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Solothurner Filmtage Solothurn-Direktorin Seraina Rohrer: «Die Entwicklung macht mir Sorgen»
Lukas Rüttimann
22.1.2019
Festival-Chefin Seraina Rohrer spricht über das Vorurteil, an den Solothurner Filmtagen gäbe es nichts zu lachen, die schlechten Zahlen beim Schweizer Film – und welchen Star man am Festival treffen kann.
Seraina Rohrer, was unterscheidet die 54. Solothurner Filmtage von den 53.?
Wir haben dieses Jahr sehr viele Beiträge von jungen Filmschaffenden, die sehr überzeugen. Die 54. Ausgabe steht darüber hinaus auch im Zeichen der ganz grossen Fragen. Bei der Auswahl ist uns aufgefallen, dass sich viele Werke mit dem Sinn des Lebens und anderen Grundsatzfragen beschäftigen.
Haben Sie dafür eine Erklärung?
Ich glaube, dass man sich in den letzten Jahren oft mit aktuellen politischen Themen auseinandergesetzt hat, vielleicht auseinandersetzen musste. Das Thema Migration und die Flüchtlingsfrage waren sehr dominant. Als nächster Schritt folgt nun die Frage nach dem Ideal – was streben wir an, wo setzen wir die Prioritäten? Dass wir uns das 50 Jahre nach 1968 fragen, ist vielleicht kein Zufall. Themen wie Umweltschutz, Nachhaltigkeit, aber auch Spiritualität werden wieder wichtig, und der Kinofilm bietet eine gute Möglichkeit, sich in einer schnellebigen Welt vertieft damit auseinanderzusetzen.
Solothurn gilt als Werkschau des Schweizer Films. Wie steht es um ihn im Jahr 2019?
Kommt darauf an, was man misst. Ich sehe anhand von Erfolgen an internationalen Festivals, dass der Schweizer Film noch immer sehr gefragt ist. Auch bei den jungen Filmschaffenden sind spannende neue Stimmen zu hören. Auf der anderen Seite bereiten mir die Kinozahlen vom letzten Jahr keine Freude. 2018 war durchs Band weg kein gutes Kino-Jahr. Der Schweizer Film konnte seinen Markanteil zwar halten, aber die absoluten Zahlen sind um 250'000 Eintritte zurückgegangen. Diese Entwicklung macht mir Sorgen.
Die Begründung guter Sommer und Fussball-WM sticht für Sie nicht?
Nein, das greift zu kurz. Man muss sich ernsthaft überlegen, wie man den Schweizer Film künftig an die Leute bringt. Ist das Kino wirklich der einzige Weg – oder muss man in Zukunft andere Optionen prüfen? Der Erfolg an Festivals und auf Video on Demand ist belegt, aber an den Kinokassen sah es zuletzt oft anders aus.
Gibt es denn schon eine Art Netflix für Schweizer Filme? Das Bundesamt für Kultur hat ja kürzlich entsprechende Pläne vorgestellt.
Nun, es gibt Swisscom TV und Cinefile, aber der Markt für Schweizer Filme per VoD ist noch nicht ausgeschöpft. Da sehe ich ein grosses Potenzial. Verschiedene Plattformen sind in Planung, aber konkret ist noch nichts.
Ihre Sorgen stehen im krassen Gegensatz zum Grosserfolg von «Wolkenbruch».
Über diesen Erfolg freue ich mich sehr. Solche Überflieger gibt es zum Glück immer wieder, aber der Schweizer Film hat eine ungeheure Breite. Die Frage ist für mich, ob man wirklich alle Filme ins Kino bringen sollte oder ob andere Wege sinnvoller sind. Das ist ein grosses Thema, das uns in den nächsten Jahren beschäftigen wird.
Eine Schweizer Kernkompetenz sind seit jeher Dokumentarfilme. Welche Highlights aus diesem Bereich zeigen Sie in Solothurn?
Wir eröffnen das Festival mit einem Dokfilm. «Tscharniblues II» ist ein sehr gelungener Erstling, auf den man sich freuen darf. So wie «Digitalkarma» über eine junge Frau in Bangladesch, die zu einer «digitalen Arbeitsbiene» ausgebildet wird. Ihr Kampf zwischen Tradition und Moderne ist ein absolut faszinierendes Schweizer Filmerlebnis.
Traditionell untervertreten sind in Solothurn Komödien. Auch dieses Jahr?
Das stimmt überhaupt nicht! Wir zeigen Komödien genauso gern wie Dokfilme, aber auch hier gilt: Sie müssen denselben Qualitätsansprüchen standhalten. Dieses Jahr zeigen wir durchaus lustige Schweizer Filme wie eben «Wolkenbruch», «Betes blondes» oder «Un nemico che ti vuole bene». Ich persönlich bin ja ein grosser Fan von Comedy.
Ist es also ein Vorurteil, dass es an den Filmtagen eher wenig zu lachen gibt?
