«Tatort» im Check Die bewegte Geschichte der Vietnames*innen in Deutschland

Teleschau

5.5.2024

Im «Tatort» drangen die Berliner Ermittler Bonard und Karow tief in die vietnamesische Kultur Berlins ein. Warum leben dort so viele von ihnen und gibt es den vom Aus bedrohten Tempel aus dem Film wirklich?

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Im Berliner «Tatort» ermittelten Susanne Bonard (Corinna Harfouch) und Robert Karow (Mark Waschke) im Umfeld der vietnamesischen Community.
  • Die Geschichte der Vietnames*innen in Deutschland ist vielschichtig und eng mit der deutschen Geschichte verwoben.
  • Besonders in Erinnerung blieb das rassistische Pogrom 1992 in Rostock-Lichtenhagen.
  • Corinna Harfouch legt in einem Interview nahe, die «Tatort»-Reihe schon bald wieder zu verlassen.

Die immerhin neuntgrösste Exil-Nation Berlins ist Vietnam. Rund 27'000 Menschen machen die zahlenmässig stärkste südostasiatische Community der 3,9 Millionen-Metropole aus. Die Historie der Vietnames*innen in Deutschland ist komplex und erzählt auch viel über die Geschichte unserer Nachbarn. Im «Tatort: Am Tag der wandernden Seelen» drangen die Ermittler Susanne Bonard (Corinna Harfouch) und Robert Karow (Mark Waschke) tief in die vietnamesische Kultur Berlins ein.

Doch haben Sie alles verstanden? Warum ist den Menschen ihre Pagode so wichtig und gibt es das im «Tatort» von der Schliessung bedrohte kulturelle Zentrum wirklich?

Worum ging es?

Als ihre Drohne in Nachbars Garten abstürzt, machen zwei spielende Kinder in Berlin-Lichtenberg einen irritierenden Fund. Der Bewohner ist in seinem biederen Einfamilienhaus mit zahlreichen Stichen ermordet worden. Als die Mordkommission in Person von Susanne Bonard (Corinna Harfouch) und Robert Karow (Mark Waschke) anrückt, ergibt sich im «Tatort: Am Tag der wandernden Seelen» jedoch ein neuer Twist.

Offenbar war das Opfer schon vor seinen tödlichen Verletzungen in tiefe Abgründe verwickelt: In seinem Keller finden die Ermittler einen Raum, in dem Menschen gequält wurden. Spuren führen in die vietnamesische Community Berlins. Bonard und Karow treffen auf die Ärztin Dr. Lê Müller (Mai-Phuong Kollath), die mehr wissen könnte, als sie zugibt.

Worum ging es wirklich?

Mira Thiel, Autorin und Regisseurin des zweiten Berliner «Tatorts» mit Karow und Bonard, hat eigentlich zwei Filme in einem gedreht. Der Krimi um einen zu Tode gekommenen Folterknecht war eine Mischung aus hartem, quälenden Thrillerstoff der Marke David Fincher und einer kleinen Kulturreise in die etwa 27'000 Menschen umfassende vietnamesische Community Berlins.

Man lernte darin etwas über Schweigen und Misstrauen gegenüber den deutschen Gastgebern, einen Totenkult, der sich deutlich von deutschen Gepflogenheiten unterscheidet und man wurde Zeuge einer Mönchsbegegnung, die Robert Karow zu Tränen rührte.

Oder wie fanden Sie jene Szene, in der Karow von einem buddhistischen Würdenträger zum gemeinsamen Essen an einer langen Tafel eingeladen wird? Offenbar war der immer noch um seine grosse Liebe und Kollegin Nina Rubin (Meret Becker) trauernde Karow so bewegt von der Herzenswärme des Ortes und seiner Menschen, dass ihm spontan ein paar Tränen übers Gesicht kullerten. Vielleicht die stärkste Szene eines ungewöhnlichen Kultur-«Tatorts».

Was weiß man über Vietnames*innen in Deutschland?

Laut Statistischem Bundesamt lebten 2022 etwa 207'000 Vietnames*innen und Deutsche vietnamesischer Abstammung in Deutschland. Die meisten von ihnen kamen bereits vor einigen Jahrzehnten nach Europa.

