Aargauer SpitzenkochSven Wassmer: «Aromat? Geht gar nicht»
Carlotta Henggeler
19.11.2024
Sternekoch Sven Wassmer ist neu bei der TV-Brutzelshow «Masterchef Schweiz» dabei. Der Aargauer über Burnouts in der Spitzengastronomie, seine Viertagewoche und Aromat.
Carlotta Henggeler
19.11.2024, 16:38
21.11.2024, 13:28
Carlotta Henggeler
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Sven Wassmer kocht im Signature-Restaurant «Memories» in Bad Ragaz SG. Der 37-Jährige priorisiert eine ausgewogene Work-Life-Balance als Stressprävention. Auch, um Zeit mit seiner Familie zu verbringen.
Der Spitzenkoch betont seine Vorliebe für regionale und nachhaltige Zutaten, besonders in seiner modernen Alpenküche.
Mit seiner Rolle im «Masterchef Schweiz»-Team freut er sich auf die Zusammenarbeit mit anderen Spitzenköch*innen. Eine weitere Staffel würde ihn reizen.
Er stellte sich der ketzerischen Frage: Aromat, ja oder nein?
Sven Wassmer, was isst ein Spitzenkoch zum Zmorge?
Sven Wassmer: Zmorgä? Meistens Flat White, Kafi mit Hafermilch. Manchmal eine Banane oder ein Müesli mit etwas Joghurt.
Du bist einer der besten Köche der Schweiz. Du hast drei Michelin-Sterne und 18 «Gault-Millau»-Punkte. Was machst du besser als die Konkurrenz?
Sie kochen anders, aber ich habe nicht das Gefühl, dass sie Konkurrenten sind. Bei mir im Signature-Restaurant Memories ist speziell, dass ich alles offen gebaut habe, die Küche ist mitten im Restaurant, es gibt keine Barriere, wir kommen alle zusammen: Service, Gastgeber, Köche und Gäste. Und dass wir mit unserem kulinarischen Erbe der modernen Alpenküche spielen, das ist sehr einzigartig.
Moderne Alpenküche, wie kann ich mir das vorstellen? Was kommt da auf den Teller?
Wir nehmen Produkte aus der Alpenregion – das geht von Frankreich über Liechtenstein, Süddeutschland, Österreich, Norditalien, der Schweiz bis nach Slowenien – wir bedienen uns daraus. Mit den Jahren habe ich gemerkt, dass es die meisten Produkte vor unserer Haustüre gibt. Das Moderne kommt daher, dass wir bei unseren Produkten Kochtechniken aus aller Welt anwenden. Zum Beispiel setzen wir alle unsere Misos selbst an, ob Heumandel- oder Bienenbrot-Miso, das ist heruntergebrochen die moderne Alpenküche. Ich will nicht, dass unser kulinarisches Erbe in Vergessenheit gerät, wir sind ein Bauernland, das sich schon immer selbst versorgt hat, mit ganz viel tollen Produkten und Gerichten, die man auf ein neues Niveau heben kann. Mal sind es Knöpfli mit gerösteter Hefebutter und Käsewasser und Trüffel.
Was kommt dir nie und nimmer auf den Tisch?
Seit ich selbst Küchenchef bin, ist es Gelbflossen-Tuna oder Foie gras. Das ist kein Luxus, das ist in meinen Küchen ein No-Go. Aus ethischen Gründen und es macht keinen Sinn, so etwa um die Welt zu fliegen. Damit kann ich keine Emotionen wecken, dieser Fisch stammt nicht aus unseren Breitengraden. Foie gras aus ethischen Gründen. Ich esse schon mal eine ungestopfte Foie gras aus toller Qualität, da muss ich ehrlich sein. Aber in meine Küche gehört es nicht.
Wir haben weltweit eine der grössten Dichten an Sternerestaurants pro Kopf weltweit. Sind wir Foodies?
Wir haben das Glück und das Privileg, dass es uns extrem gut geht, eine sehr hoch stehende Qualität haben und die Leute gerne auswärts essen gehen. Der Erfolg des Restaurants ist der zufriedene Stammgast. In unserer Kultur ist es verankert, dass es sich die Menschen etwas gönnen und gut essen gehen.
Seit Corona hast du nur noch vier Tage die Woche offen. Hat das deine Work-Life-Balance verbessert?
Es war eine mutige Entscheidung. Hochstehende Qualität zu bieten, bei diesem Arbeitspensum – das ist für meine Mitarbeiter*innen und auch für mich als zweifachen Vater nicht nachhaltig, dass wir fünf Tage die Woche arbeiten. Da haben wir zu wenig Energie, um dem Gast die beste Performance liefern zu können. Deshalb konzentrieren wir uns nun auf vier Tage, und ich habe das ausprobiert. Auch, um eine bessere Balance mit der Überzeit hinzukriegen. Ich bin sehr happy mit dieser Entscheidung, es funktioniert sehr gut. Mir ist es wichtig, eine Balance zu haben, um genug Zeit mit meinen Kindern verbringen zu können.
