erreichte sie nochmal vier Grand-Slam-Finals, zwei davon in Wimbledon. Doch sie verlor alle vier, und so fehlt ihrer unvergleichlichen Karriere das Tüpfelchen auf dem i. Mit 23 Major-Titeln weist Williams einen weniger auf, als die im Tenniszirkus wegen ihrer homophoben Ansichten verpönte Margaret Court.
Filmreif und Türen öffnend
Beweisen muss Williams nichts mehr, weder sich noch der Welt. Ihre Karriere und Familiengeschichte sind sogar der Stoff für oscar-prämierte Filmdramen ("King Richard» mit Will Smith als Vater Richard Williams), sie hat längst ein Leben neben dem Tenniscourt. Neben ihrer Rolle als Mutter führt Williams ihre eigene Kapital-Beteiligungsgesellschaft Serena Ventures. Mit einem Karriere-Preisgeld von 94,5 Millionen Dollar und einem Vielfachen an Werbeeinnahmen hat sie auch genug eigenes Geld zum Investieren. «Im Moment kommt bei einem Mail die automatische Antwort 'out of office'», erzählte sie in Wimbledon vor dem Turnier.
Noch beeindruckender ist allerdings Williams' kultureller Einfluss. Sie öffnete das Tennis vor allem in Amerika für ganz neue Schichten. Der weisse Sport wurde farbiger, Scharen von schwarzen Mädchen strömten auf die öffentlichen Tenniscourts, um das Racket zu schwingen, statt Basketbälle zu werfen oder ihre Zeit auf der Strasse zu verbringen. Noch aber hat sich Serena Williams nicht definitiv ins Büro zurückgezogen.
Am Dienstagabend kämpfte sie in der 1. Runde von Wimbledon wie eine Löwin um einen weiteren Sieg, unterlag am Ende aber im Match-Tiebreak des dritten Satzes der krassen Aussenseiterin Harmony Tan (WTA 115). Vor einem Jahr war Williams in Wimbledon in der 1. Runde ausgerutscht und hatte sich einen Muskel im Oberschenkel gerissen. «Aber so wollte ich mich nicht von Wimbledon verabschieden», sagte sich Williams. Auch deshalb gab sie nach zwölf Monaten ein Comeback. Am Ende waren ihr sowohl die fehlende Matchpraxis als auch eine gewisse Müdigkeit anzumerken. «Für über drei Stunden Spiel habe ich nicht trainiert.»
Motivation für das US Open
Dennoch zeigte sich Williams nicht frustriert. Mit dem Spiel sei sie nicht unzufrieden. Sie habe nicht schlecht gespielt, sei nahe am Sieg gewesen und Tan sei mit ihrem unkonventionellen Stil mit vielen Stoppbällen und Slices auch auf der Vorhandseite die «für mich vielleicht schwierigst mögliche Gegnerin» gewesen. «Das Spiel macht mir jedenfalls Lust, wieder auf den Trainingsplatz zu gehen.»
Mit dem US Open als nächstem Ziel? «Absolut. Da bin ich zuhause, da habe ich meinen ersten Grand Slam gewonnen (1999 gegen Martina Hingis).» 23 Jahre später ist sie noch immer da, als amerikanische Sportikone schlechthin. «Be a Game Changer», stand in Wimbledon auf ihrem Trikot. Das war und ist Serena Williams definitiv, selbst ihre wenig vorbildhaften Ausraster auf dem Platz werden da verziehen. Bloss mit dem 24. Grand-Slam-Titel wird es wohl nichts mehr. Väterchen Zeit verschont keinen – damit müssen sogar Superhelden wie Williams (oder der gleichaltrige Roger Federer) leben.
ck, sda