In den späten 70-er Jahren erklärte sich die Bundesregierung bereit, vietnamesische Flüchtlinge – darunter viele «Boatpeople» – des Vietnamkrieges aufzunehmen. Das US-Militär warf im Verlauf des Krieges (1964-1959) acht Millionen Tonnen Bomben auf Vietnam ab, mehr als doppelt so viel wie im gesamten Zweiten Weltkrieg zum Einsatz kamen.

Die DDR hingegen pflegte Kontakte ins kommunistische Nordvietnam. Ab den 50-ern gab es vietnamesischen Studenten in Ostdeutschland, ab den 70-ern kamen aus dem sozialistischen Bruderland «Vertragsarbeiter» in die DDR. Zu Hochzeit lebten dort 100'000 Vietnames*innen. Nach der Wiedervereinigung fielen viele dieser Jobs weg. Einige Vietnames*innen gingen in die Heimat zurück, andere schlugen sich unter anderem als Restaurantbetreiber, Blumenverkäufer, Näher, Wäscher oder – nicht immer legal – als Zigarettenverkäufer durch.

Die Arbeitsverhältnisse in der Schweiz sind stellenweise prekär: Vergangenes Jahr veröffentlichte die NZZ einen Artikel, in dem die Ausbeutung vietnamesischer Arbeiterinnen in Schweizer Nagelstudios beschrieben wurde.

Was passierte 1992 in Rostock-Lichtenhagen?

Eine der massivsten fremdenfeindlichen Gewalttaten in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg trug sich zwischen dem 22. und 26. August 1992 in Rostock zu, die Ausschreitungen richtete sich gegen die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber. Ein rassistischer Mob kesselte zudem über mehrere Tage ein Wohnheim für vietnamesische ehemalige Vertragsarbeiter im «Sonnenblumenhaus» in Rostock-Lichtenhagen ein. Mit Molotow-Cocktails wollte man das Gebäude, in dem sich noch etwa 100 Vietnames*innen befanden, in Brand setzen.

Bis zu 3'000 Zuschauer applaudierten und behinderten den Einsatz von Polizei und Feuerwehr. In einer Szene des «Tatorts», in der ein Mitglied der vietnamesischen Community von Angst berichtet, sagt Ermittlerin Bonard, dass sie damals dabei gewesen sei, als in Rostock-Lichtenhagen ein Pogrom stattfand. Die im Wohnheim von einem rechten Baseballschläger-Mob eingekesselten Vietnames*innen damals seien der Grund dafür gewesen, dass Bonard Polizistin wurde.

Was hat es mit der vietnamesischen Pagode auf sich?

Einige Szenen des Films spielen in einer Pagode, wie man eine hierzulande eher unübliche Mischung aus religiösem und kulturellem Zentrum nennt. Hier gedenken Vietnames*innen über aufgestellte Fotos den Verstorbenen, worauf der Titel des Krimis anspielt.

Die real existierende, in einem Ostberliner Industriegebiet gelegene Pho Da-Pagode, dürfte Schauplatz und Vorlage für die im Film erzählte Geschichte sein: Wegen fehlender behördlicher Genehmigungen ist der Tempel schon seit Jahren von der Räumung bedroht, auch wenn aktuell eine Duldung bis 2026 im Raum steht. Irgendwie auch eine sehr deutsche Geschichte.

Steigt Harfouch beim Berliner «Tatort» schon wieder aus?

Gerade mal zwei Einsätze hat Corinna Harfouch, die im kommenden Herbst (16. Oktober) 70 Jahre alt wird, als Berliner «Tatort»-Kommissarin Susanne Bonard hinter sich gebracht. Doch ein Interview nährt nun den Verdacht, dass es keine allzu lange Zusammenarbeit zwischen den «Tatort»-Machern beim rbb und der grossen deutschen Schauspielerin geben wird. Wie sie der Presse vor kurzem verriet, drehe sie als Susanne Bonard nur sechs Folgen und höre dann wieder auf.

Der «Augsburger Allgemeinen» sagte sie: «Es wäre ja auch absurd, wenn ich mit 75 immer noch ‹Tatort›-Kommissarin wäre und im Rollstuhl die Verbrecher jage.». Über den Inhalt des nächsten Falles «Tatort: Vier Leben» ist noch nichts bekannt. Die Ausstrahlung ist für Ende 2024 oder Anfang 2025 vorgesehen. Regie führt Mark Monheim, das Drehbuch schrieb Thomas André Szabó. In Episodenrollen sind Pegah Ferydoni, Jasmin Tabatabai und Robin Sondermann zu sehen.


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