Lulu Sun könnte das neue Gesicht des Schweizer Tennis werden. Das Talent mit dem multikulturellen Hintergrund hat aber viele Optionen – auf und neben dem Platz.
Das Swiss-Tennis-Logo am Kleid von Lulu Sun liess Böses erahnen. Zwei Buchstaben – «Sw» – fehlten, als sich die 22-jährige Genferin mit einem Sieg in der dritten Qualifikationsrunde erstmals ins Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers hievte. Ein böses Omen?
Der Name lässt es erahnen. Lulu Sun ist Multikulti wie aus dem Bilderbuch. Im neuseeländischen Auckland geboren, der Vater ein Kroate, die Mutter Chinesin, übersiedelte sie als Kind an den Genfersee. Die Eltern wollten die bestmögliche Schulbildung für sie. Die Grossmutter lebt noch immer in Te Anau auf der ländlichen Südinsel Neuseelands. Oder wie es Sun lachend ausdrückt: «Da hat es nichts.»
Im Moment keine Wechselgelüste
Was Sun aber hat, ist neben dem Schweizer auch der neuseeländische Pass – und das weckt Begehrlichkeiten. Auch wenn sie am Dienstag ihre erste Partie in einem Grand-Slam-Hauptfeld am Australian Open gegen die Italienerin Elisabetta Cocciaretto (WTA 66) 1:6, 5:7 verloren hat, sind die Fortschritte und das Potenzial der Linkshänderin offensichtlich.
Zuvor hatte sie ausgerechnet in ihrem Geburtsland in Auckland zum zweiten Mal die Achtelfinals eines WTA-Turniers erreicht. Darauf kam die Anfrage des neuseeländischen Verbandes, ob sie sich einen Nationenwechsel vorstellen könnte. Es würden die Position als klare Nummer 1 im Billie-Jean-King-Cup-Team und die Selektion für die Olympischen Spiele in Paris winken.
Die Türe komplett schliessen will Lulu Sun nicht, zu einem kategorischen Versprechen, dass eine Abkehr von der Schweiz nicht in Frage komme, mag sie sich nicht durchringen. Derzeit sei dies aber kein Thema, versichert sie. «Im Moment spiele ich für die Schweiz. Insofern ist alles klar», liess sie sich entlocken. «Weiter möchte ich das jetzt nicht kommentieren.» Mit dem Schweizer Captain Heinz Günthardt sei sie jedenfalls in Kontakt.
Uni-Abschluss hatte Vorrang
Sun (ausgesprochen Sunn, nicht wie das englische Wort für Sonne) hat ohnehin Geduld und plant langfristig. Nach einer erfolgreichen Junioren-Karriere konzentrierte sie sich zunächst auf ihr Studium, das sie an der Universität von Texas in Austin in nur zweieinhalb Jahren mit einem BA abschloss – mit Hauptfach Internationale Beziehungen, für den Multikulti-Globetrotter, der fliessend englisch, französisch und chinesisch spricht, irgendwie logisch. Nun kann sich Sun aber voll aufs Tennis konzentrieren, weshalb noch viel Potenzial brachliegt.
Den Aufschlag hat Sun schon deutlich verbessert, doch sie könne noch «alle Aspekte meines Spiels verbessern». Dies tut sie mit dem Slowaken Vlado Platenik, der in der Vergangenheit auch schon Belinda Bencic oder Daria Kassatkina trainiert hat. Gegen Cocciaretto sah die Schweizerin, was zu den Topleuten noch fehlt, aber auch, dass sie diesen schon ziemlich nahe ist. Erst einmal, bei ihrem Viertelfinal-Vorstoss beim WTA-Turnier in Seoul im September 2022, spielte sie mit Jekaterina Alexandrowa gegen eine höher klassierte Spielerin als Cocciaretto – und verlor gegen die damalige Nummer 24 der Welt nur knapp 5:7, 6:7.
Ranking verbessern
Nun geht es darum, solche Leistungen regelmässig und auch auf etwas tieferer Stufe abzurufen. Denn Suns Ziel ist klar: «Ich will auf der WTA Tour spielen und dieses Jahr bei allen vier Grand Slams dabei sein. Dafür muss ich jetzt an meinem Ranking arbeiten.» Die Top 100 müssen deshalb das Ziel sein. Am Montag in einer Woche wird sie um Rang 190 auftauchen.
Erst gönnt sie sich aber drei freie Tage, wie sie sagt, dann kehrt sie nach Europa zurück und schaut sich mit ihrem Team an, ob sie in den nächsten Wochen bei Turnieren in Europa oder in Asien die besseren Perspektiven sieht.
Eine echte Weltenbummlerin eben. Am Dienstagmorgen prangte aber wieder ein einwandfreies Swiss-Tennis-Logo auf der Brust von Lulu Sun. Das darf man getrost als gutes Omen werten.
sda