«Tatort» im Check War der Missbrauch in der katholischen Kirche wirklich systematisch?

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1.12.2024

Der «Tatort: Schweigen» lässt Kommissar Falk in einem Fall von systematischem Missbrauch in der katholischen Kirche ermitteln. Auf welchen wahren Fall spielt der Plot an und was ist an den Vorwürfen dran?

Julian Weinberger

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Eigentlich wollte sich Kommissar Falke (Wotan Wilke Möhring) im Kloster vom Tod seiner Kollegin erholen.
  • Doch nach dem Tod eines Pfarrers kam ans Licht, dass dieser im Besitz von Kinderpornografie gewesen war.
  • Der «Tatort» wurde von einem wahren Fall inspiriert: Laut Kriminalbehörden ist es legitim, bei der katholischen Kirche von systematischem Missbrauch von Kindern zu sprechen.

Der «Tatort», Deutschlands liebstes Krimikind, greift seit 1970 immer wieder Phänomene und Krisen des Landes in Form gesellschaftlich relevanter 90-Minüter auf. Umso erstaunlicher, dass es bisher noch keinen Fall zu den Missbrauchsskandalen in den Kirchen gab.

Vor allem die Katholische Kirche steht dabei seit 2010 stark im Fokus. War der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der Kirche tatsächlich systematischer Natur?

Wie funktionierte dieses System? Kooperierte die Kirche beim Filmprojekt? Und wie geht es mit dem neuen Einzelgänger-Kommissar Falke (Wotan Wilke Möhring) weiter?

Worum ging es?

Der Hamburger Kommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) hatte sich nach dem Tod seiner Kollegin Julia Grosz für eine Weile ins Kloster zurückgezogen. Dort verrichtete er einfache Arbeiten und lebt in einer kargen Mönchskammer.

An seinem letzten Abend in den heiligen Mauern feierte Falke Abschied mit dem ebenso netten wie labilen Daniel (Florian Lukas), der wie Falke vor Ort nach Antworten für sein nicht so ganz gelungenes Leben suchte. In der Nacht kam es zum Brand eines Wohnwagens vor dem Kloster.

Es war der Rückzugsraum von Pfarrer Otto (Hannes Hellmann), der auch das örtliche Jungs-Fussballteam trainierte. Ermittlungen von «Privatmann» Falke und der lokalen Kommissarin Eve Pötter (Lena Lauzemis) ergaben bald:

Pfarrer Otto hatte offenbar mit kinderpornografischem Material zu tun. Wusste auch Domvikar Billing (Sebastian Blomberg) davon, der kurz vor dem Tode Ottos noch Streit mit seinem Mitarbeiter hatte?

Worum ging es wirklich?

Seit 2010 wird der Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche im grösseren Stile untersucht und offengelegt. Auch die Kirche selbst beteiligt sich.

2018 wurde eine grosse Studie im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlicht, die auf Basis der Jahre 1946 bis 2014 zeigte, dass in Deutschland rund 3700 Kinder und Jugendliche von 1670 Tätern sexuell missbraucht worden waren.

«Tatort»-Routinier Stefan Dähnert («Wegwerfmädchen») liess sich für seinen Film von einem konkreten Fall inspirieren, der bei der Staatsanwaltschaft Saarbrücken anhängig ist.

«Ein Polizeibeamter hatte im Haus seines verstorbenen Onkels nach dessen Geburtsurkunde gesucht für die Beerdigung – und kinderpornografisches Material gefunden», erzählt Dähnert. «Der Priester aus dem Bistum Trier hatte Tausende Fotos und Dias.

Vermutlich wurden diese Fotos in bestimmten Kreisen rumgereicht. Man dachte ja, man hat schon alles über den Missbrauch in der katholischen Kirche erfahren. Aber dass es Priester gab, die Kinder untereinander geteilt haben, das wurde uns hier erst klar.»

Darf man von «systematischem Missbrauch» sprechen?

