Die Strafmilderung für Russland im Skandal um staatlich gestützten Sportbetrug entsetzt viele Athleten und Dopingjäger. Die Sportrichter öffnen reihenweise Schlupflöcher. Nun ringen IOC und Weltverbände mit den Folgen des Urteils.
Die Wutwelle wegen des halbierten Strafmasses für Russlands Doping-Betrug bringt die Sportrichter und das IOC in die Bredouille. Athleten-Verbünde und führende Dopingjäger geisselten das milde Urteil als Justiz-Irrtum und forderten Reformen im Kampf gegen Manipulationen. Der CAS-Spruch markiere einen «weiteren dunklen Tag für sauberen Sport», wetterte das Sportlerbündnis «Global Athlete».
Der Deutsche Olympische Sportbund mahnte, die konkrete Umsetzung der zweijährigen Sperre müsse «schnellstmöglich» von internationalen Verbänden und vom IOC geklärt werden und warnte vor einer erneuten «Hängepartie» wie vor den Sommerspielen in Rio 2016.
Damals hatte das Internationale Olympische Komitee trotz der Beweise für ein staatlich gestütztes Dopingsystem den Weg für die Teilnahme einer russischen Mannschaft in einem chaotischen Verfahren geebnet. Bei Olympia 2021 in Tokio und 2022 in Peking sowie der Fussball-WM 2022 in Katar darf Russland dem CAS zufolge nicht mit einem eigenen Team antreten, seine Flagge darf nicht gehisst, seine Hymne nicht gespielt werden. Man werde das Urteil «sorgfältig prüfen», liess das IOC schmallippig wissen. Die FIFA folgte dem am Freitag.
«Ein katastrophaler Schlag für saubere Athleten»
Der oberste US-Dopingfahnder Travis Tygart ist indes längst zu einer Bewertung des salomonischen Schiedsspruchs gekommen. Dieser sei ein «katastrophaler Schlag für saubere Athleten, die Integrität des Sports und die Rechtsstaatlichkeit», sagte der Chef der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada. Die Weltagentur WADA und das IOC hätten im Umgang mit der Russland-Causa «die Politik erneut über das Prinzip gestellt», schimpfte Tygart.
Weil der CAS seine 186-seitige Urteilsbegründung zunächst nicht veröffentlichte, warfen Kritiker dem Gremium erneut mangelnde Transparenz vor. Doch schon der auf fünf Seiten zusammengefasste Richterspruch öffnete eine Reihe von Schlupflöchern für Russland. Das mächtige Olympische und Paralympische Komitee der USA zeigte sich daher enttäuscht über «Elemente des Urteils, die diese Sanktionen erheblich schwächen».
«Sieg für Russland»
So dürfen russische Sportler als neutrale Athleten bei Olympia und Weltmeisterschaften starten, wenn sie nicht unter Dopingverdacht stehen. Die Beweislast dafür wurde umgekehrt: Nicht die Sportler müssen belegen, dass sie nicht in das Dopingsystem involviert waren, sondern die WADA. «Das ist vielleicht unser wichtigster Sieg», schrieb die Zeitung «Sport-Express».
Funktionäre und Regierungsvertreter Russlands dürfen trotz des Zweijahresbanns auf der Tribüne sitzen, wenn sie offiziell von den jeweiligen Gastgebern eingeladen werden. Zwar darf das Land zwei Jahre lang keine Welt-Sportereignisse ausrichten, die Spiele der Fussball-EM in St. Petersburg und das Formel-1-Rennen in Sotschi fallen aber nicht unter diese Regelung und dürfen stattfinden. Und auf den Rängen dürfen auch bei Olympia weiter russische Fahnen wehen.
«Wenn Russen auf der obersten Stufe des Podiums stehen, wird jeder wissen, dass sie Russen sind. Und wahrscheinlich werden viele Athleten die Hymne singen», zitierte die russische Nachrichtenagentur Tass die Synchronschwimm-Trainerin Tatjana Pokrowskaja. Der Interimschef der nationalen Anti-Doping-Agentur Rusada, Michail Buchanow, sprach von einem «Sieg für Russland».
Der Anwalt des Kronzeugen Grigori Rodschenkow, der die Affäre mit ins Rollen gebracht hatte, sieht in dem Urteil einen Beleg dafür, dass das Anti-Doping-System Länder mehr als Athleten schützt. «Ich sehe nicht, wie das auf irgendeine Weise andere Länder davon abhält, an dieser Art von Betrug mitzuwirken», sagte Jurist Jim Walden.