Union Berlin, dieser einzigartige Klub aus dem Osten Berlins, hat es tatsächlich geschafft. Im Frühsommer stiegen die «Eisernen» erstmals in die Bundesliga auf und ganz Deutschland schien sich darüber zu freuen. Auch ich war ergriffen.
Montagabend, 27. Mai 2019, 20:30 Uhr. Anpfiff zum Relegations-Rückspiel zwischen Union und dem VfB Stuttgart. Fussball an einem Montagabend? Gehört verboten. Aber bei dieser Affiche freue ich mich auf das Spiel. Pünktlich bin ich bereit, mit einer Flasche Wasser vor dem Fernseher. Ist ja schliesslich Montag.
20:35 Uhr: Ich bin ein erstes Mal beeindruckt. Die Stimmung ist elektrisierend, die Fans im Stadion peitschen die Berliner an. Als alter Fussballromantiker sind meine Sympathien schnell vergeben: Zieht das druch Union!
20:39 Uhr: Schockstarre. Stuttgarts Aogo zimmert einen Freistoss in den Winkel, Stuttgart jubelt, Union braucht jetzt zwei Treffer. Wird wohl nichts mit dem Wunder.
20:40 Uhr: Die Anhänger der Union atmen auf. Der VAR entscheidet auf Abseits. Alles wieder offen und ich freue mich. Darauf ein Bier? Nein, ist ja schliesslich Montag.
21:05 Uhr: Immer noch 0:0. Stand jetzt ist Union aufgestiegen und Urs Fischer, in Basel noch zum Teufel gejagt, wird erstmals gross im Bild gezeigt. Ich stelle mir die Frage: Warum nur hat der FCB diesen Trainer geschasst?
21:17 Uhr: Pausenpfiff. Das Spielt lebt von der Dramatik, von der Spannung und ich merke selbst: Ich bin angespannt. Ein Bierchen? Nein, ist ja schliesslich Montag.
22:00 Uhr: Es sind noch 24 Minuten zu spielen. Über die TV-Lautsprecher höre ich diese einzigartige Atmosphäre. Von jeder Tribünenseite kommen die Gesänge. Ich singe bei einigen mit, als könnte ich helfen. Meine Freundin schaut mich an, als ob sie einen fremden Mann in ihrer Wohnung hätte.
22:15 Uhr: «Wo du auch spielst, ja wir folgen dir. Und ist der Sieg auch noch so fern, gib niemals auf und glaub an Dich, ja dann kann der Sieg nur dir gehörn. Oh oh oh oh.» Meine Freundin verlässt den Raum. Ich hol mir ein Bier. Montag? Ja, aber einer, der in die Geschichte eingehen könnte.
22:22 Uhr: Ich bin nervös und will jetzt diesen Aufstieg unbedingt. Schreie den Fernseher an und sehne den Schlusspfiff herbei. Ein Gegentor und der Traum ist futsch. Fussball, du kannst so brutal sein, aber darum lieb ich dich.
22:28 Uhr: Aus! Union packt es, Fischer du Gott! Platzsturm und ich hüpfe im Wohnzimmer herum. Die Nachbarn hören zu, das nächste Bier wird geöffnet – alles egal. Was für ein Fussball-Abend. Ich bin Union-Fan. Zumindest heute Abend.
22:45 Uhr: Ich bin überwältigt. Schaue den Szenen genüsslich zu. Tausende freudetrunkene Menschen, erwachsene Männer weinen. Kleine Kinder fühlen sich wie die Grössten. Fussball, du bist grossartig! Und dieser schöne Sport ist um ein Märchen reicher.
Was macht diesen Verein so sympathisch, dass sich so viele darüber freuen, den selbsternannten Kult-Klub künftig in der Bundesliga zu sehen?
Union hat eine bewegte Vergangenheit, doch vom Erfolg geküsst wurden sie selten. Legendär das Plakat in der Fankurve, als die Unioner im Frühling 2017 fast aufgestiegen sind, auf dem stand: «Scheisse, wir steigen auf!»
Die Fans fühlten sich wohl in der 2. Liga. Weit weg von der totalen Kommerzialisierung. Oder die Stadion-Geschichte. Zwischen 2008 bis 2013 wurde das Stadion renoviert. Der Klub war finanziell angeschlagen. Tausende freiwillige Helfer aus den Fankreisen von Union Berlin kamen deshalb auf die Baustelle und bauten ihr Stadion mit den eigenen Händen fertig.
Stehplätze, nahe am Spielfeld, Bier und Bratwurst, das sind Werte, von denen jeder Fussball-Traditionalist schwärmt. In den höchsten europäischen Spielklassen sind diese der Kommerzialisierung geschuldet so gut wie verschwunden. Ausser an der «alten Försterei», der Heimstätte des 1. FC Union. Dieser Klub wehrt sich bis heute erfolgreich dagegen. Hier riecht es noch nach echtem Fussball. Und dies begeistert viele, auch mich.
Am nächsten Morgen wache ich auf, bin immer noch zufrieden über die Ereignisse. Wünsche den Unionern auch viel Glück auf dem weiteren Weg. Doch für mehr reicht es dann doch nicht. Sein Herz vergibt man im Fussball eben nur einmal. Und meins gehört weiterhin der Frankfurter Eintracht. Sorry Union, aber ihr seid coole Typen!