Interview Steingruber springt angeschlagen zu EM-Gold: «Ich verliess mich voll auf meinen Körper»

fin, sda

24.4.2021 - 19:14

Giulia Steingruber posiert mit EM-Gold.
Giulia Steingruber posiert mit EM-Gold.
Keystone

Trotz einer Oberschenkelverletzung wird Giulia Steingruber an den Europameisterschaften in Basel ihrer Favoritenrolle am Sprung gerecht. Das sagt die Ostschweizerin nach dem Wettkampf.

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Giulia Steingruber, was geht so kurz nach dem Sieg in Ihnen vor?

Ich brauche wohl noch etwas Zeit, um das Ganze zu verarbeiten. Alles ging sehr schnell, es war sehr speziell. Ich war ultra nervös, weil ich wegen meines Beines nicht die beste Vorbereitung hatte und auf den Mehrkampf verzichtete. Deswegen ist es umso schöner, dass ich zwei saubere Sprünge gezeigt habe und eine Medaille nach Hause bringen konnte. Ein weiterer kleiner Traum wurde wahr.

Was ging Ihnen unmittelbar vor den beiden Sprüngen durch den Kopf?

Sehr viel. Beim Einturnen habe ich zwecks Schonung praktisch nichts gemacht und keinen einzigen vollen Sprung gezeigt. Deshalb war ich auch sehr nervös. Ich machte sehr viel mental, verliess mich voll auf meinen Körper und vertraute, dass dieser die Bewegungen kennt. Den Jurtschenko mit Doppelschraube hatte ich letztmals vor eineinhalb Wochen in Magglingen geturnt. Aber für mich war klar, wenn ich ihn mache, dann gehe ich «All In».

Wie stark beeinflusste Sie die Verletzung in den letzten Tagen?

In der Qualifikation ging es ziemlich gut. Ich spürte praktisch nichts. Aber es war klar, dass durch die Belastung die Beschwerden zunehmen würden. Ich verzichtete nicht ohne Grund auf einen Mehrkampf-Final an einer EM, aber drei Tage hintereinander voll zu belasten, wäre zu viel gewesen. Ich musste Prioritäten setzen, denn heute war ein mega wichtiger Tag für mich. Aber ich musste schon ziemlich auf die Zähne beissen.

Vor zehn Jahren in Berlin haben Sie sich ins Rampenlicht geturnt, nun sind Sie noch immer da. Wie machen Sie das?

Das Turnen ist für mich so etwas Schönes, das ich mit voller Leidenschaft mache. Es hat mir immer gut getan und mir viel Freude bereitet, weswegen ich auch immer den Ansporn hatte weiterzumachen. Es braucht aber auch viel Glück, dass alles aufgeht. Die Medaillen sind die Belohnung für die harte Arbeit in der Halle und für das ganze Team, das einem immer unterstützt. Auch meinem Umfeld gehört ein Stück dieser Medaille.

Zu Beginn Ihrer Karriere waren sie an jedem Grossanlass dabei, in den letzten Jahren sind Ihre Auftritte deutlich rarer geworden. Trotzdem scheint Ihre Motivation ungebrochen.

Ich bin noch immer hier, weil ich noch immer Freude am Turnen und meine Ziele vor Augen habe. Deswegen bin ich motiviert, stehe jeden Tag in der Halle. Natürlich geht es nicht immer gleich einfach, aber das ist ja beim Arbeiten dasselbe. Zwei Grossanlässe pro Jahr waren sehr ermüdend, aber auch immer sehr schöne Erlebnisse, die einem niemand mehr nehmen kann. Die Jahre, in denen ich aussetzen musste, war ich verletzt, 2020 kam Corona dazu. Es sind Dinge, die man nicht beeinflussen kann.

Wie sieht es mit möglichen neuen Sprüngen im Hinblick auf Tokio aus?

Ich bin mehrere am probieren, wie zum Beispiel denjenigen, den Simone Biles zuletzt als ihren zweiten Sprung gezeigt hat, oder einen Überschlag mit Doppelschraube. Mein Tschussowitina ist ja nicht so schlecht und die Energie wäre da. Nun gilt es herauszufiltern, was möglich sein wird. Wichtig ist aber, sich nicht zu verletzen, damit die Teilnahme an den Olympischen Spielen nicht gefährdet ist. Der Jurtschenko mit einem Doppelsalto rückwärts ist ein Traumsprung, aber sehr gefährlich und deswegen eher unrealistisch.

Bestreiten Sie in Basel eigentlich Ihre letzten Europameisterschaften?

Ich nehme Tag für Tag und konzentriere mich auf meine Ziele bis und mit den Spielen in Tokio. Dann schaue ich, wie es mir geht. Was dann sein wird, ist noch in mir am arbeiten (lacht).