Die letzten beiden Weltcuprennen des Jahres bestreiten die Männer wie gewohnt in Bormio. Die Piste «Stelvio», auf der 2026 olympische Rennen ausgetragen werden, ist ebenso legendär wie gefürchtet.
Sie ist schon sehr präsent, die Fahne mit den fünf ineinander verschlungenen Ringen. Vor allem entlang der Hauptstrasse durch das mit seinen gut 4000 Einwohnern beschauliche Dorf im oberen Veltlin hängen die olympischen Symbole immer wieder prominent. Man ahnt: In gut einem Jahr wird hier, mitten im Talkessel unweit der Schweizer Grenze, Ausnahmezustand herrschen. Denn dann finden in Bormio alle olympischen Ski-alpin-Rennen der Männer statt.
Für die Athleten ist das im Moment noch zweitrangig. «Der Fokus liegt auf den Rennen an diesem Wochenende und dann auf dem Rest der Saison. Olympia ist für mich noch weit weg», sagte zum Beispiel Franjo von Allmen. Nach dem schweren Trainingssturz des Franzosen Cyprien Sarrazin, Abfahrtssieger von 2023, gab es dann aber doch einige Stimmen, die sich auf die Winterspiele bezogen.
«Wenn die Piste bei den Winterspielen so präpariert ist, kommt keiner der Exoten runter», sagte Stefan Rogentin in Anspielung darauf, dass bei Olympischen Spielen auch weniger Geübte eine Startmöglichkeit erhalten. Auch der Franzose Nils Allègre bezog sich auf die schwierigen Schneeverhältnisse und doppelte nach: «Mit so einer Piste haben sie Olympia nicht verdient.»
Viele Emotionen rund um Bormio
Dabei hat Bormio ohnehin noch etwas gutzumachen. Denn das letzte Grossereignis, die WM 2005, war von organisatorischen Schwierigkeiten geprägt. Wegen der hohen Ticketpreise blieben die Fans weitgehend fern, Stimmung kam lange kaum auf. Unvergessen ist auch der Streik des Fernsehsenders RAI, der dazu führte, dass der Riesenslalom kurzfristig um einen Tag verschoben werden musste. Aus Schweizer Sicht war die WM auch sportlich ein Debakel: Zum ersten und einzigen Mal seit der WM 1966 in Portillo (Chile) blieb Swiss Ski ohne Medaille.
Im Weltcup fiel Bormio nach 2013 kurzzeitig aus dem Programm. Die Organisatoren wollten die Rennen, die seit 1993 fast immer in der Altjahreswoche stattfanden, nicht mehr durchführen, weil ihnen in dieser Zeit wichtige Einnahmen aus dem Tourismus fehlten. Seit 2017 finden die Rennen wieder regelmässig statt, was aber nicht nur auf Freude stiess.
Auch ohne die Schwierigkeiten mit der Präparation löst die Piste im Nationalpark Stilfserjoch bei den Athleten viele Emotionen aus. «Es ist einfach ein brutales Rennen», sagte Justin Murisier, der am Samstag seine vierte Weltcup-Abfahrt in Bormio bestreiten wird.
Die Piste liegt dem bald 33-Jährigen eigentlich, 2022 wurde er Siebter, im vergangenen Jahr sogar Vierter. Ein Fan ist er trotzdem nicht. «Im Fernsehen sieht man leider nicht, wie schwierig das Rennen ist. Wir Athleten sprechen oft vom 'Überleben', wenn wir unten angekommen sind. Während es bei anderen Rennen darum geht, der Schnellste zu sein, muss man in Bormio einfach irgendwie auf den Beinen bleiben.»
Einer der wenigen, die nach den beiden Trainings ein positives Fazit zogen, war Marco Kohler: «Natürlich 'chlöpfts' auf der Strecke und man muss gegen die Linie kämpfen», sagte der 27-jährige Berner. «Aber das kann auch Spass machen.»
Erst ein Schweizer Abfahrtssieg im Weltcup
Die Abfahrt hat seit Jahren den Ruf, die schwerste im Weltcup zu sein. Das bestätigt auch Weltcupleader Marco Odermatt: «Man kommt hierher und weiss genau, dass es keine Weihnachtsferien werden. Es ist ein Überlebenskampf. Vielleicht hat man kurz ein gutes Gefühl, wenn man im Ziel steht und weiss, dass man einigermassen gut durchgekommen ist. Aber sonst gibt es vom Start bis ins Ziel wenig Cooles.»
Und das von einem Fahrer, der in Bormio schon viermal auf dem Podest stand. In der Abfahrt wurde Odermatt zweimal Zweiter, den Super-G gewann er 2022 und 2023. Dank dem Nidwaldner wurde die Schweizer Bilanz in Bormio etwas aufgebessert, insgesamt ist sie trotz einiger Podestplätze eher unterdurchschnittlich.
So gab es in 31 Weltcup-Abfahrten auf der «Stelvio» erst einen Schweizer Sieg: 2011 triumphierte Didier Défago vor seinem Teamkollegen Patrick Küng. Dreimal verhinderte Dominik Paris, mit insgesamt sieben Siegen (sechs in der Abfahrt, einer im Super-G) der «König von Bormio», einen Schweizer Abfahrtstriumph: In den beiden Rennen 2019 gewann er vor Beat Feuz, dann vor Urs Kryenbühl, 2021 liess er Odermatt knapp hinter sich.
Nun nimmt Odermatt den nächsten Anlauf, um sich auch in die Siegerliste der Bormio-Abfahrt eintragen zu können. Es wäre eine Belohnung für den «Überlebenskampf» und zumindest auch eine kleine Ansage im Hinblick auf Februar 2026.