«Tatort» mit Diktatoren-Familie Ist die Ermordung eines Despoten erlaubt?

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20.3.2022

Der Sohn eines Diktators verschwand aus einem Elite-Internat – und so führten die Ermittlungen im aktuellen «Tatort» zu einer Despotenfamilie. Die aktuelle Frage hierzu: Ist Tyrannenmord legitim?

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Es war einer der sichtbar unbehaglichsten Einsätze für den links denkenden Kommissar Falke (Wotan Wilke Möhring). Im «Tatort: Tyrannenmord» kamen gleich mehrere Aufgaben auf ihn zu, mit denen sich der Ex-Punk schwertat. An einem Elite-Internat in der deutschen Provinz musste sich Grossstadtpflanze Falke mit deutschen und ausländischen «Eliten» auseinandersetzen.

Deren Wertesystem und Demokratieverständnis entsprachen nicht unbedingt dem des Ermittlers. Doch welche Diktatorenkinder wurden tatsächlich an westlichen Schulen ausgebildet? Und unter welchen Bedingungen wäre der Mord an einem politischen Tyrannen legitim?

Worum ging es?

Während der Staatschef und Diktator des südamerikanischen Fantasiestaates Orinaca Deutschland besucht, verschwindet sein Sohn aus seinem deutschen Internat. Die Mutter des 17-Jährigen ist Deutsche, ebenso dessen Freundin Hanna (Valerie Stoll), die der Junge am Elite-Internat kennengelernt hat. Ermittler Falke bekommt vor Ort den Dorfpolizisten Felix Wacker (Arash Marandi) zur Seite gestellt, muss sich aber auch mit dem merkwürdigen Betreiber-Ehepaar der Reichenschule (Katarina Gaub, Christian Erdmann) sowie Personenschützer Carlos (José Barros) aus Orinaca beschäftigen, der den verschwundenen Jungen bewachen sollte.

Worum ging es wirklich?

Ein Diktator knechtet sein Volk und ist wohl auch für politische Morde verantwortlich. Wie viel «Recht» haben der Mann und seine Familie verdient? Muss das demokratische Deutschland auf seinem Territorium auch jene schützen, die anderswo gegen diese Prinzipien kämpfen? Wird Tyrannenmord 2022 von einer Gesetzesschrift gedeckt?

Die Versuchsanordnung dieses Krimis von Drehbuchautor Jochen Bitzer (Grimmepreis für «Der Fall Jakob von Metzler») war hochinteressant und hochaktuell. Leider hat der «Tatort: Tyrannenmord» ziemlich wenig aus seiner Prämisse gemacht. Das politisch-philosophische Gedankenspiel ging im Lauf der 90 Minuten zunehmend in einem uninspirierten Whodunnit unter. Schade!

Gibt es Diktatoren mit westlich-humanistischer Bildung?

Drehbuchautor Jochen Bitzer und Regisseur Christoph Stark sind zusammen zur Schule gegangen – was bei der Ausgestaltung eines Internatsfilms von Vorteil sein mag. Bitzer liess sich für sein Drehbuch von Biografien des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un, der in der Schweiz zur Schule ging, oder auch des Syrers Baschar Al-Assad inspirieren, der in London zum Augenarzt ausgebildet wurde.

«Offenbar sind die elterlichen Prägungen stärker als der Einfluss humanistischer Bildung», sagt Bitzer zu seiner Hintergrundrecherche. «Ausbildung im Westen, alles gut und schön, aber wenn es darum geht, die eigene Macht und das Vermögen der Familie zu bewahren, dann werden die Kinder autoritär.»

Wann ist Tyrannenmord erlaubt?

Seit den frühen Demokratien im alten Griechenland und in der römischen Republik wurde die Möglichkeit des Tyrannenmordes diskutiert. Im alten Griechenland wurde er ab dem vierten Jahrhundert vor Christus gar eingefordert. Das Problem lautet jedoch bis heute: Wie legt man objektiv fest, wann ein Herrscher zum Tyrannen wird – was seine gewaltsame Beseitigung legitim machen würde?

Selbst die durch den Nationalsozialismus leidgeprüfte deutsche Nachkriegsverfassung lehnte den Tyrannenmord deshalb zunächst ab. Seit 1968 enthält das deutsche Grundgesetz in Art. 20 Abs. 4 jedoch ein «Widerstandsrecht», in dem es heisst: «Gegen jeden, der es unternimmt, diese (demokratische) Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.»

Gibt es ein Widerstandsrecht in der Schweiz?

In der Schweizer Verfassung ist das Widerstandsrecht noch etwas weniger explizit als in der deutschen formuliert. Das Widerstandsrecht fällt dort nur in Betracht, wenn sich die Staatsgewalt schwerste und systematische Menschenrechtsverletzungen zuschulden kommen lässt, die sich anderswie nicht beheben lassen.

Es gilt «extrakonstitutionell» aus der Idee der Menschenrechte. Im funktionierenden Rechtsstaat existiert kein Widerstandsrecht, da dieses durch die förmlichen Rechtsmittel und die sonstigen Strukturen der Machtteilung institutionell verwirklicht ist. Gegen einzelne tatsächliche oder angebliche Fehlentscheide des Staates besteht kein Widerstandsrecht.

Gibt es den Tyrannenmord im Völkerrecht?

Das Völkerrecht verbietet die Tötung eines Staats- und Regierungschefs, egal was die betreffende Person auf dem Kerbholz hat. Selbst die Tötung von Terrorchef Osama Bin Laden vor elf Jahren durch ein US-amerikanisches Spezialkommando war völkerrechtswidrig, weshalb der studierte Staatsrechtler Barack Obama – damals Präsident – auch angab, Bin Laden wäre nicht hingerichtet worden, sondern er wäre getötet worden, als er sich seiner Verhaftung widersetzte.

Heute fordern einigen Menschen öffentlich den Tyrannenmord an Wladimir Putin, darunter ein US-Senator und ein im US-Exil lebender russischer Geschäftsmann, der sogar ein Kopfgeld ausgesetzt haben soll. Derlei Forderungen haben vor dem Völkerrecht keinen Bestand. Immerhin ermittelt der internationale Gerichtshof in Den Haag derzeit, ob Russland Kriegsverbrechen begangen hat. Könnte Putin eines Tages selbst vor dem Den Haager Tribunal stehen, wie vor ihm die serbischen Kriegsverbrecher Mladic und Karadzic? Stand jetzt müsste das laut Völkerrecht der UN-Sicherheitsrat beschliessen.

Wie geht es im «Tatort» mit Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz weiter?

Voraussichtlich im Juni wird es den nächsten «Tatort» mit Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz geben, hiess es auf Anfrage vonseiten des NDR. Der Arbeitstitel lautet «Schattenleben» und es geht um die linksautonome Szene in Hamburg. Regisseurin Mia Spengler («How to sell drugs online (Fast)», «Tatort: Die goldene Zeit») inszenierte den Krimi bereits im Frühjahr 2021 nach einem Buch von Nachwuchsautorin Lena Fakler in Hamburg.

«Tatort: Tyrannenmord» lief Sonntag, 20. März, 20:05 Uhr auf SRF1.