Interview Katja Stauber: «Bin durch meinen Job nicht abgebrühter geworden»

Von Carlotta Henggeler

3.4.2020

Heute Abend sagt Katja Stauber zum letzten Mal ihr berühmtes «uf Widerluege». Die «Tagesschau»-Ikone erzählt, wie es zu dieser Verabschiedung kam, warum sie ihrem Mann Florian Inhauser keine Tipps gibt und welchen Hund sie möchte.

Frau Stauber, kürzlich haben Sie mir leidgetan. Die ‹Tagesschau› wurde wegen einer technischen Panne verspätet ausgestrahlt. Eine Riesenaufregung. Wie hoch war Ihr Puls?

Mein Puls war bestimmt etwas höher als sonst, aber in die Höhe geschossen ist er nicht. Ich wusste ja, ich kann die Situation nicht ändern. Und als Anchor musste ich versuchen, verankert zu bleiben. Mithilfe der Regie haben wir es ja dann noch hingekriegt.

Die Studiotechnik ist voll automatisiert. Was hat sich sonst noch alles in 28 Jahren ‹Tagesschau› verändert?

Wir machen heute anspruchsvollere Sendungen, wir ordnen mehr ein, gewichten stärker, haben mehr Korrespondenten-Schaltungen – das alles hat sich auf die Moderation ausgewirkt. Auch die Beiträge sind differenzierter, die Bildsprache hat sich verändert, sie ist näher bei den Menschen.

Bad News dominieren Ihren Job. Können Sie am Abend daheim gut abschalten?

Natürlich kann man nicht von einer Minute zur anderen den Vorhang zuziehen, das braucht einen Moment. Ich habe aber das grosse Glück, dass mein Mann Florian auch bei der ‹Tagesschau› arbeitet und wir auch drüber diskutieren können, was uns beschäftigt. Aber irgendwann muss dann auch Schluss sein, damit man den Kopf durchlüften kann.

Welche Katastrophe ist Ihnen bisher am tiefsten unter die Haut gegangen?

Solche gibt es immer wieder, die haben oft mit Kindern oder mit der Flüchtlingssituation zu tun. Aber glauben Sie mir: Abgebrüht bin ich trotz der vielen Jahre nicht.

Themenwechsel, apropos Corona: Wie hat das Virus Ihren Beruf verändert? Ist es schwieriger geworden?

Ja, auf jeden Fall. In diesen fast 30 Jahren habe ich nie erlebt, dass eine Sendung quasi monothematisch gewesen wäre. Aber so einen Fall wie jetzt hatten wir ja auch noch nie. Wir haben momentan ordentlich zu tun. Wir fühlen uns verpflichtet, gut und transparent zu informieren, ohne dabei Panik zu verbreiten.

Am Freitag verabschieden Sie sich vom ‹Tagesschau›-Pult. Wurde es nach 28 Jahren langweilig?

Nein, überhaupt nicht! Ich wollte eine neue Herausforderung anpacken. Jetzt ist einfach ein guter Zeitpunkt für einen Wechsel. Auch persönlich stimmt mein Umfeld, um nochmals etwas Neues anzugehen. Vor allem, weil meine Söhne jetzt erwachsen sind.

Ihre ARD-Kollegin Susanne Daubner ist 58 Jahre alt. Also liegt es nicht am Alter?

Jede Geschichte eines Gesichts vor der Kamera ist eine eigene. Man sieht wirklich im amerikanischen, deutschen, französischen Fernsehen viele Menschen, die über 50 sind. Aber bei mir ist es die Dauer. Fast 30 Jahre sind genug, das hat nichts mit meinem Alter zu tun. Hätte ich mit 40 angefangen, hätte ich den Job vielleicht bis zu meiner Pensionierung gemacht.



Fehlt das Rampenlicht nicht nach all den Jahren?

Man muss sich diese Frage natürlich stellen, nach so langer Zeit. Aber ich habe das Rampenlicht auch nicht wirklich gezielt gesucht. Klingt vielleicht komisch, wenn man einen solchen Beruf hat. Aber es ist so. Es war für mich ein Beruf wie jeder andere. Ich sah mich nie als jemand Besonderes. Das ist ein Beruf, mit dem man seinen Lebensunterhalt verdient, so wie das andere Menschen auch müssen. Halt nur ein bisschen anders. Und jetzt haben sich meine Bedürfnisse geändert, ich habe Lust auf Neues.

Wie?

Das Produzentinnen-Dasein ist mit einer Führungsfunktion verbunden, das hat mich gereizt. Als solche kannst du die Sendung kreativ mitgestalten, mitreden, mitentscheiden. Zusammen mit einem Team. Das was um 19:30 über den Sender geht, ist immer eine Teamarbeit.

«Das Rampenlicht? Habe ich nicht wirklich gesucht. Klingt komisch, wenn man so einen Beruf hat»

Was macht eine ‹Tagesschau›-Produzentin genau?

Sie entscheidet, wie eine Sendung daherkommt. Natürlich muss das Schweizer Fernsehen Pflichtstoffe umsetzen. Allerdings kann man definieren, wie wir die Geschichte erzählen, ob zuerst die Inland- oder die Auslandthemen gezeigt werden, ob wir einen leichteren Stoff zum Schluss bringen. Wobei wir eben gerade fast monothematisch über Corona berichten. Und das ist auch richtig so. Das Informationsbedürfnis ist verständlicherweise riesig.

Ihre Stimme und Ihr Markenzeichen, Ihr ‹uf Widerluege›, wird vielen Zuschauerinnen und Zuschauern fehlen.

