Verstörender Zürich-«Tatort»Menschen als Objekte – wie weit darf Kunst gehen?
tsch
13.3.2022
Tatort: Schattenkinder
Was darf Kunst? Künstlerin Kyomi (Sarah Hostettler, zweite von links) benutzte im Zürich-«Tatort» ihre Anhänger Shin (Tim Borys) und Indira (Zoë Valks) als «Kunstobjekte».
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Streitbare Künstlerin: Kyomi (Sarah Hostettler, links) tätowierte Shin (Tim Borys), Indira (Zoë Valks) und ihren anderen «Objekten» unter anderem die Augäpfel.
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Indira (Zoë Valks) gehörte zu den Bewohnern der Künstlerkommune.
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Tessa Ott (Carol Schuler, links) und Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) begaben sich in einer Kommune auf die Suche nach Spuren.
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Wieder einmal spiegelten sich im aktuellen «Tatort»-Fall auch die Psychen der Ermittlerinnen Tessa Ott (Carol Schuler, links) und Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher).
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Kyomi (Sarah Hostettler) gab die undurchsichtige Künstlerin.
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Wieder mal ein düsteres Zürich: Beat Gessner (Imanuel Humm) entdeckte seinen toten Sohn.
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Kommissarin Tessa Ott (Carol Schuler) empfand beim Besuch der Künstlerkommune durchaus einen gewissen Reiz.
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Isabelle Grandjean (Anna Pieri) konnte mit der Verrücktheit der Künstler nicht allzu viel anfangen.
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Tatort: Schattenkinder
Was darf Kunst? Künstlerin Kyomi (Sarah Hostettler, zweite von links) benutzte im Zürich-«Tatort» ihre Anhänger Shin (Tim Borys) und Indira (Zoë Valks) als «Kunstobjekte».
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Streitbare Künstlerin: Kyomi (Sarah Hostettler, links) tätowierte Shin (Tim Borys), Indira (Zoë Valks) und ihren anderen «Objekten» unter anderem die Augäpfel.
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Indira (Zoë Valks) gehörte zu den Bewohnern der Künstlerkommune.
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Tessa Ott (Carol Schuler, links) und Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) begaben sich in einer Kommune auf die Suche nach Spuren.
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Wieder einmal spiegelten sich im aktuellen «Tatort»-Fall auch die Psychen der Ermittlerinnen Tessa Ott (Carol Schuler, links) und Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher).
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Kyomi (Sarah Hostettler) gab die undurchsichtige Künstlerin.
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Wieder mal ein düsteres Zürich: Beat Gessner (Imanuel Humm) entdeckte seinen toten Sohn.
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Kommissarin Tessa Ott (Carol Schuler) empfand beim Besuch der Künstlerkommune durchaus einen gewissen Reiz.
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Isabelle Grandjean (Anna Pieri) konnte mit der Verrücktheit der Künstler nicht allzu viel anfangen.
Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Eine seltsam zugerichtete Leiche stellte die Zürcher Kommissarinnen vor Rätsel: Im «Tatort: Schattenkinder» gerieten die Ermittlerinnen in den grotesken Sog einer Künstlerkommune.
tsch
13.03.2022, 21:46
14.03.2022, 14:14
tsch
Wer nach den ersten Episoden des «Tatorts» aus Zürich ein Fazit über die eidgenössische Stimmungslage ziehen wollte, dürfte mit folgendem gut bedient sein: Zwischen hübschen Bergen, pittoresken Örtchen und allgemeinem Wohlstand geht es auch in der Schweiz bisweilen abgründig zu.
Bereits die Premierenfolge hatte 2020 vergleichsweise schonungslos auf soziale Proteste und Polizeigewalt geblickt, der zweite Krimi im letzten Jahr dann die Kehrseite des Schweizer Reichtums gezeigt. Und auch wenn jene gewagte politische Schlagseite – die vor allem der Regisseurin Viviane Andereggen zu verdanken war – im aktuellen Fall des Kommissarinnen-Duos weniger zum Vorschein kam: Abermals begaben sich Tessa Ott (Carol Schuler) und Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) im «Tatort: Schattenkinder» in die düsteren Ecken eines bedrückend inszenierten Zürichs.
