Um 24 Minuten nach Mitternacht Londoner Zeit geht am 24. September die grandiose Karriere von Roger Federer zu Ende. So, wie er sich gewünscht habe – trotz knapper Niederlage mit Rafael Nadal.
Die Emotionen sind an diesem letzten Tag von Roger Federer als Tennisprofi natürlich noch einmal da – und wie. Sein grösster Erfolg: Er schafft es trotz Tränen einigermassen durch das Platz-Interview mit Jim Courier vor 20'000 Fans in der Londoner O2 Arena. «Wenigstens bin ich in der Lage zu reden», ist Federer froh. «In meinen Visionen brachte ich jeweils keinen Ton heraus.» Erst als Courier nach seiner Familie fragt, die ihn immer unterstützt habe, gerät der 41-jährige Basler ins Stocken.
Am Ende passt einzig das Resultat nicht zum kitschigen Abschluss. 9:11 im Match-Tiebreak verlieren Federer und Nadal das Doppel am Laver Cup gegen das amerikanische Duo Sock/Tiafoe, nachdem sie selber einen Matchball gehabt hatten – und es ist im Prinzip völlig egal. Ein Vorhand-Winner von Jack Sock beendet nach Mitternacht die Karriere von Roger Federer. Dann brechen alle Dämme. Nicht nur beim 20-fachen Grand-Slam-Champion fliessen die Tränen, auch bei (nun ehemaligen) Konkurrenten wie Stefanos Tsitsipas und for allem Rafael Nadal.
Auch für Nadal speziell
«Es wird auf dem Platz nie mehr so sein wie wenn ich gegen dich gespielt habe», hatte der Spanier, der Federer mit 22 Titeln als Grand-Slam-Rekordsieger abgelöst hat, erklärt. Diesmal stand er Federer aber nicht gegenüber, sondern an der Seite. Nadal war sichtlich nervös, er wollte seinem zum Freund gewordenen Rivalen nicht den Abschied versauen.
Federer, der Angst hatte, zu nervös zu sein, zeigte nochmals eine gute Leistung und enttäuschte nicht. Da es sich beim Kontinente-Wettkampf zwischen Europa und dem Rest der Welt aber nicht, wie da und dort behauptet, um eine reine Show-Veranstaltung handelt, kriegte der Schweizer kein Abschiedsgeschenk. Im entscheidenden Match-Tiebreak zielte Tiafoe sogar je einmal voll auf den Körper von Federer und Nadal und holte so entscheidende Punkte. Es spielte an diesem Abend aber kaum eine Rolle.
Eine Feier, kein Abschied
Er gehörte noch einmal ganz Roger Federer. Der hatte sich schlimmstmögliche Szenarien ausgemalt. «Zum Beispiel, dass der Rücken blockieren und ich nicht weiterspielen könnte.» Nichts dergleichen passierte. «Es war ein wunderbarer Tag. Ich bin happy, nicht traurig», sagte der gerührte und gewohnt emotionale Basler. «Ich wollte, dass es sich wie eine Feier anfühlt, nicht wie ein Abschied. Es ist alles, wie ich es mir gewünscht habe.»
Federer und Nadal mussten lange auf ihren Einsatz warten, da sich zuvor Andy Murray und Alex de Minaur zweieinhalb Stunden lang bekämpft hatten. Erst um 22.02 Uhr Lokalzeit betraten die beiden Superstars unter tosendem Jubel den Platz. Auf dem Schwarzmarkt hatten die Tickets zum Teil für mehrere tausend Pfund den Besitzer gewechselt. Irgendwie hatte sich der ganze Tag wie ein langes Warten auf die Abschiedsgala des «Swiss Maestro» angefühlt. Bei jeder Teampräsentation brandete der Applaus beim Einlauf Federers mit Abstand am lautesten auf.
Im Kreis der Konkurrenten
Dennoch habe sich seine Nervosität überraschend in Grenzen gehalten. «Beim Schauen all der Matches vor mir war ich gar nicht so gestresst», stellte Federer fest. Es bedeute ihm wahnsinnig viel, diesen Tag noch einmal im Kreise seiner Konkurrenten und temporären Teamkollegen verbringen zu können. Der Laver Cup war in dem Sinn wohl ein perfekter Abschluss mit weniger Druck als zum Beispiel in Wimbledon. Und erstmals überhaupt waren Federer, Nadal, Novak Djokovic und Andy Murray in einem Team vereint.
«Meine Karriere war nie so geplant», versicherte Federer zum Schluss. «Ich habe mein Leben mit meinen Freunden und den Fans verbringen können. Ihr bedeutet mir die Welt.» Danach brachen endgültig alle Dämme – und Federer konnte endlich auch seine Frau Mirka, seine Kinder, die Eltern, seinen Manager Tony Godsick, seine langjährigen Coaches Severin Lüthi, Ivan Ljubicic und Stefan Edberg sowie viele andere in die Arme schliessen. «Ich bin nicht traurig, ich bin gerade sehr glücklich», sagt er zu seinen Liebsten.
Die Karriere des grössten Schweizer Sportlers der Geschichte endete zwar mit einer Niederlage – und dennoch mit einem Happy End wie aus dem Bilderbuch.
sda