Es kommt natürlich immer darauf an, was eingereicht wird. Ich gebe zu: Dieses Jahr wird nicht das lustigste aller Zeiten in Solothurn; wir hatten schon mehr Komödien im Programm. Als Werkschau wollen wir aber immer alle Facetten des Schweizer Films abbilden, und da gibt es selbstverständlich auch etwas zu lachen.
Welchen Stellenwert haben die boomenden Serien in Solothurn?
Wir haben eine welsche Show im Programm, «Double Vie» – ein sehr schönes Beispiel für die lebhafte Serienlandschaft in der Schweiz. Die SRG hat ja angekündigt, dass man die Serienproduktion ausbauen wird, was mich sehr freut. Leider haben wir dieses Jahr etwas weniger Serien im Programm. Das hängt aber nur mit dem Produktionsrhythmus zusammen. 2018 hatten wir mit «Seitentriebe» und «Wilder» gleich zwei grosse Highlights, heuer fallen wir leider in eine Phase, in der neue Inhalte erst produziert werden müssen.
Solothurn ist nicht Cannes. Trotzdem: Welche Stars kann man dieses Jahr am Festival treffen?
Wir haben jedes Jahr unsere Ehrengäste. Dieses Jahr ist das Bruno Todeschini, von dem viele nicht wissen, dass er Schweizer ist. Er hat schon in 130 Filmen Haupt- und Nebenrollen gespielt; er ist ein ungemein facettenreicher Schauspieler, der schon mit vielen Grössen gearbeitet hat. Auch Joel Basman ist dieses Jahr sehr präsent, er ist gleich mit drei Filmen bei uns. Die Chancen, sich mit Filmschaffenden auszutauschen, sind in Solothurn gut. Das ist einer der Vorteile der Filmtage: Wir sind kleiner und zugänglicher als andere Festivals. Die Filmtage ziehen keine Barrieren zwischen Filmschaffenden und Publikum auf – wir bauen sie ab.
Wann sind die Filmtage 2019 für Sie ein Erfolg?
Dann, wenn unvergessliche Begegnungen stattgefunden haben. Natürlich müssen auch die Zahlen stimmen, und wir wollen ein Publikum erreichen. Nicht zuletzt wollen wir unserem Anspruch gerecht werden, die Filmschaffenden ins Zentrum zu stellen – auch jene, die sonst gern übersehen werden. Wenn das alles eintrifft, ist die 54. Ausgabe ein voller Erfolg.
Die Solothurner Filmtage dauern vom Donnerstag, 14. Januar, bis am Donnerstag, 31. Januar.
Fünf Film-Tipps für Solothurn 2019
1. «Der Büezer»: Einer von drei Filmen mit Joel Basman: Nach dem Tod seiner Eltern weiss der junge Sanitärtechniker Patrick «Sigi» Signer nicht wohin mit seinem Leben. Der Lohn reicht zu nichts, die Frauen ignorieren ihn als Büezer, Freunde hat er kaum. Auf dem Nachhauseweg begegnet Sigi Hannah, einer schönen Frau, die sein Leben durcheinanderbringt.
2. «Zwingli»: Die Schweizer Grossproduktion über den Zürcher Reformator darf in Solothurn nicht fehlen: Huldrych Zwingli (Max Simonischek) hat in wenigen Jahren die ganze Stadt Zürich auf den Kopf gestellt. Mit messerscharfem Verstand sezierte er das religiöse und gesellschaftliche System, prangerte Missstände an und hatte keine Angst, sich mit den Mächtigsten anzulegen.
3. «Digitalkarma»: Ein Beispiel für die vielen starken Schweizer Dokfilme: Der Film taucht ein in das Leben von Rupa, einer jungen Frau aus Bangladesch, die versucht, ihrer von den Traditionen vorgegebenen Bestimmung zu entkommen. Aber als ein Schicksalsschlag ihre Familie trifft, sieht sie ihre Freiheiten in Gefahr. Kann sie das Gleichgewicht zwischen individuellen Wünschen und gesellschaftlichen Erwartungen aufrechterhalten?
4. «Architektur der Unendlichkeit»: Und noch ein Schweizer Dokfilm: Es gibt Räume, die ein Gefühl von Transzendenz auslösen. Christoph Schaub will dieses Gefühl erforschen und führt durch die Jahrhunderte sakraler Bauwerke, zu Architekturkünstlern am Schnittpunkt zwischen Natur und Licht, Proportion und Mass und zum Menschen und seinem Verhältnis zur Natur.
5. «Immer und ewig»: Ein sehr persönlicher Film: Niggi und Annette starten in Basel eine Reise im Camper quer durch Südeuropa. Annette ist seit fast 20 Jahren halsabwärts gelähmt und rund um die Uhr auf seine Pflege angewiesen. Mutig und mit Witz und Charme ringen sie dem Leben alles ab, was es an Schönem zu bieten hat. Der Film von Fanny Bräuning (der Tochter der beiden) ist eine Hommage ans Leben.