Töten und getötet werden Wie ein Foto Schrecken des Vietnamkrieges vor Augen führte

Dylan Lovan, AP

13.2.2018

Die ikonische Aufnahme aus dem April 1968 zeigt US-Soldaten kurz nachdem sie im Dschungel Vietnams angegriffen wurden: Das Bild wurde eines der zentralen Zeugnisse des Vietnamkriegs.
Die ikonische Aufnahme aus dem April 1968 zeigt US-Soldaten kurz nachdem sie im Dschungel Vietnams angegriffen wurden: Das Bild wurde eines der zentralen Zeugnisse des Vietnamkriegs.
Art Greenspon/AP/dpa

Vor fast 50 Jahren gerät ein US-Trupp im vietnamesischen Dschungel in einen Hinterhalt. Ein AP-Fotograf hält das Geschehen Minuten nach der Attacke fest - ein ikonisches Bild. Zwei damals abgelichtete Soldaten blicken zurück.

Dallas Brown kann sie immer noch sehen, auch noch nach 50 Jahren, - die Kugeln, die plötzlich kamen, im Boden vor seinen Füssen aufschlugen. Das war, als er am 1. April 1968 mit seiner Einheit tief im Dschungel in einen Hinterhalt nordvietnamesischer Soldaten geriet.

Nur Minuten später, als das tödliche Feuergefecht abebbte, wurden Brown und seine Kameraden von der 101. US-Luftlandedivision sozusagen unsterblich. Ein freischaffender Fotojournalist der Nachrichtenagentur AP hielt die Szene auf einem Bild fest, das zu einem der eindringlichsten, drastischsten Zeugnisse der Schrecken des Vietnamkrieges wurde.

Es führte den Amerikanern daheim ungeschminkt vor Augen, welchen Bedingungen Soldaten damals ausgesetzt waren - in jenem Jahr, das zum tödlichsten des Vietnamkrieges wurde. Die Schwarz-Weiss-Aufnahme landete auf der Titelseite der «New York Times» und wurde für einen Pulitzerpreis nominiert.

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«Wenn ich das überlebe, dann überlebe ich alles»

Im Vordergrund des Bildes liegt Brown auf der Erde, er ist am Rücken verletzt und sein Gesicht schmerzverzerrt. Sein Kamerad Tim Wintenburg hilft dabei, einen anderen verletzten Soldaten zu tragen, über das Restgestrüpp von Buschwerk hinweg, das zurückgestutzt wurde, um eine Hubschrauber-Landezone zu schaffen.

«Wenn ich mir jetzt das Foto anschaue, dann sage ich mir, "wenn ich das überleben kann, dann kann ich alles überleben"», sagt Wintenburg, der in Indianapolis lebt. Zusammen mit Brown, der in der Nähe von Nashville wohnt, trafen sich die beiden Veteranen in Fort Campbell (US-Staat Kentucky) mit einem AP-Journalisten, um auf die Ereignisse rund um die ikonische Aufnahme zurückzublicken - ihr erstes Medieninterview zu dem Krieg überhaupt.

Offizielle in Fort Campbell, der Heimat der Luftlandedivision, hatten sich bemüht, auf dem Foto abgebildete Soldaten aufzuspüren. Watson Baldwin, der in der Aufnahme die Arme hochhält, um einem zur Bergung der Verletzten angeflogenen Helikopter zu signalisieren, konnte beim Interview nicht dabei sein: Er ist 2005 gestorben.

Mit 18 Jahren in den Krieg

Wintenburg erhielt 1965 seinen Einberufungsbescheid. Im für ihn zuständigen Wehramt sagte man ihm, er sehe aus, als ob er «für die Luftlandedivision geschaffen» sei, schildert der Veteran. Im Frühjahr 1968, im Alter von 20, befand er sich an der Frontlinie.

Brown war erst 18, als er in Vietnam landete. Er erinnert sich noch gut daran, dass er damals durch ein Lied - «The Ballad of the Green Berets» über eine US-Spezialeinheit - inspiriert war und dass die Luftlandeausbildung ihm Selbstvertrauen gab.

Im Frühling 1968 wurde Wintenburgs und Browns Trupp ins gefährliche A-Shau-Tal geschickt. Es war eine wochenlange Vernichtungsmission, das heisst, Feinde wurden getötet, keine Gefangenen gemacht. Brown hat noch im Ohr, was ihr damaliger Bataillonskommandeur ihnen vor einem der Einsätze sagte: «Für jeden Toten bekommt ihr einen Preis.» Nach seinem Wissen hätten sie in ihrer gesamten Zeit in Vietnam gerade mal «eine Handvoll» Gefangene gemacht, sagt der Veteran.

Töten und getötet werden

Am 1. April 1968 geht es einen nach Monsunregen schlüpfrigen Bergpfad hinauf. Der Trupp legt eine Essenspause ein, und Brown sitzt mit seinem M-16-Gewehr auf dem Schoss auf seinen Rucksack, als er im Grün in einer Schlucht eine Bewegung sieht. Aber er verspürt keinen Wind, ist alarmiert und hat just seine Waffe auf vollautomatisch umgeschaltet, als ein nordvietnamesischer Kämpfer ins Blickfeld kommt. Brown feuert auf ihn und einen zweiten dahinter. Er ist gerade beim Nachladen, als ein dritter Feind zurückschiesst.

«Du siehst diese Filme mit hüpfenden Klumpen Erde», sagt Brown. «Ich konnte sie (in der Wirklichkeit) sehen, was ich meine ist, sie kamen direkt auf mich zu. Da bin ich von meinem Rucksack gesprungen. Ich dachte, dieser Kerl, der hat wirklich vor, mich zu töten.»

Brown versucht, in Deckung zu gehen, und eine Kugel trifft das Bein eines Kameraden, der sich hinter ihm befand. Nach dem Überfall der Nordvietnamesen trägt Brown den Verwundeten die Anhöhe hinauf und verletzt auf dem Weg seinen Rücken.

Während er mit Schmerzen auf der Erde liegt, hilft Wintenburg, der seinen Helm verloren hat, dem verwundeten Kameraden zum Hubschrauber-Landeplatz und blickt dabei kurz in Richtung des Fotografen Art Greenspon. Der Fotograf lebt heute in Connecticut. Er hat es abgelehnt, interviewt zu werden: Die Soldaten sollten in jeder Geschichte über das Foto im Mittelpunkt stehen, sagt er.

«Wir taten, was wir tun mussten»

Brown und Wintenburg verbrachten beide ungefähr ein Jahr in Vietnam und hatten es danach lange mit Angstzuständen zu tun. Aber jetzt, nach 50 Jahren, geniessen sie jede Gelegenheit, mit alten Kameraden von der 101. Luftlandedivision zusammenzukommen. Brown hat eine Kopie des Fotos zu Hause an der Wand hängen und diverse Geschichte darüber parat, wie er Verwandte und Freunde davon überzeugte, dass er auf dem Bild zu sehen ist.

Vor ein paar Jahren wollten seine Enkeltochter und deren Freund - heute ihr Ehemann - mehr über die Aufnahme wissen. Und das Geschehene mit ihren Augen zu sehen, sagt Brown, hat auch bei ihm etwas bewirkt: Er ist sich seines wachsenden Stolzes auf dieses Stück Geschichte bewusst. Wintenburg teilt das Gefühl, aber er sagt zugleich: «Wir hatten damals wirklich keine andere Wahl. Wir taten, was wir tun mussten.»

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