Worum ging es?
Der dritte Zürich-«Tatort» bot wieder allerlei Noir und Thrillerhaftes: In einem verlassenen Fabrikkomplex baumelte die seltsam entstellte Leiche von Max Gessner (Vincent Furrer) an der Decke, eingepackt in einem weissen Kokon. Gefunden wurde der Tote von seinem Vater, einem bekannten Schönheitschirurgen (Imanuel Humm), nach einem anonymen Hinweis. Sein Sohn, den er jahrelang nicht gesehen hat, war am ganzen Körper ziemlich zugerichtet, Striemen und Gesichtstattoos gaben Rätsel auf. Eines wurde dabei wohl den meisten Zuschauerinnen und Zuschauern schlagartig klar: Vollständig dunkel tätowierte Augäpfel sorgen immer für den gewünschten Horroreffekt – inklusive Gänsehaut.
Noch während sich die Ermittlerinnen fragten, ob sie es mit einem Ritualmord zu tun hatten, stiessen sie auf des Toten letzte Wohnstätte – eine Künstlerkommune, die so aussah, wie sich «Tatort»-Schöpfer nun mal solche Kommunen vorstellen: obskure Performances, rätselhafte Dialoge, exzessive Partys, Rituale und natürlich eine Anführerin. Letztere war die sicherlich als «charismatisch» ins Drehbuch geschriebene Kyomi (Sarah Hostettler), die ihre als «Kunstobjekte» bezeichneten Anhänger mit raunenden Kommentaren bearbeitete und verfremdete.
Worum ging es wirklich?
Einerseits um die Frage, was Kunst ist und wie weit sie gehen darf: Die Kommunenbewohner hatten – wie das spätere Opfer Max – oft nach schlimmen Lebenserfahrungen ihren Weg zu Kyomi gefunden, die ihnen «helfen» wollte, die Körper dafür allerdings als Material betrachtete. Entsprechend wurden Köpfe kahlgeschoren, weisse Gewänder angezogen, aber eben auch Gesichter und Augäpfel tätowiert.
Was schon beim Hinsehen wehtat, war für die Künstlerin verstörendes Programm: «Wir müssen mit dem Schmerz in Verbindung treten», sagte Kyomi. Deren Figur stellte ein anderes grosses Thema in den Mittelpunkt: Es ging um die Verführbarkeit junger Menschen und deren schamloses Ausnutzen durch sogenannte Erlöser. Kunst oder Sekte – das war die Frage, die auch die Ermittlerinnen spaltete. Mal wieder.
Wie kamen die Ermittlerinnen diesmal miteinander klar?
An der Künstlerkommune schieden sich bei den Kommissarinnen abermals die Geister: Traumatisierte als Gegenstände, die ihre Namen und Gesichter ablegen und sich so den Leiden ihrer Vergangenheit stellen – diese «Kunst» kann man ästhetisch und moralisch fragwürdig finden, so wie Grandjean: «Diese Frau entstellt junge Menschen für ihren persönlichen Erfolg», urteilte die Ermittlerin, abgestossen vom unendlichen Pathos der Kommune, der bisweilen auf die Filmstimmung abfärbte. Das war perfektes Futter für die schon in den ersten beiden Krimis ausführlich thematisierten Unterschiede zwischen den beiden: «Ich finde interessant, was sie macht», entgegnete Kollegin Ott, die auch im dritten Krimi ihre irgendwie irritierende Rolle abseits der Norm erfüllte.
Auch die Folgen des Schusses, mit dem Ott in der letzten Episode einen Menschen getötet hatte, wirkten nach. Zwar sei es Notwehr gewesen, wie ihr interne Ermittlungen bescheinigten. Gegessen war das Ganze aber noch nicht: Ihre Diensttauglichkeit musste von den Kollegen beurteilt werden, allen voran von Grandjean («Ott ist impulsiv»), die abermals als verlässliche Figur gegenübergestellt wurde, die sich im Griff hat. «Bei den Bullen bleibt nichts privat», beschwerte sich Ott über die Untersuchung. Man kann nur hoffen, dass diese grundsätzlich sympathischen Charaktere in den kommenden Zürich-Krimis nicht im hölzernen, doch bequemen Korsett der Gegensätze verharren. Immerhin: «Die beiden Kommissarinnen sind nicht nur vor der Kamera ein Team, sondern auch dahinter. Sie besitzen Sensibilität, Mut und Humor, was die Arbeit mit ihnen sehr angenehm macht», verriet Regisseurin Repond über den Dreh.
