Obwohl erneut zurückgeworfen, setzt Roger Federer seine Karriere fort. Aus Sicht eines Arztes hat er dafür auch gute Gründe, weil nicht viele Sportler sich so schnell erholen.
Es wäre der Moment gewesen, den die meisten lang gedienten Sportler dazu genutzt hätten, um ihren Rücktritt zu verkünden. Nach einer dritten Operation am rechten Knie wird Roger Federer eine weitere monatelange Pause akzeptieren müssen – er gab den körperlichen Rückschlag am Sonntagabend, eine Woche nach seinem 40. Geburtstag, via Instagram bekannt. Weder sein Blick noch seine Worte im anderthalbminütigen Clip zeugten von grossem Optimismus, was seine Zukunft als Tennisprofi angeht.
Auf den Baselbieter warten Wochen mit Krücken, ein monatelanger Wiederaufbau und das Herantasten an das Spitzenniveau mit dem Sammeln von Matchpraxis, bis er im allerbesten Fall wieder hoffen kann, um Titel mitzuspielen. Federer weiss nur zu genau, was ihn erwartet. Nach der zweiten Operation im Frühsommer 2020 vergingen rund zehn Monate, bis er in Doha in diesem März wieder wettkampfmässig auf der Tour mitmischte. Er habe sich nach dem zweiten chirurgischen Eingriff nicht mehr wie ein Spitzensportler gefüllt, erzählte er später.
Federer ist nicht die Norm
Die dritte Operation sei natürlich keine gute Nachricht, sagte der Sportmediziner und Chirurg Jacques Menetrey von der Hirslanden-Klinik La Colline in Genf. «Es bedeutet, dass die beschädigten Strukturen wieder gerissen sind oder sich die Läsion verschlimmert hat. Sollte die Funktion des Knies allerdings nicht zu sehr beeinträchtigt sein, könnte er in den nächsten Monaten zurückkehren. Bei einer schlimmeren Läsion wird es sehr schwierig, wieder innert kurzer Frist sein altes Niveau zu erreichen.»
Dass Menetrey, medizinischer Verantwortlicher beim Eishockey-Klub Genève-Servette und Berater für Swiss-Ski, optimistisch ist, liegt an Federer: «Er ist nach zwei Operationen als fast 40-Jähriger auf ein aussergewöhnliches Niveau zurückgekommen, bis in den Viertelfinal von Wimbledon. Das ist fantastisch. Er kann sich sicher viel besser erholen als die Norm.»
Logisch und konsequent
«Ich will mir die Hoffnung geben, auf die Tour zurückkehren zu können», beschrieb Federer den eingeschlagenen Weg. Wie sehr es ihm widerstrebt aufzugeben, ist hinlänglich bekannt. In seiner langen Karriere hat Federer kaum mal kampflos das Feld geräumt. Er hat Schmerzen und Tiefs überwunden, eine Fähigkeit, die genauso für seinen Erfolg verantwortlich ist wie das pure Talent. Nach einer Knieoperation das Karriereende zu verkünden, wäre gegen seine Überzeugung gegangen.
Mit dem Rücktritt von Federer ist dennoch jederzeit zu rechnen, sollte er merken, dass eine Rückkehr auf die Tour utopisch ist. Nach momentanem Stand ist wahrscheinlicher, dass er im Viertelfinal von Wimbledon den letzten Satz seiner Karriere gespielt und mit 0:6 verloren hat, als dass er noch seinen 104. Turniersieg holt. Die Chance auf ein Happy End, auf einen selbst gewählten Abschluss seiner Karriere, wollte sich Federer am Sonntagabend aber noch nicht nehmen lassen.