Jahresrückblick Die Jagd auf Stefanos Tsitsipas

Von Syl Battistuzzi

28.12.2019

Stefanos Tsitsipas: Der Shootingstar 2019 im Tennis.
Stefanos Tsitsipas: Der Shootingstar 2019 im Tennis.
Bild: Getty

Die Mission für die Australian Open lautet: Ein Autogramm von Stefanos Tsitsipas holen, griechischer Tennisprofi und aufstrebender Jungstar. Doch der Agent sieht sich mit vielen Hindernissen konfrontiert.

Ich selbst bin und war nie ein Autogrammjäger. Was an einem Gekritzel auf einem Papier speziell sein soll, habe ich nie verstanden. Doch wenn ein Kind mit griechischen Wurzeln innig um ein Autogramm von Stefanos Tsitsipas bittet, leistet man Folge. 

Also habe ich – neben meinen geschäftlichen Verpflichtungen – auch einen Auftrag in privater Angelegenheit gefasst. Den knapp eintägigen Flug nach Down Under vertreibe ich unter anderem mit einer Tennis-Zeitschrift, wo die Top 30 porträtiert werden, darunter natürlich auch ein gewisser Stefanos Tsitsipas.

Ich lese schnell die paar Zeilen und präge mir nochmals einige Fakten, aber auch sein Gesicht ein. So bekannt war die Weltnummer 15 damals ja (noch) nicht, auch wenn der 20-Jährige 2019 einer der Shootingstars der Szene werden sollte. Da ich keine Vorbereitungen für meine selbstauferlegte Mission getroffen habe, dachte ich, nutze ich doch gleich sein Magazinfoto als Unterlage für die noch zu holende Unterschrift und packe die Zeitschrift in meinen Rucksack.

Das erste Treffen

Am späten Nachmittag komme ich in Melbourne an und quartiere mich in meine Airbnb-Wohnung ein, gleich in der Nähe der Tennisanlage. Mein Handy lasse ich zu Hause, weil der Batteriestatus schon ein warnendes Rot anzeigt.

Ich trete auf die berühmte Flinders Street, um mir ein Restaurant zu suchen. Als ich um die Ecke biege, kommt mir ein grossgewachsener junger Mann mit langen blonden Haaren entgegen. Sein weisses Hemd lässt mich fast erblinden. Noch gerädert vom Jetlag brauche ich eine gefühlte Ewigkeit, um in meinem Hirn den Abgleich durchzuführen. Das Resultat lässt dann aber keine Zweifel offen: «Doch, das muss er sein!» 

Stefanos Tsitsipas als Objekt der Begierde.
Stefanos Tsitsipas als Objekt der Begierde.
Bild: Getty

Stefanos Tsitsipas sind meine Berechnungen augenscheinlich egal – er spaziert bereits mit seiner kleinen Crew im Schlepptau weiter. Also schnell hinterher, doch da wird mir schmerzhaft bewusst, dass ich natürlich weder mein Handy noch Stift und das Magazinfoto mitgenommen habe ... Ein Journalisten-Anfängerfehler erster Klasse! Doch der Frust hält sich in Grenzen, versichere ich mir: Schliesslich trifft man hier in der Innenstadt Melbournes offenbar laufend Tennisstars, da werde ich ihm schon noch mal über den Weg laufen.

Der nächste Versuch

In den ersten drei Runden schlängelt sich der Grieche jeweils mit Viersatzsiegen (gegen Berettini, Troicki und Basilashvilli) durch. So trifft er im Achtelfinal auf «unseren» Roger Federer, weshalb ich nun seine Pressekonferenz aufsuche. Der Schweizer ist sein Idol, weshalb er nervös sei, aber natürlich sein Bestes gebe. 

Ich beschliesse, ihn vor dem Duell im Training abzupassen (im Pressebereich darf man die Athleten nicht mit Autogrammwünschen belästigen). Ich mache mich auf den Weg zu seinem Trainingsplatz, als ich ihn plötzlich 30 Meter vor mir auf der Anlage sehe. Als ich jedoch fast zu ihm aufgeschlossen habe, biegt er ab und passiert einen abgesicherten Bereich. Es ist wie verhext.

Die Erkenntnis

Immerhin kann ich ihm danach im Training zusehen. Dort scheint ihn die Erwartungshaltung tatsächlich zu lähmen. Tsitsipas (ver)haut die einfachsten Bälle, manche landen sogar über dem Gitter. Er flucht dabei unentwegt, während sein Vater Apostolos, der gleichzeitig sein Trainer ist, mit ruhiger Stimme auf ihn einredet. Sein jüngerer Bruder Petros ist dabei sein Sparringpartner. Die Szenerie scheint zumindest die zahlreichen griechischen Fans nicht zu beunruhigen – in Melbourne befindet sich die grösste hellenische Gemeinschaft ausserhalb Griechenlands.

Die Zuversicht sollte sich auszahlen. Tsitsipas liefert ausgerechnet in seinem bisher grössten Spiel gegen Roger Federer eine sensationelle Leistung ab und haut den Titelverteidiger nach 3:15 Stunden aus dem Turnier. Das «Greek Wunderkind» ist geboren. Die anschliessende Pressekonferenz ist rappelvoll. Mir wird schmerzhaft bewusst: Nicht nur hat «Stef» grad meinen Tennisfavoriten eliminiert, sondern auch gleichzeitig meine Bestimmung zerstört.



Mit dem überraschenden Triumph ist Tsitsipas auf einen Schlag der meistgefragte Mann bei den Australian Open geworden, der Anonymität endgültig entwachsen. Die Chancen auf eine erfolgreiche Mission sind damit gegen null gesunken. Und dabei sitzt doch das Zielobjekt nur wenige Meter entfernt. Neben Roger Federer war ich wohl der traurigste Mann in Melbourne, auch wenn hier ein junger Mann mit einem «100-Watt-Lachen» gerade den Tag seines Lebens hatte.

Immerhin gibt es vielleicht schon bald ein Happy End: Mein Chef schickt mich wieder im Januar nach Australien. Drücken Sie mir also die Daumen, dass mir Stefanos Tsitsipas wieder über den Weg läuft. Stift und Zettel habe ich vorsorglich schon eingepackt.


Zurück zur StartseiteZurück zum Sport