Inspiriert von Lindsey Vonn und mit der festen Idee, an den Olympischen Spielen 2026 die letzte Seite seiner Story umzuschreiben, kehrt Iouri Podladtchikov in Laax in die Halfpipe zurück.
Es sei schön, wieder zu fliegen, sagt Iouri Podladtchikov an diesem Mittwochnachmittag nach dem Training in der berühmt-berüchtigten Laaxer Halfpipe, die regelmässig die globale Weltelite anlockt. Die Freude, selbst wieder ein Athlet zu sein, ist ihm im Bauch des Caffè NoName auf dem Gipfel des Crap Sogn Gion anzusehen. Aber auch eine innere Zerrissenheit.
Fünf Jahre war Podladtchikov weg. Nach einer Reihe von Rückschlägen und Verletzungen, darunter schwere Gehirnerschütterungen und ein Achillessehnenriss, gab er im August 2020 seinen Rücktritt bekannt. Auch die strube Coronazeit setzte ihm zu. «Ich war nicht mehr frei im Kopf», sagt er. Der Künstler tauchte in die Kunstwelt ein, studierte in New York und widmete sich der Fotografie.
Nun hat er wieder Lust. Die Comebacks anderer Wintersportler haben ihn inspiriert, allen voran jenes von Lindsey Vonn. Ebenso die Skateboard-Legende Tony Hawk, die mit 50 Jahren noch einmal jenen Trick, den 900er, in die Halfpipe zauberte, mit dem sie 1999 neue Massstäbe gesetzt hatte. Künstlerfreunde – «solche, die so schön durch mich hindurch schauen können» – bestärkten Podladtchikov schliesslich darin, seiner inneren Stimme zu folgen: «Als ich wenig Sport machte, ging es mir als Mensch am schlechtesten.»
Fünf Jahre und ein Quantensprung
Ja, er sei fünf Jahre weg gewesen, sagt Podladtchikov. «Aber ich habe nie nichts gemacht. Ich ging regelmässig ins Fitness und Skaten, und mit Snowboarden hörst du sowieso nie auf. Der Sportler in mir ist nie gestorben.» Das Comeback sei deshalb ein weniger grosser Schritt, als von einer Verletzung zurückzukommen. «Ich fing nicht bei null an, ich bin fit und habe Lust. Nach einer Verletzung fängst du von weiter unten an. Du bist körperlich und mental kaputt, musst eine harte Phase durchmachen, um wieder fit zu sein. Das ist kein Spass.»
Waghalsig ist Podladtchikovs Comeback mit 36 Jahren allemal. Angeführt von der japanischen Armada, die aktuell fünf der ersten sieben Plätze im Weltcup belegt, ist das «Level in der Halfpipe in den letzten fünf Jahren explodiert», wie der Schweizer Halfpipe-Nationaltrainer Patrick Cinca sagt. Die Triple Corks etwa, die Podladtchikov nicht im Repertoire hatte, sind heute allgegenwärtig. Zudem hat sich Podladtchikovs Comeback erst Anfang Dezember konkretisiert – eine kurze Zeitspanne, um physisch und technisch wieder auf dem Level zu sein, um nach der langen Zeit mithalten zu können. Auch wenn er als Teilzeit-Coach seit mehreren Jahren regelmässig auch selber mitmachte.
Das, was er auf dem Snowboard in den Jahren seines sportlichen Ruhestands gemacht habe, sei wie Gokartfahren im Vergleich zur Formel 1, umschreibt Podladtchikov. Ob seine Rückkehr vernünftig sei, sinniert er – und sagt: «Es gibt viele gefährliche Sachen...»
Nicht der Sieg ist das Ziel
Etwas will der Olympiasieger von 2014 in Sotschi nach der Berichterstattung in den letzten Tagen klarstellen: «Mein Ziel ist es nicht, zurück an die Weltspitze zu kommen. Mein Ziel ist es nicht, zu gewinnen und nicht, mit den Top 3 oder Top 5 mitzuhalten. Das wäre fahrlässig! Dieses Sportler-Denken treibt mich nicht mehr an. Was ich jetzt mache, ist eine Ehrenrunde.»
Ohne Ambitionen tritt der oft in Bildern sprechende Zürcher gleichwohl nicht an. Er wünscht sich ein schöneres Ende. Das grosse Ziel sind die Olympischen Spiele 2026 in Norditalien. Dort will er «die letzte Seite meiner Geschichte umschreiben», diesen gefühlten «Budget Cut» – den abgehackten, unrunden Schluss – aus seinem Film eliminieren. Er habe einen besseren letzten Karriere-Run in sich als jenen im Januar 2020 in Laax, als er den 5. Platz belegte und im zweiten Run gestürzt war, meint Podladtchikov.
«Ich will einen Lauf zeigen, der für die Olympia-Qualifikation und den Olympia-Final reicht. Allein das ist ein Riesenprojekt. Aber die Tricks, die ich im Repertoire habe, sollten dafür reichen, wenn ich sie wieder sauber hinkriege», glaubt Podladtchikov.
Das Comeback in Laax, wo er am Freitag um den Mittag zu den Halbfinals antritt, ist für Podladtchikov insbesondere ein mentaler Test: «Die Physis ist das eine, der Kopf das andere.» Trainer Patrick Cinca traut seinem Schützling den Final sogar schon in hochklassig besetzten Heim-Weltcup «wirklich zu. Er hat die Tricks, er hat die Höhe, er hat die Technik. Jetzt geht es darum, dass er im Kopf wieder bereit ist».