Ich habe das zu Anfang 1992 eingeführt, damit die Leute merken, dass ich Schweizerin bin, auch wenn ich neben dem Schweizer Pass auch einen deutschen Pass besitze. Mein Hochdeutsch war gewissen Leuten zu Deutsch. Nach drei Jahren wollte ich diese Verabschiedung abschaffen, da hagelte es Leserbriefe. Und natürlich ist doch schön, wenn man vermisst wird.

Gab es schon Reaktionen zu Ihrem TV-Adieu?

Ich erhalte viele E-Mails von Zuschauern, die sich verabschieden und sich bedanken. Es ist richtig bewegend.

Sie und ihr Mann, der ‹Tagesschau›-Journalist Florian Inhauser, sind bekannt. Im ‹Bluewin›-Interview hat Ihr Mann gesagt, dass sie beide deshalb nicht ins Kino und Konzerte gehen.

Der Hauptgrund dafür ist, dass wir beide vor allem abends im Einsatz sind. Und wenn wir mal freihaben, sind wir dann auch gern zu Hause und laden Freunde ein.



Und Ihr Mann wünscht sich scheinbar einen Hund.

Ja, einen grossen. Aber mit Hunden musst du spazieren gehen, und die Zeit haben wir im Moment nicht. Ausserdem würde sich unser alter Kater nicht mit einem jungen Hund vertragen. Aber der Familienzuwachs wird kommen, so in den nächsten sechs bis sieben Jahren.

Welche Rasse?

Ein Labrador oder ein Flatcoated Retriever schwebt uns vor, mal schauen.

Wie muss man sich das Zeitunglesen am Sonntag bei Stauber/Inhauser vorstellen? Streitet man sich darum, wer welche Zeitung, wer welchen Bund zuerst lesen darf?

Nein, wir haben – wie sicher auch andere Familien – unser Ritual und unsere Präferenzen, da kommen wir gut aneinander vorbei, bei den drei Sonntagszeitungen.

Geben Sie sich gegenseitig Tipps?

Nein, ich bin nicht der belehrende Typ, und Florian hat das auch nicht nötig. Umgekehrt ist es genauso.



Bald stehen Sie hinter der Kamera. Könnten sich endlich eine wilde Frisur wachsen lassen, anziehen, wie immer sie wollen?

Könnte ich, ja (lacht). Ich sehe aber nicht so anders aus, wenn ich nicht vor der Kamera stehe. Vielleicht etwas legerer gestylt. Auch meine Haare haben stets eine ähnliche Farbe oder einen ähnlichen Schnitt, was man sieht, vor oder hinter der Kamera, das bin immer ich.

Kürzlich hat sich Roger Schawinski vom Bildschirm verabschiedet, sein Talk wurde aus Spargründen abgesetzt. Sie waren als Überraschungsgast in der Sendung. Roger Schawinski war einer Ihrer ersten Chefs. Jetzt gehen Sie. SRF hat bald keine Aushängeschilder mehr.

Dann gibt es neue.

In den letzten 28 Jahren, wollten Sie nie etwas anderes machen?

Etwas ganz anderes nicht. Kommunikation, Journalismus, da brennt schon meine Leidenschaft dafür. Ich habe ja nicht nur Fernsehen, sondern auch Radio gemacht und für Zeitungen geschrieben, ich habe alles erlebt, was die Schweizer Medienlandschaft bietet – grossartig!



Nie mit einer Unterhaltungssendung geliebäugelt?

Nein, ich habe mit Roger Schawinski einen Sommer lang ‹Persona› moderiert. Das war ein Sommerquiz, in dem Prominente zu Gast waren. Es hat Spass gemacht. Aber News finde ich spannender.

Wie wäre es mit ‹Katja Staubers Bastelsendung›?

(Lacht laut) Oh, das würde – glaube ich – nicht gut rauskommen. Ich kann weder basteln noch lismen.

Der Abschied naht. Überlegen Sie sich, was Sie sagen werden?

Momentan geht alles etwas drunter und drüber, darum habe ich mir noch keine Gedanken machen können. Es wird logischerweise keinen Apéro geben, es wird ein stilles Adieu. Aber zurzeit ist es unwichtig, wie das sein wird. Mir ist es auch nicht wichtig.

Ist die ‹Tagesschau› eine zeitgemässe Informationssendung?

Je länger, desto mehr. Das zeigen auch die Quoten, wir haben sehr gute Zuschauerzahlen. Das Interesse nach guter und fundierter Information ist riesig. Ich glaube, die Leute haben eher genug von dem Kurzfutter-Bombardement.

Inwiefern?

Die Zuschauerinnen und Zuschauer mögen es, wenn am Abend jemand die Situation einordnet, zum Beispiel ein Korrespondent aus Washington oder London, dem Tessin oder Bern. Wir leben in einer hektischen Welt, ertrinken fast in der Informationsflut. Da ist es doch hilfreich, wenn eine ‹Tagesschau› seriös und sachlich etwas bedächtiger informiert.

Kommt ein bisschen Wehmut auf, wenn Sie an Ihr letztes ‹uf Widerluege› denken?

Wehmut ist wohl nicht das richtige Wort. Ich sage dieses ‹uf Wiederluege› ja freiwillig, mit einem richtig guten Gefühl. Und wer weiss schon, was noch alles kommen mag … (lacht).

«Tagesschau – Hauptausgabe» läuft am Donnerstag, 2. April, um 19:30 Uhr auf SRF1. Mit Swisscom Replay TV können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

Diese Legenden kehrten SRF den Rücken.

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