Kölner «Tatort» über Eroscenter-Szene Geht es Prostituierten heute besser als früher?

tsch

24.11.2024

Im Kölner «Tatort» trafen Ballauf und Schenk auf Prostituierte, die auf eigene Rechnung arbeiten. Geht es ihnen besser als Kolleginnen mit Zuhälter? Wie funktioniert das Geschäft mit körperlicher Liebe wirklich?

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Im Kölner «Tatort: Siebte Etage» ermittelten die Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) im Fall eines toten Hausmeisters in einem Eroscenter.
  • Dort arbeiteten die Prostituierten auf eigene Rechnung und ohne Zuhälter. 
  • Trotz der Legalisierung von Sexarbeit werden nach wie vor viele Frauen in diesem System ausgebeutet: «Die Masse der Sexarbeiterinnen bleibt ungehört.»

Das Kölner Ehepaar Eva und Volker A. Zahn («Zarah – Wilde Jahre») gehört zu den best etablierten Drehbuchteams des Fernsehens.

Ihre Stoffe verhandeln gern die moralischen Aggregatzustände Deutschlands – und kaum ein Thema lässt sich moralischer diskutieren als Prostitution, das «älteste Gewerbe der Welt».

War es sinnvoll, dass man es in Deutschland 2017 komplett legalisierte und zu einem ganz normalen Beruf machte? Geht es Sexarbeiterinnen und -arbeitern heute ohne Zuhälter eigentlich besser?

Welche Schauspielerinnen verbargen sich unter den Perücken und hinterm Glitzerfummel, den der «Tatort: Siebte Etage» über Morde in einem Kölner Eroscenter in Szene setzte?

Worum ging es?

Der unbeliebte Hausmeister eines Kölner Eroscenters wurde aus dem Fenster gestossen, er ist tot. Auf der siebten Etage des Eroscenters ist Geschäftsführer Gerald Kneissler (André Eisermann) stolz darauf, dass all seine Damen – jeweils Mieterinnen ihrer Zimmer – auf eigene Rechnung und ohne Zuhälter arbeiten.

Man lernt sie bei Verhören der Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) kennen: Jasmin (Antonia Bill) wurde von ihrer bürgerlichen Familie verstossen, Cosima (Senita Huskic) hat zwei Kinder und würde diese gern zu sich holen.

Tani (Maddy Forst) ist verheiratet und sieht den Job eher pragmatisch. Ex-Prostituierte und Schosshundliebhaberin Chiara (Sabrina Setlur) betreibt mittlerweile ein Nagelstudio auf dem «Hurentrakt». Ist eine der Frauen die Täterin?

Worum ging es wirklich?

Das deutsche Prostitutionsgesetz trat am 1. Juli 2017 in Kraft und sollte Sexarbeiterinnen besser schützen, indem man sie in die Legalität holt. Bereits seit 2002 gilt Prostitution nicht mehr als sittenwidrig.

Das neue Gesetz sieht nun eine Anmeldepflicht vor, Gesundheitsvorsorge und Beratung der Prostituierten. Bordellbetreiber müssen dazu ordentliche Arbeitsbedingungen nachweisen und sich von Menschenhandel sowie Zwangsprostitution fernhalten.

Laut den Drehbuchautoren Eva und Volker A. Zahn bleibt das Gewerbe trotzdem ein unmenschliches, was sie durch die Frauenporträts ihres neuen «Tatort» zu zeigen versuchten: «Wir wollten die Unmöglichkeit zeigen, ein richtiges Leben im falschen zu führen.»

Zahn führt aus, was die eigene Psyche der Sexarbeiterinnen und -arbeiter auf Dauer zerstört: «Das Wissen um die eigene Käuflichkeit und Verfügbarkeit, die Gewöhnung daran, dass jeden Tag mehrere wildfremde Männer wie selbstverständlich und wenig freundlich in dich eindringen und du ihnen im schlimmsten Fall auch noch vorspielen musst, dass dir das gefällt.»

Prostituierte ohne Zuhälter – ein humaneres Konzept?

Abgesehen davon, dass ein Machtgefälle zwischen Sexunternehmern und Prostituierten auch ohne offizielles Zuhälterwesen wirksam sein kann, würde man das Arbeiten auf eigene Rechnung der Sexarbeiterinnen erst mal besser finden. Oder?

Laut verschiedenen Schätzungen gibt es in Deutschland etwa 200'000 bis 400'000 Menschen, die sich gewerblich prostituieren. Mittlerweile arbeitet eine Mehrheit in Deutschland unabhängig, vor allem seit der Legalisierung der Prostitution im Jahr 2002 und der Einführung des Prostituiertenschutzgesetzes im Jahr 2017. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 60-80 Prozent der Sexarbeitenden ohne Zuhälter tätig sind.

Die Drehbuchautoren stellten in ihrer Recherche fest, dass dennoch nach wie vor viele Frauen in diesem System ausgebeutet werden. «Die Masse der Sexarbeiterinnen bleibt ungehört», sagt Volker A. Zahn. «Und das in einem Business, in dem auf dem Rücken der Prostituierten das ganz grosse Geld gemacht wird.