Ja, das bestätigte die Staatsanwaltschaft Saarbrücken auf Anfrage von NDR-Autor Dähnert. Der Verfasser des «Tatort»-Drehbuchs berichtet: «Ich habe dann bei der Staatsanwaltschaft nachgefragt:

Wenn wir behaupten, es hat in der katholischen Kirche einen Pädophilen-Ring gegeben, kriegen wir dann Ärger? Die Antwort lautete: Nein. Leider ist sehr viel wahr an unserer Geschichte.»

Auch wenn die katholische Kirche sich an der Aufklärungsarbeit beteiligt, steht die langjährige Praxis der Kirche in der Kritik, Täter zu decken, anstatt sie dem Rechtssystem zu übergeben. Gedeckt von Kirchenoberen zog man die Täter lieber «intern» ab und versetzte sie an neue Stellen, wo sie oft neuen Missbrauch begingen.

Was weiss man über Missbrauch in der katholischen Kirche der Schweiz?

Auch in der Schweiz gab es nachweislich und im grösseren Stil Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Angehörige der Kirche.

2019 veröffentlichte die katholische Kirche der Schweiz eine interne Studie, die zeigte, dass zwischen 1950 und 2020 mindestens 1000 Opfer identifiziert werden konnten.

2021 wurde eine umfassende Studie in Auftrag gegeben, die ergab: Mehr als 500 Priester und andere Kirchenmitarbeiter werden von Opfern und Zeugen des sexuellen Missbrauchs beschuldigt.

Auch in der Schweiz herrschte analog zur Vorgehensweise in anderen Ländern eine systematische Kultur der Vertuschung des Missbrauchs durch Kirchenobere.

Warum gab es gerade in der katholischen Kirche so viel Missbrauch?

Die Klischee-Antwort lautet: Weil katholischen Priestern im Zölibat leben, der Ehe und auch sexuelle Beziehungen verbietet. Diese würden dann im Sinne der Triebabfuhr «undercover» von den Geistlichen ausgelebt.

«Tatort»-Autor Stefan Dähnert ist jedoch anderer Ansicht: «Ich glaube, man macht es sich zu einfach, wenn man sagt, durch die Enthaltsamkeit stauen sich so viele sexuelle Triebe auf, die müssen einfach mal raus.

Ich glaube vielmehr, dass Menschen mit pädophiler Neigung sich bewusst in den Zölibat begeben, um ihre Sexualität in den Griff zu bekommen. Dieses Grundübel macht die katholische Kirche zu einem Sammelbecken von Menschen, die Probleme mit ihrer Sexualität haben.»

Kooperierte die Kirche bei den Dreharbeiten?

Wotan Wilke Möhring, der in diesem Film eine seiner besten schauspielerischen Leistungen der Falke-Jahre abliefert, ist selbst ebenso wenig gläubig wie seine Figur.

Dennoch erinnert der 57-Jährige daran, dass auch die Kirche einen Beitrag zu diesem Film lieferte: «Ich habe grossen Respekt für das Bistum, in dessen Kloster wir den ‹Tatort› drehen durften. Die Verantwortlichen haben das Buch ja vorher gelesen. Mit diesem Einverständnis hat das Bistum versucht, einen wichtigen Beitrag zu leisten.»

Wie geht es mit Wotan Wilke Möhrings «Tatort» weiter?

Für den «Tatort: Ein guter Tag /Schwarzer Schnee» gab es am 22. Oktober 2024 eine Drehstartmeldung. Der Zweiteiler ist eine Koproduktion mit dem niederländischen Fernsehsender NPO.

Die Story: Auf einem Campingplatz im deutsch-niederländischen Grenzgebiet in der Nähe von Emden verschwindet der Autohändler Joe Glauning – persönliche Papiere, Schlüssel und Handy hat er zurückgelassen. Blutspuren deuten auf ein Kapitalverbrechen hin.

Falke arbeitet diesmal mit dem Cyberkriminalisten Mario Schmitt (Denis Moschitto) und der niederländischen Kommissarin Lynn de Baer (Gaite Jansen, «Peaky Blinders», «Line of Duty») zusammen. Für Buch und Regie zeichnen die mehrfachen Grimme-Preisträger Hans Steinbichler und Alexander Adolph verantwortlich.


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