Montreux-Direktor Mathieu Jaton «2022 ist kein Comeback – es ist ein Neuanfang»

Von Lukas Rüttimann

29.6.2022

Festivaldirektor Mathieu Jaton führte das Montreux Jazzfestival durch die Coronakrise. Nun freut er sich auf die Zukunft. 
Festivaldirektor Mathieu Jaton führte das Montreux Jazzfestival durch die Coronakrise. Nun freut er sich auf die Zukunft. 
Bild: Keystone

Nach zwei Jahren Pandemie findet das Montreux Jazz Festival dieses Jahr endlich wieder regulär statt. Festivaldirektor Mathieu Jaton über die Neuausrichtung, Konkursängste und seinen Coup mit Diana Ross.

Von Lukas Rüttimann

Mathieu Jaton, wie fühlt es sich nach zwei Jahren Ferien an, wieder in die Hosen zu steigen?

Ferien? (lacht) Die letzten zwei Jahre waren alles andere als Ferien. Wir haben die Zeit genutzt, um den Event neu auszurichten und den Brand am Leben zu halten. 2020 fand Montreux als virtuelles Festival statt, 2021 im kleinen Rahmen auf der Openair-Bühne auf dem See. Das war ein tolles Erlebnis, aber die Organisation war ehrlich gesagt ein Alptraum. Wir hingen jeden Tag an den Lippen von Alain Berset.

Wie hat das Festival diese Jahre finanziell überstanden?

Natürlich wurden wir unterstützt, wie andere auch. Aber mit den OpenAir-Konzerten sind wir ein hohes Risiko eingegangen. Ein Risiko, das den Staat am Ende weniger gekostet hat, als wenn wir nichts gemacht hätten. Wir haben es aber als unsere Pflicht gesehen, als grosses Festival zu zeigen, dass man mehr tun kann als nur die hohle Hand ausstrecken.

War das Festival je in Gefahr, Konkurs zu gehen?

Zur Person: Mathieu Jaton
Montreux Jazz Festival director Mathieu Jaton of Switzerland poses during the announcement of the program of the upcoming 55th Montreux Jazz Festival, MJF, during the coronavirus disease (COVID-19) outbreak, in Lausanne, Switzerland, Tuesday, June 1, 2021. The 55th Montreux Jazz Festival is set to go ahead, from 2 to 17 July 2021. Taking into account the current guidelines of the Swiss authorities and the uncertainties surrounding this year's summer season, the Festival has completely reimagined its format. In a Festival first, a stage will be constructed entirely on the lake, with a maximum capacity of 500 seats.(KEYSTONE/Laurent Gillieron)
Keystone

Mathieu Jaton kam 1975 in Vevey auf die Welt. Seit 1999 arbeitet er für das Montreux Jazz Festival, zunächst im Marketing. Nachdem 2013 Festivalgründer Claude Nobs, der sein Mentor war, verstarb, übernahm er dessen Posten als Direktor. 

Nein. Aber das nur dank der Hilfe der Regierung. Das Geld ist schnell und unbürokratisch geflossen, dafür sind wir sehr dankbar. Ohne diese Unterstützung wäre es nicht gegangen.

Das mondäne Montreux Jazz Festival in finanziellen Nöten?

Wir hatten keine Reserven. Im März 2020 beliefen sich unsere Ausgaben bereits auf über sechs Millionen Franken. Das Teams stand, und wenn du jede Woche Löhne bezahlen musst, aber keine Einnahmen generierst, wird es für jeden eng. Deshalb mussten wir die Hilfsgelder schnell haben, sonst hätten wir alle entlassen müssen. Ich muss sagen: Die Schweizer Regierung hat diesbezüglich einen sensationellen Job gemacht. Dank dieser Unterstützung war es möglich, im Februar innerhalb kurzer Zeit wieder voll loszulegen. Das ist – vor allem im internationalen Vergleich – alles andere als selbstverständlich.

Die Programmgestaltung 2022 war dennoch eine Herausforderung, oder?

Das kann man sagen, besonders für uns. Viele Festival haben einfach ihr Programm von 2020 gezügelt. Wir nicht. Wir entschlossen uns, ein neues Programm auf die Beine zu stellen, weil ich überzeugt bin, dass 2022 kein Comeback-Jahr wird. Es ist ein Neuanfang, ein Paradigmenwechsel. Wir wollen die Krise nutzen, um das Festival in die Zukunft zu führen. Denn die Krise war schon vor Corona da – mit viel zu vielen Konzerten. Jetzt sind wir im Jahr 2022 angekommen und die Situation ist schlimmer: Alle machen etwas, doch das Publikum muss erst wieder lernen, an Events zu gehen. Ich bin überzeugt: Die echte Krise kommt erst.

Wie begegnet Montreux dieser Situation?

Ich habe mein Team angewiesen, vorsichtig zu agieren. Deshalb haben wir dieses Jahr nur zwei Hallen mit zahlungspflichtigen Shows, nicht drei. Wir sind ein grosses Risiko eigegangen, nicht einfach die Acts von 2020 auf 2022 zu verschieben, sondern ein neues Programm auf die Beine zu stellen, das dem Zeitgeist entspricht. Denn wer garantiert, dass der angesagt Act von 2020 heute noch jemanden interessiert? Wir haben lange mit allem gewartet und die Nerven lagen zweitweise blank. Am Ende hat sich das Risiko gelohnt, finde ich.

Sprechen wir doch über das Programm. Der grosse Name ist natürlich Diana Ross. Wie schwierig war es, diesen Superstar zu buchen?

Wir hatten ihre Zusage bereits für 2020. Wir waren im Himmel, dann kam die Pandemie. 2020 war sie 76 Jahre alt, und ich habe nicht damit gerechnet, dass sie ihre Tour nachholt. Doch sie kommt nur für vier exklusive Shows nach Europa. Viele grosse US-Acts mussten ihre Touren absagen, weil die organisatorischen Bedingungen in Europa wegen den unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Ländern chaotisch waren. Bei Diana Ross, die keine 100 Dates mehr spielt, spielte das weniger eine Rolle. Das kam uns entgegen.

War Sie schwierig bei den Verhandlungen?

Nein. Das Problem war eher, dass ihre Zusage spät kam. Hätte sie abgesagt, wären wir an einem Samstagabend ohne Headliner dagestanden. Das wäre der Super-GAU gewesen.

Neben Diana Ross treten auch wieder die üblichen Verdächtigen auf wie etwa Van Morrison…

(lacht) … die Leute denken immer, Van Morrison trete jedes Jahr auf. Das stimmt aber nicht. Genau so wenig wie bei Deep Purple. Van spielt vielleicht fünf Shows, wenn er in einem Jahr tourt. Eine davon ist Montreux, weil er sich dem Festival eng verbunden fühlt. Wir haben aber auch eine Menge spannende junge Acts, wie das Programm beweist.

Was haben Sie persönlich aus den letzten Jahren gelernt?

Dass man flexibel bleiben muss. Das gilt heute mehr denn je.

Das diesjährige Jazz Festival Montreux findet vom 1. bis 16. Juli statt.

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