Es ist kein Geheimnis, dass in der Spitzengastronomie Köch*innen mit Suchtproblemen oder Burnouts zu kämpfen haben. Ist die Viertagewoche deine Anti-Stress-Strategie?
Das ist nicht so ein Problem für mich, ich habe seit zwei Jahren meinen Alkoholkonsum sehr reduziert und bin auch sonst sehr fokussiert auf meinen Job. Seit Jahren habe ich einen Mental-Health-Coach, mit dem ich meine Resilienz trainiere, um nicht in einer Stressspirale zu landen. Es ist lustig, Spitzenköche werden oft mit Spitzensportlern verglichen – und im Spitzensport. Dort ist es inzwischen normal, einen Mental Coach zu haben, unter den Chefköchen nicht. Ich habe einen wunderschönen Beruf, der aber immer umfangreicher wird. Deshalb lasse ich mich seit Jahren coachen, wir trainieren zum Beispiel diverse Atemtechniken. Damit habe ich meinen Kopf und Geist besser im Griff und rutsche nicht so schnell in Stresssituationen. Ein sehr wichtiges Thema, über das man bisher zu wenig spricht.
Spitzenchefs schlagen manchmal raue Töne in der Küche an. Was bist du für ein Boss?
Früher war ich ein echter Boss, bin da mit meinen Mitarbeitern nicht so gut umgegangen. Dabei habe ich mir geschworen, nie so zu werden. Vor elf Jahren war ich mit 27 Jahren ein junger Chef und wusste nicht, wie man Leute führt. Heute investiere ich Zeit in Weiterbildungen, zum Beispiel im Segment Positive Leadership, gehe regelmässig in Leadership-Bootcamps und auch im November besuche ich ein Bootcamp von Professor Dr. Wolfgang Jenewein. Ich bilde mich laufend weiter und lese viele Bücher dazu. Ich habe gemerkt, dass ich einen Schritt zurück machen muss und meinem Team gestatten muss, um voranzukommen und sich weiterentwickeln zu können, müssen sich Fehler machen. Ich bin überzeugt, dass der Gast diese Fehler nicht bemerkt. Das federe ich ab, wir spielen ja auch in der Champions League.
Was bedeuten dir deine drei Michelin-Sterne?
Es ist für mich eine grosse Ehre, durfte ich 2020 in diesen Olymp aufsteigen – und einen grünen Stern für die Nachhaltigkeit. Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich dran denke. Das war mein Ziel. Es gibt weltweit nur 150 Drei-Michelin-Sterne-Restaurants, und in der Schweiz sind wir vier. Ich repräsentiere die Schweiz nach aussen für eine einzigartige Gastronomie, da bin ich stolz drauf.
Ist es kein mentaler Stress, sich jedes Jahr die Auszeichnungen verdienen zu müssen?
Ich durfte 2022 in die oberen Ränge aufsteigen – und das kann mir niemand mehr nehmen. Diese Haltung möchte ich meinem Team vermitteln: Wir machen so weiter, wir bleiben neugierig, wir wollen unser kulinarisches Erbe weiter vertiefen. Das ist der Schlüssel: Dass man weiterhin Freude hat, die Gäste zu bewirten, geht das einher mit dem Erfolg.
Was kochst du deiner Familie, wenn du mal freihast?
Gerade gestern habe ich eine Quinoa-Risotto gekocht. Uns ist es wichtig, frisch zu kochen, wir kochen mit den gleichen Produkten wie im Restaurant. Ich bestelle auch bei meinen Produzenten, weiss, woher die Produkte stammen, immer biologisch bis Demeter, immer alles verwerten. Mir ist es sehr wichtig, kein Convenience Food zu essen.
In der Schweiz ist es immer ein grosser Streitpunkt: Aromat – ja oder nein?
Nein! Für mich geht das gar nicht. Mich graut es, wenn ich ein Restaurant reinlaufe und das Aromat-Dösli sehe. Ich habe das nie verstanden – auch an Ostern nicht. Ich nehme dann einfach eine gute Mayonnaise. Es gibt tolle Schweizer Mayonnaisen mit Schweizer Rapsöl, ich verzichte auf Geschmacksverstärker.
Du bist im Team von «Masterchef Schweiz» dabei. Was hat dich daran gereizt?
Megatolle Erfahrung, wurde ich als Gastjuror angefragt. Ich kenne die Jury, habe mit allen schon einmal zusammengearbeitet, sind seit Jahren befreundet. Es ist eine Art Klassenzusammenkunft. Ich war neugierig, wie so eine Sendung funktioniert. Ich bin auch nicht kamerascheu, ich fühle mich da wohl. War schön, meine Expertise reinbringen zu dürfen. Hoffentlich gibt es eine weitere Staffel und ich kann mich dort wieder einbringen, vielleicht auch sogar noch mehr. Wer weiss? Das würde mich sehr freuen.
Wie wäre es mit einem «Al dente» 2025 mit den besten Köch*innen der Schweiz? Das war ja eine Kultshow von SRF.
Ich habe auch schon mit Sven Epiney darüber gesprochen. Sven und Sven, das passt super zusammen. Lass uns ein «Al dente 2.0» machen.
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