Münster-«Tatort» So viele Amerikaner glauben an echsenartige Aliens

tsch

6.3.2022

Bislang waren beim Münster-«Tatort» nur die Einschaltquoten ausserirdisch. Doch jetzt eroberten Reptiloide die Stadt. Eine lustvoll bis an die Schmerzgrenze gedehnte Krimi-Farce zwischen Deepfake, Aluhut und Prepperszene. Doch wer glaubt so etwas in Wirklichkeit?

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Vorsicht, hier besteht Hitzschlag-Gefahr unterm Aluhut! Der zweite neue Münster-«Tatort» im Jubiläumsjahr der seit 20 Jahren amtierenden Ermittler Boerne (Jan Josef Liefers) und Thiel (Axel Prahl) zählte zu den exzentrischsten der Reihe überhaupt. Reptiloide Ausserirdische, Chip-Implantate, Deepfake-Videos, klandestine Messenger-Gruppen ... Die wilde Verschwörungs-Farce «Tatort: Propheteus» wirft viele Fragen auf. Wir versuchen, die wichtigsten zu beantworten.

Worum ging es?

Um eine Gruppe Bowling spielende Verschwörungsgläubige, welche die «Versklavung und Ausrottung der gesamten Menschheit» befürchten und «Kollaborateure der ausserirdischen Besatzungsmacht» zur Rechenschaft ziehen wollen. In diesem ziemlich wilden Kontext ereignen sich auf zwei Zeitebenen ein Mord an einem Mitglied der Gruppe sowie ein von einem Hund vereitelter Anschlagsversuch. Der Verfassungsschutz rückt an, Professor Boerne gerät unter Verdacht, und Kommissar Thiel wird das Fahrrad geklaut. Das komplette Münster-Chaos im Gewand einer Sci-Fi-Groteske.

Worum ging es wirklich?

Aus der Perspektive von Kommissar Thiel: um eine schwer wahrnehmungsgestörte Gesellschaft, die in ihrer multimedialen Verlorenheit zwischen Wahn und Realität nicht mehr zu unterscheiden weiss. Aus der Perspektive von Professor Boerne: um die sich stetig verschiebenden Grenzen der Erkenntnis sowie die Möglichkeit, über ausserirdisches Leben auf der Erde schon lange getäuscht worden zu sein. Der Rechtsmediziner lässt aufhorchen: Über die Jahrtausende seien «so viele Beweise verloren gegangen oder absichtlich vernichtet worden».

Reptiloiden-Verschwörung – wer glaubt denn an so was?

An eine Unterwanderung unserer Gesellschaften durch Reptiloide glaubt aber auch der Rechtsmediziner nicht wirklich ... anders als die Anti-Verschwörungsaktivisten im Film. Reptiloide sind dabei keine Erfindung der «Tatort»-Macher (Buch: Astrid Ströher, Regie: Sven Halfar). Der Glaube an echsenartige Aliens, die in Menschengestalt die Machtzentren der Welt unterwandert haben, ist tatsächlich eine verbreitete Verschwörungserzählung.

Ihren Ursprung hat sie vermutlich in Robert E. Howards SciFi-Kurzgeschichte «The Shadow Kingdom» aus dem 1929. Seither geistert die Idee der geheimen Echsen-Unterjochung durch Serien wie «Star Trek» und «Doctor Who», aber auch durch Köpfe, die das Ganze bierernst nehmen. Unter Verdacht, als sogenannte Formwandlerinnen und Formwandler unentdeckt ihr Unwesen zu treiben, standen schon Persönlichkeiten wie Angela Merkel, die Queen, Donald Rumsfeld, Emmanuel Macron und frühere Papst Benedikt XVI.

Verbreitet ist der Glaube an so eine «verkleidete Elite», die eine «neuen Weltordnung» anstrebt, vor allem in Grossbritannien, noch mehr aber in den USA. Nach Informationen der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung glauben rund vier Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner an die Schattenherrschaft der Reptiloiden.

Wer spielte die beiden schrägen Verfassungsschützerinnen?

Sie sehen aus, als hätten die Coen-Brüder eine «Men in Black»-Neuauflage in Westfalen gedreht. Die beiden Verfassungsschützerinnen mit den Namen Muster und Mann gehören zweifellos zum Skurrilsten, das je durch einen «Tatort» gelaufen ist. Verkörpert wird das Anzug tragende Pagenschnitt-Duo von einem Geschwisterpaar: Die Zwillinge Daniela und Melanie Reichert sind 34 Jahre alt, stammen gebürtig aus dem Münsterland und werden in Film und Fernsehen nicht selten im Doppel gebucht. Zuletzt etwa für die Erfolgsserie «Babylon Berlin».

Was soll uns die Schlussszene mit dem Hund sagen?

Der heimliche Star des Münster-«Tatorts» kam auf vier Pfoten: Jack-Russell-Terrier «Banane» rettet Boerne und Thiel das Leben und ist auch sonst eine tatkräftige Hilfe, den Fall zu lösen. Am Ende verlässt der Hund die Szenerie so obskur, wie er sie betreten hat: Er läuft ans Ende der Bowling-Bahn, ein blauer Blitzschlag – und weg ist er!

Was uns dieses Filmende mit in die Nacht geben soll? Vielleicht dann doch die augenzwinkernde Behauptung ausserirdischer Umtriebe auf der Erde? Vermutlich. Vor allem aber darf man Jack-Russell-Terrier «Banane» als Filmzitat verstehen. In den SciFi-Komödien der «Men in Black»-Reihe gibt es den berühmten Mops Frank, einen Zigarre rauchenden Agenten im Schosshundformat. Auch die «Men in Black»-Filme mit den Hollywoodstars Will Smith und Tommy Lee Jones handeln von Ausserirdischen, die in Menschengestalt unerkannt unter uns leben.

Bei so viel Zitierlust darf man das geseufzte Schlusswort der Staatsanwältin Klemm (Mechthild Grossmann) glatt als Eingeständnis werten: «Ihr habt alle zu viel ferngesehen.» Der Satz stimmt ja ohnehin in fast jeder Lebenslage. Mit diesem wie auf Droge irrlichternden Jubiläums-«Tatort» machte man trotzdem nicht viel falsch.