Als Fussball-Liebhaber müsste mein Jahres-Highlight eigentlich auf einem grünen Rasen stattgefunden haben. In einem WM-Jahr sowieso. Doch 2018 war es der grösste Schweizer Sportler, der mich am meisten begeisterte.
Ich erinnere mich noch gut an den Sommer 2003. Als Zehnjähriger schaute ich schon damals fast täglich «Sportaktuell» und in jener Zeit schrieb ein Schweizer besonders grosse Schlagzeilen: Roger Federer gewann sensationell Wimbledon – mit nur 21 Jahren. Ich begann mehr und mehr, mich für Tennis zu interessieren, fieberte bei jedem Grand Slam mit und sagte mir irgendwann, dass ich diesen Künstler eines Tages auch in einem Stadion spielen sehen möchte.
2016 sollte es dann endlich soweit sein: Ich kaufe mir früh ein Ticket für die Startrunde der Swiss Indoors, damit ich den vielleicht grössten Tennis-Spieler aller Zeiten mit Sicherheit sehen kann. Dann aber der grosse Schock: Federer gibt nach Wimbledon verletzungsbedingt für den Rest des Jahres Forfait. Und ich denke mir: Vielleicht werde ich ihn tatsächlich doch nicht mehr live erleben.
Die Erleichterung kommt dann aber nur ein paar Monate später, als mein Chef mich fragt, ob ich Lust hätte, an die US Open zu gehen. Natürlich muss ich keine Sekunde überlegen und sage zu. Im September 2017 ist es dann soweit: Federer in New York in der 1. Runde gegen Francis Tiafoe. Ein unbeschreiblicher Moment für mich. Davon werde ich eines Tages meinen Enkeln erzählen, denke ich mir.
Federer macht die 20 perfekt
Dass es noch viel besser kommen würde, hätte ich damals nicht gedacht. Denn ich darf im Januar 2018 auch aus Melbourne berichten. Das Turnier, bei dem Federer als Titelverteidiger und Favorit ins Rennen geht. Eine völlig andere Ausgangslage als in New York. Hoffnung keimt auf: Erlebe ich am Ende gar Federers 20. Grand-Slam-Titel hautnah?
Als Journalist ist man bei einem Grand-Slam-Turnier distanzierter. Auf der Medientribüne hört man keinen Jubel, geschweige denn einen Zwischenruf. Man sieht höchstens mal eine geballte Faust nach einem wichtigen Punkt. Die Nervosität hält sich bei mir ohnehin in Grenzen. Zu souverän spielt sich Roger in Melbourne in den Final – ohne einen Satz zu verlieren.
Dann gerät die Sache aber doch noch ins Wanken. Marin Cilic ist ein grossartiger Widersacher und zwingt den Schweizer in den fünften Satz. Da hat der Kroate sogar den ersten Breakball. Auf einmal rast mein Puls. Dieses Spiel kann er doch jetzt nicht verlieren, ich war mir doch so sicher, dass er gewinnen wird!
Federer enttäuscht mich nicht. Er packt im fünften Satz nochmal sein bestes Tennis aus und hat dann seinen Matchball. Da ist wieder dieses unbeschreibliche Gefühl. Ich merke, dass ich gerade einen historischen Moment live miterlebe. Aufschlag Federer, Cilics Return landet im Netz. Ich bin überwältigt. Mit zitternden Händen schicke unseren App-Usern die Push-Mitteilung. Zu früh? Cilic nimmt die Challenge. Aber der Ball ist auf der Linie. Spiel, Satz und Sieg Federer.
Ein historischer Moment
Der Maestro hat gerade seinen 20 Grand-Slam-Titel gewonnen. 20! Wird es sein letzter sein? Wie viel ihm dieser Titel bedeutet, davon zeugen nicht nur die Tränen, die er beim Siegerinterview vergiesst. Auch heute noch, fast ein Jahr nach dem Sieg, sieht man, wenn man Federers Twitter-Profil besucht, als Erstes einen angehefteten Post, der am 28. Januar veröffentlicht wurde. Es ist ein Selfie mit der Aussie-Open-Trophäe. Auch ich werde diesen Tag nie vergessen.