So unangenehm es manchem erscheinen mag: Tätowierte Augäpfel und Menschen, die sich dieser Prozedur freiwillig unterziehen, gibt es wirklich. Bei der sogenannten «episcleralen Tätowierung» wird Tätowierfarbe unter die Lederhaut des Auges injiziert. Etwa 40 Stiche sind nötig, um den gesamten weissen Teil des Augapfels zu tätowieren. Ein schmerzhafter Prozess, mit grossen Risiken – es drohen Blutungen und sonstige Komplikationen. Auch wenn Ärzte dringend davor warnen, unterziehen sich etwa in den USA immer mehr Menschen dieser Form der Körpermodifikation. Nicht zu verwechseln ist die Augapfeltätowierung übrigens mit der Hornhauttätowierung, die medizinischen Zwecken wie der Überdeckung von Narben dient.
Was hatte es mit der kleinen Insel im Zürichsee auf sich?
Gerade in Richtung Ende geriet der Zürcher «Tatort» überaus spannend und mitreissend. Das kulminierte im grossen Finale, in dem sich Künstlerin Kyomi mit ihren «Objekten» respektive Jüngern auf eine Insel zurückzog, um auf brutale Weise darauf aufmerksam zu machen, dass es ihr Vater – der geheimnisvolle Konrad – war, der einst Max missbraucht und nun in den Suizid getrieben hatte. Auf dem Eiland im Zürichsee wollte sie sich und die anderen anzünden – was am Ende noch vergleichsweise glimpflich ausging.
Die Insel jedoch, auf die sie ihr Vater immer mitgenommen hatte, wie man in Rückblicken erfuhr, ist nicht irgendeine Insel: Schönenwirt, im Volksmund «Inseli» genannt, liegt im südlichen Zürichsee. Mit einer Grösse von gerade einmal 72 mal 42 Metern ist sie die drittgrösste Insel im See – unbewohnt und vor allem als Badeort genutzt.
Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte die Insel niemandem – verschiedene Privatleute versuchten sie zu kaufen. 1848 wurde sie für 100 Franken versteigert, einziger Bietender war die Gemeinde Richterswil. Später entstand eine Badeinfrastruktur – heute befinden sich auf Schönenwirt als einzige Gebäude Männerbadehäuser vom Ende des 19. Jahrhunderts, zudem eine Feuerstelle. Erreichbar ist die Insel noch immer nur per privatem Boot oder durch Schwimmen. Funfact: Als der See 1929, 1946 und 1963 zugefroren war, konnte man Schönenwirt auch zu Fuss erreichen. Damals wurde vom Verkehrs- und Wirteverein sogar eine Gastwirtschaft auf der Insel betrieben.
Wie geht es nun mit dem Zürich-«Tatort» weiter?
Als eigentlicher Star der Folge entpuppte sich abermals die Düsterheit einer sonst vom Schicksal geküssten Stadt, die sich wohl auch künftig von einer anderen Seite zeigen wird. Es sei ihr wichtig gewesen, «Zürich stärker und etwas ungewohnter sichtbar werden zu lassen», sagt Regisseurin Repond, die mit «Schattenkinder» nach zwei Kinoerfolgen ihren ersten «Tatort» überhaupt inszenierte.
Auch für den nächsten Schweizer «Tatort» ist die gebürtige Baslerin und Wahlmünchnerin verantwortlich. Angekündigt für den Herbst 2022 unter dem Titel «Risiken mit Nebenwirkungen», ermitteln Grandjean und Ott dann im Fall einer ermordeten Anwältin, die ein Pharmaunternehmen bei der Lancierung eines neuen Medikaments beriet. Zürich und die Schweiz haben, so viel ist sicher, noch einige Abgründe zu bieten.
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Tatort
So 13.03. 20:05 - 21:40 ∙ SRF 1 ∙ DE/AT/CH 2022 ∙ 95 Min
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