Es ist absolut widersinnig: Da wird auf vielen gesellschaftlichen Ebenen endlich über die von Männern gemachten Strukturen diskutiert, die Machtmissbrauch und Gewalt gegen Frauen ermöglichen oder begünstigen. Gleichzeitig darf Mann sich mit grosser Selbstverständlichkeit und politischer Rückendeckung in diesen Paysex-Freiräumen beinahe ungehemmt und unbehelligt austoben.»

Wie viele Prostituierte arbeiten in der Schweiz?

Wie in Deutschland gibt es auch in der Schweiz vermutlich eine hohe Dunkelziffer. Man schätzt, dass hierzulande zwischen 15'000 bis 20'000 Personen in der Prostitution tätig sind.

Es ist wichtig zu beachten, dass Prostitution in der Schweiz legal ist, solange sie unter bestimmten Bedingungen ausgeübt wird. Auch hier wurden gerade in den letzten Jahren zahlreiche Gesetze verabschiedet, die Sexarbeiterinnen und -arbeiter schützen sollen.

Wurde in einem echten Bordell gedreht?

«Ja», bestätigt Regisseur Hüseyin Tabak. «Tatsächlich wurden alle Szenen, die in einem ‹Laufhaus› spielen sollen, auch in einem echten ‹Laufhaus› gedreht. Das sind dann zwei Drittel der Drehzeit unseres ‹Tatorts› gewesen. Und ja, in den ersten drei Etagen liefen noch die Arbeiten der Damen weiter, während wir im obersten Stockwerk gedreht haben. Es gab nur einen kleinen Fahrstuhl, mit der die Technik, aber auch die Frauen im Team hochgefahren sind. Denn tatsächlich ist man im Treppenhaus immer wieder Freiern begegnet.»

Wer spielte die Prostituierten?

Das bekannteste Gesicht des Ensembles gehört der von Sabrina Setlur gespielten Ex-Prostituierten und Nagelstudiobetreiberin. Die 50-jährige Frankfurterin verkaufte ab 1995 im Umfeld der Rapper des Rödelheim-Hartreim-Projektes um Produzent Moses Pelham zwei Millionen Alben.

Sie wurde zur ersten deutschen Rapperin mit einem Nummer-eins-Hit («Du liebst mich nicht»). Anfang der Nullerjahre wurde es ruhig um die Tochter indischer Einwanderer. 2003 und 2007 veröffentlichte Setlur noch einmal zwei Alben.

Jasmin Backes, die Prostituierte mit der blonden Pagenkopfperücke, wird von Antonia Bill verkörpert. Die 36-jährige Münchnerin ist Absolventin von Deutschlands berühmtester Schauspielschule Ernst Busch in Berlin und spielte bereits an zahlreichen Edeltheatern und in Serien/Filmen. Schon ihre erste grosse Rolle wurde mit dem Deutschen Filmpreis belohnt. 2013 spielte Bill die weibliche Hauptrolle in «Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht» von Regisseur Edgar Reitz.

Maddy Forst, 1997 in Haiti geboren und aufgewachsen in Emmendingen nahe Freiburg, spielt die schwarze Prostituierte Tani Schiller. Forst lebt mittlerweile in Köln und spielt dort Theater. Sie war ausserdem in der ZDFneo-Serie «WatchMe – Sex sells» zu sehen.

Prostituierte und Zweifachmama Cosima schliesslich wird von Senita Huskic gespielt. Die deutsch-bosnische Schauspielerin wurde vor 30 Jahren in Hamburg geboren. Sie arbeitet regelmässig am Theater und realisiert dabei auch eigene Stücke und ausserdem Kurzfilme. Seit 2022 stand Huskic für verschiedene TV-Produktionen vor der Kamera, darunter «Der Pass», ein Rostocker «Polizeiruf 110» und die Serie «Zwei Seiten des Abgrunds».

Wie geht es beim Kölner «Tatort» weiter?

Drei neue Folgen sind abgedreht. Vermutlich schon am 5. Januar 2025 steht der 92. Fall «Restschuld» an, in dem Ballauf und Schenk in der Inkassoszene ermitteln. Fall 93, der «Tatort – Colonius» – zu sehen vermutlich auch noch im ersten Quartal 2025 –, führt die Kommissare dann in den 253 Meter hohen Fernsehturm ihrer Stadt.

Der zweistöckige Besucherbereich ist längst nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich. Seit 1994 findet sich kein Pächter für das Drehrestaurant und die darüber liegende Diskothek. Die Aussichtsplattform ist seit 1999 geschlossen.

Im September 2024 endeten schliesslich die letzten Dreharbeiten zum Fall «Die Schöpfung», dem 94. Fall. Gedreht wurde an der Kölner Oper. Mitten in den Proben für die erste Premiere der neuen Spielzeit wird die Rüstmeisterin der Produktion dort erschossen aufgefunden. Und bei dieser Leiche bleibt es nicht.


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