«Moskau Einfach!» dreht sich um den Fichen-Skandal 1989, Mike Müller ist der Geheimdienst-Chef. Im «Bluewin»-Interview geht es um den hiesigen Minderwertigkeitskomplex, antideutsche Haltungen und vieles mehr.
Das Interview mit Mike Müller erscheint in zwei Teilen. Den zweiten Teil lesen Sie am Sonntag, 16. Februar, auf «Bluewin».
Mit dickem Winterschal erscheint Mike Müller in einer Zürcher Kultbeiz beim Escher-Wyss-Platz. «Es ist grad winterig, und ich bin mit dem Velo gekommen», sagt er mit seiner rauen, tiefen Stimme – und lacht das bekannte Mike-Müller-Lachen. Dann geht das Interview los.
Herr Müller, «Moskau Einfach!» geht es um die Fichen-Affäre in der Schweiz. Sie haben damals Ihre eigene Fiche angefordert. War das kompliziert?
Nein, war es nicht. Ich hatte keine.
«Moskau einfach!» – die Fichenaffäre als Kinokomödie
«Moskau Einfach!» sei «ein Spiegel der Verarbeitung des Fichenskandals», so konnte man es allenthalben lesen. Und: «Etwas zu harmlos und geradezu nostalgisch.» Lohnt sich der Film trotzdem?
22.02.2020
Klingt, als seien Sie darüber enttäuscht. Und seltsam: Hat man nicht gerade Ihnen am Anfang Ihrer Karriere hinterhergeschnüffelt – Ihnen, dem jungen, linken Schauspieler?
Wir wussten schnell, wer bespitzelt wird, welche Aktivitäten beobachtet werden. Beim Theater, das wir in Olten gegründet haben, war das sicher nicht der Fall. Aber meine Reise nach Moskau hätte fichiert werden können. Aber das war auch nicht der Fall. So, wie ich hier nicht fichiert wurde, haben sich auch die Russen nicht für uns interessiert. Ich konnte mich dort völlig frei bewegen. Moskau war schon damals eine Millionenstadt. Die haben sich nicht für einen kleinen Schweizer interessiert, der eine Studienreise vor der Matur macht. Wir haben ein typisches Touristenprogramm gemacht, damals konnte ich noch die U-Bahnstationen lesen oder nach dem Weg fragen. Aber ich weiss nicht, ob ich mittlerweile eine Fiche habe.
Meinen Sie?
Die Sammlerei geht fröhlich weiter. Und es zeigt, wie die Schweiz mit solchen Themen umgeht – nämlich gar nicht. Da haben eine Reihe von Politikerinnen und Politikern beim BÜPF (Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs BÜPF) brandschwarz gelogen – und mussten schon im Wahlkampf die ersten Korrekturen vornehmen. Es hat dann zwar immer noch nicht gestimmt – aber es hatte keine Auswirkungen. Man hat ja von der Massen-Vorratsspeicherung gewusst.
Verrückt.
Ja, und es gibt genug amerikanische Positionen, die sagen, ihr werdet das grosse Rauschen haben. Da gehören ganz tragische Fälle dazu – der Weihnachtsmarkt in Berlin, die Promenade d’ Anglais in Nizza. Dabei hatte man alle Daten. Die bürgerliche Politelite war schon immer ein bisschen faul. Es gibt bis heute noch rechte Kreise, die das rechtfertigen, dass 900’000 Leute fichiert worden sind. Wenn man es gern bürokratisch, ineffektiv und wider rechtstaatliche Prinzipien und wider die persönliche Freiheit hat, dann hat man den Salat. Ich bin ratlos.
Sie meinen die sozialen Medien?
Ja, Facebook und die Datenströme. Da gibt es diese kleinen Beispiele: Du willst was googeln, und dann fragst du dich, wieso weiss da etwas, was ich will? Es ist eben der Algorithmus, der weiss, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass du als Mann in diesem Stadtteil um diese Zeit nach diesem oder jenem Schlagwort suchst. Das macht jegliche Individualität zur Schnecke – Spooky. Kaum bist du in einem anderen Land, wird die Google-Suche und Werbung anders. Gewisse Medizinalprodukte, die bei uns verboten sind, werden auf einmal angeboten.
Obwohl Sie den Schnüffelstaat aufs Schärfste verurteilen, spielen Sie trotzdem in «Moskau Einfach» den überzeugten Geheimdienst-Chef Marogg.
Nicht trotzdem, sondern deswegen. Marogg ist ein gutgläubiger Vertreter eines alten Systems. Natürlich finde ich, dass es furchtbare Leute sind, die das taten. Man hat gesehen, die Qualität der Fichen war schlecht. Die Leute waren weder gebildet noch schlau. Wir haben in einer Zeit gelebt, wo uns diese Bespitzelung nicht so bewusst war. Anders als bei den Leuten, die wir nach dem Mauerfall kennengelernt haben. Aber es hatte einen Einfluss auf Karrieren.
Inwiefern?
Es betraf zum Beispiel alle Militärdienstverweigerer, das war eine hochgradig politische Verurteilung. Heute ist die Militär-Gerichtbarkeit anders besetzt, sie arbeitet sehr sauber. Aber damals waren es alles versoffene Offiziere, FDPler, SVPler, CVPler, die junge Männer sehr lange in die Kiste gesteckt haben. Als Verweigerer aus politischen Gründen hätte ich circa neun Monate kassiert. Ob politisch, religiös oder gewaltfrei, das wurde völlig unterschiedlich taxiert. Das sind die gleichen Gangster, die für die Beton-Polizei, also den Geheimdienst eingestanden sind. Dieser rechte Filz musste irgendwann weg.
