«Tatort»-Check Wie wird Selbstjustiz bestraft?

Teleschau

6.10.2024

Im «Tatort: Trotzdem» aus Franken wollten sich zwei Familien gegenseitig auslöschen. An welches politische Szenario erinnerte das und wie wird Selbstjustiz eigentlich bestraft?

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Im «Tatort: Trotzdem» aus Franken ging es um eine Gewaltspirale zwischen zwei Familien.
  • Dem Krimi lag das Thema Selbstjustiz zugrunde.
  • In der Schweiz wie in Deutschland gilt hierbei das Gewaltmonopol des Staates.
  • Für Kommissarin Paula Ringelhahn war es der letzte Fall.

«Schuld und Sühne» heisst ein Klassiker der Weltliteratur, veröffentlicht 1866 von Fjodor Michailowitsch Dostojewski. Auch der zehnte Franken-«Tatort» hätte diesen schweren Titel locker tragen können – doch die Macher entschieden sich für den simplen Titel «Trotzdem». Dennoch ging es im letzten Fall der scheidenden Ermittlerin Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) genau darum: Schuld und Sühne.

Zwei Familien, die, nachdem eine Spirale der Gewalt ihr Drehmoment erreicht hatte, versuchen, sich gegenseitig auszulöschen. Was wollte uns Franken-«Tatort»-Pate Max Färberböck – er hat das Format erfunden – damit sagen? War es eine Metapher auf den Krieg? Wird Selbstjustiz anders bestraft als ein «normaler» Mord? Warum stammten alle Songs im «Tatort» aus dem Jahr 1965? Und was passiert nun mit Felix Voss (Fabian Hinrichs), da ihn seine mütterliche Freundin Paula Ringelhahn verlassen hat?

Worum ging es?

Der 25-jährige Lenni wurde vor drei Jahren für den gewaltsamen Tod einer jungen Frau verurteilt. Nun hat er sich im Knast umgebracht. Alle in seinem Umfeld mochten Lenni und glaubten an seine Unschuld. Seine Schwestern Maria (Anne Haug) und Lisa (Mercedes Müller) sind vom Tod des Bruders zutiefst geschockt. Weil Polizeipräsident Dr. Kaiser (Stefan Merki) ein schlechtes Gewissen in der Angelegenheit hat, wird der Fall noch einmal aufgerollt.

Die zahlreichen Ex-Freunde und sexuellen Kurzzeit-Bekanntschaften der damals Ermordeten müssen ein weiteres Mal ins Präsidium zum Verhör. Dann ereignet sich ein weiterer Mord, der mit den neuen Ermittlungen zu tun haben könnte. Es hat einen der Söhne des wohlhabenden Unternehmers Karl Dellmann (Fritz Karl) und seiner Frau Katja (Ursina Lardi) erwischt. Weil sich Dellmann sicher ist, dass die Schwestern Maria und Lisa seinen Sohn gerichtet haben, sinnt er nun auf Rache und setzt einen Killer auf sie an.

Worum ging es wirklich?

Regisseur und Autor Max Färberböck (74) hat den Franken-«Tatort» vor zehn Jahren erfunden. Für fünf der bislang zehn Filme der Reihe zeichnete er sich zudem verantwortlich. Ihre Gemeinsamkeit: eine ungewöhnliche, psychologisch komplexe Erzählweise.

Färberböck stellt in seinen moralischen Versuchsanordnungen, getarnt als Krimi, stets grosse Fragen: Wie und warum wird ein Mensch schuldig? Gibt es Erlösung für Täter, Opfer und Angehörige? Und wenn ja, auf welche Weise kann man sie bekommen? Auch wenn Religion in seinen Filmen selten eine explizite Rolle spielt, ihre grossen Themen schwingen fast immer mit.

Im «Tatort: Trotzdem» entwarfen Färberböck und sein Drehbuch-Partner Stefan Betz nun ein düsteres Szenario zweier von Rache getriebener Familien, bei denen man das Gefühl hatte, sie würden die Gewalt gerne stoppen – doch die gefühlte Zwangsläufigkeit ihrer Rache ist stärker. Vielleicht auch ein Kommentar zu den grossen Kriegen und Konflikten unserer Zeit, inklusive jenem zwischen Israel und seinen Nachbarn.

Wie wird Selbstjustiz in der Schweiz bestraft?

Auch in der Schweiz herrscht das staatliche Gewaltmonopol. Selbstjustiz ist verboten und auch Notwehr muss laut Gesetz verhältnismässig sein. Dies musste auch ein Bauer aus dem Kanton Bern erfahren, der sein Feld 2016 gegen Hanfdiebe mit Schüssen aus seiner Schrotflinte verteidigte.

Bereits vor den Schüssen schlug der Bauer einen Dieb, nahm ihn gefangen und sperrte ihn in einen Rübenkeller. Beim Befreiungsversuch durch Komplizen des Gefangenen wurde der Bauer dann mit einer Mistgabel in die Hand gestochen, danach gab er Schüsse auf die Flüchtenden ab.

Dieser Fall behaupteter Notwehr und Selbstjustiz ging in der Schweiz durch die Instanzen, wobei das Urteil gegen den Bauern tendenziell strenger wurde: 2024 wurde er vom Bundesgericht zu einer Gefängnisstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt.

Welche Songklassiker von 1965 prägten den Film?

Bereits im Vorspann des «Tatort: Trotzdem» erlebt man etwas für das Format sehr Ungewöhnliches: Man sieht verfremdete Szenen von Kampf und Leid, die man später im Film nochmal in «Reinform» erlebt. Dazu erklingt «Eve Of Destruction» (zu Deutsch: Vorabend des Weltuntergangs), Barry McGuires Folkhymne von 1965. Der dystopische Popsong erzählte von drohendem Atomkrieg, der Schande von Vietnam, Rassismus und religiösen Eifererern – und wurde dennoch zu einem Nummer-1-Hit in den USA.

Ob nun Zufall oder nicht: Im «Tatort: Trotzdem» werden zwei weitere Song-Klassiker gespielt, die von 1965 stammen oder in jenem Jahr populär wurden: Bob Dylans «It's All Over Now, Baby Blue» in einer Coverversion zu einer ziemlich gewalttätigen Szene und schliesslich – vorgetragen von Dagmar Manzel, die ja auch Sängerin ist – Simon & Garfunkels «The Sound Of Silence» in einer A-capella-Version auf dem Polizeipräsidium. Ihr Abschiedssong als Kommissarin.

Wie geht es mit dem Franken-«Tatort» weiter?

Dagmar Manzel (66) verlässt den «Tatort» auf eigenen Wunsch. Ihre Figur Paula Ringelhahn geht klassisch in Rente. «Es wäre ein bisschen affig, wenn ich mit 70 noch mit 'ner Knarre im ‹Tatort› rumrennen würde», sagt Manzel, die in Zukunft mehr Zeit für Theater, Musikprojekte und auch etwas mehr Freizeit haben möchte. Fabian Hinrichs dagegen bleibt an Bord, ebenso wie Eli Wasserscheid als Assistentin Wanda Goldwasser.

Dazu Bettina Ricklefs, BR-Programmbereichsleiterin Spiel-Film-Serie: «Im elften ‹Tatort› aus Franken, der im Spätherbst 2024 gedreht und 2025 ausgestrahlt wird, wird Felix Voss, gespielt von Fabian Hinrichs, ohne Paula ermitteln. Wer anschliessend in das Team des ‹Tatort› Franken kommt, wird in Ruhe entschieden und zu gegebener Zeit bekannt gegeben.»