Dann kam 1989 der Knall.
Die Blase ist 1989 etwas geplatzt, deshalb ist die Abstimmung auch so herausgekommen, wie es herausgekommen ist. Ich lebe gern in der Schweiz, ich verdiene mein Geld mit Schweizerdeutsch auf der Bühne. Da gibt es den Minderwertigkeitskomplex und den Grössenwahn, und leider leben wir nicht in der Mitte, sondern immer etwas an diesen beiden Polen. Die wirklich gefährlichen Verbindungen zu den italienischen, französischen, deutschen Terroristen, die hatten sie nicht auf dem Schirm. Dafür waren sie zu wenig schlau.
Aber genau so einen «Unschlauen» spielen Sie jetzt in «Moskau Einfach!». Gab es innerlich keinen Widerstand?
Was ich fühle, ist nicht so entscheidend, ich bin bloss der Darsteller. Entscheidend ist, dass ich ihn stark mache. Dass ich mit einer Figur zeigen will, was mir bezüglich damals alles auf den Senkel ging. Es interessiert niemanden, wie Herr Mike Müller diese Zeit sieht. Die Leute wollen einen guten Film sehen, den Polizisten, der illegal arbeitet, sich «halblusch» einsetzt und dann einen Rückzieher macht. Auch die Paranoia zu zeigen, die herrschte, das interessiert. Wenn man den ganzen Tag Seich erzählt, dann glaubt man das zum Schluss auch. Auch bei radikalisierten Politikern ist das ein Problem: Sind sie nicht bereit, ihre Position zu prüfen, verhärtet es sich.
«Moskau Einfach!» handelt einerseits von der Bespitzelung einer Theatergruppe und andererseits wird eine junge, talentierte Schauspielerin gebremst und von ihrem Regisseur sexuell belästigt.
Der Chauvinismus und die antideutsche-Haltung entstanden hierzulande in der Nachkriegszeit. Ich verstehe nicht alles aus jener Nachkriegszeit in der Schweiz. Bis in die 60er hat man immer Hochdeutsch gesprochen, auch im Radio, erst später kam es dazu, dass überall Schweizerdeutsch gesprochen wurde, und es kam das Deutschen-Ressentiment.
Finden Sie es nicht gut, das mehr Schweizerdeutsch gesprochen wird?
Es ist eine ganz schlechte Idee, wenn die Leute kein Hochdeutsch mehr können. Die Deutschen müssen das ja auch lernen, die können ja auch nicht wie in der Gosse reden. Und dann denken wir Schweizer, technisch die Besten zu sein. Und wir glauben, mit dem Schweizer Pass überall hinzukommen. Aber das stimmt alles faktisch nicht. Zum Reisen ist der Ami-Pass der beste. Es stimmt auch im Business nicht mehr, wir sind nicht die beliebtesten, wir sind einfach nur bauernschlau. Der Deutschen gelten als straighter. Wenn ein kleines Land an seine Mythen glaubt, hat es verloren. Der Glaube, die Deutschen können kein Englisch oder Französisch, das ist heute nicht mehr so, die Jungen können das, besser als wir. Wir können ja kein Französisch mehr.
Diese vermeintliche Bauernschläue zeigt sich auch bei den Beamten in «Moskau Einfach!». Obwohl es im Film um Politik und eine schwierige Zeit der Schweizer Geschichte geht, kommt der Film erstaunlich leicht und komödiantisch daher.
Ja, leicht. Micha Lewinsky (der Regisseur, Anm. d. Red.) sagt immer, es ist eine Komödie. Ich verstehe eine Komödie als lustvolles Scheitern, im Gegensatz zur Tragödie, dem Scheitern zu einem hohen Preis. Das Drehbuch ist aber nicht als pure Comedy geschrieben, bei der eine Pointe auf die nächste folgt, um möglichst absurde Situationen zu schaffen. Die Situation war damals schon absurd genug. Und es zeigt das Scheitern eines Landes, das danach anders weitermachen muss.
Stimmt. Es ist eine mehrschichtige Geschichte.
Es ist schön konstruiert, es ist eine doppelte Befreiung: Jene des Polizisten von seinem doof-gläubigen Chef, aber auch eine Befreiung der jungen Schauspielerin aus einem patriarchalen System, das allerdings bis heute Bestand hat.
Die Me-Too-Bewegung war und ist noch immer ein Thema. Wie sieht es heute in der Schweizer Theaterszene aus?
Wir sind in einer Stadt, wo zum Glück ein anderer Wind weht. Doch das Stadttheater ist noch immer ein stockkonservativer Club. Sehr hierarchisch, sehr autoritär, dass dort Frauen auf der Strecke bleiben, ist klar. Seit aber dort mehr Frauen involviert sind, ist es für Patriarchen schwieriger geworden – oder für Regisseure, die «herumtöpeln». Und bei uns ist die Filmindustrie zu klein, und es geht nicht um so viel Geld wie in den USA. Vor allem die Comedy-Szene ist kleingliedriger.
Michael Maertens, ein Schauspieler des Burgtheaters, mimt in «Moskau Einfach» den Regisseur. Ausserdem gab es ein Wiedersehen mit Martin Ostermeier, auch bekannt als Alois Semmelweis, Pathologe aus «Der Bestatter».
Ja, leider haben Martin und ich uns am Set wenig gesehen. Ich habe das Drehbuch schon sehr früh gekannt, Micha hat mich schon früh hinzugezogen und diverse Schauspieler für die Polizisten-Rolle ausprobiert. Er hat sich dann für Philippe Graber entschieden. Ich habe vor allem mit ihm gespielt.
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