Dass Alexander Zverev ins olympische Halbfinale von Tokio einzieht, war keine Überraschung. Aber Finale? Dem stand eigentlich der serbische Topfavorit Novak Djokovic im Weg. Aber Zverev packte es.
Alexander Zverev hatte Tränen in den Augen, sass nach der Tennis-Sensation von Tokio minutenlang tief bewegt auf seiner Spielerbank. Völlig überraschend war er ins Finale eingezogen und kann als erster deutscher Tennisspieler im Herren-Einzel Olympiasieger werden.
Mit einer herausragenden Leistung gewann der 24-jährige Hamburger am Freitag einen denkwürdigen Halbfinal-Showdown gegen den serbischen Weltranglistenersten Novak Djokovic 1:6, 6:3, 6:1 in 2:03 Stunden. Damit hat Zverev die erste Einzel-Medaille seit dem Silber von Tommy Haas vor 21 Jahren sicher – und greift am Sonntag nach Gold. Im Endspiel gegen den russischen Überraschungsfinalisten Karen Chatschanow ist Zverev Favorit.
Wutanfall führt zur Wende
«Am Ende des Tages ist meine grösste Motivation, die Medaille zu holen – und hoffentlich Gold», hatte Zverev am Vortag gesagt. Auf dem Centre Court lieferte die deutsche Nummer eins gegen den bislang in diesem Jahr überragenden Star der Tennis-Szene ab Mitte des zweiten Satzes eine ganz starke Leistung ab. Ein Wutanfall des Weltranglisten-Fünften führte zur Wende, als es gerade so aussah, als würde seine Niederlage im vermeintlichen vorweggenommenen Endspiel kurz bevorstehen.
Als Zverev mit einem missratenen Netzangriff im zweiten Satz dem serbischen Topfavoriten sein Aufschlagsspiel zum 2:3 überlassen musste, liess er seinem Ärger Luft und schlug einen Ball aus der Tennis-Arena. Aus der kleinen Unterstützer-Gruppe im eigentlich Zuschauer-leeren Stadion schallten zugleich «Nole, Nole»-Rufe. Doch die Szene schien wie ein Weckruf für den US-Open-Finalisten von 2020. Zverev drehte auf: Ihm gelang zwischenzeitlich eine irre Serie von 12:1-Punkten und der Satzausgleich. Im entscheidenden Durchgang machte Zverev gegen den 20-fachen Grand-Slam-Turniersieger und Bronzemedaillengewinner von 2008 so weiter – lag sogar mit 4:0 vorn und verwandelte wenig später seinen zweiten Matchball.
Schon im ersten Satz hatte sich die deutsche Nummer eins nicht so viel vorwerfen lassen müssen. So deutlich, wie es das Ergebnis vermuten lässt, verlief das Match aber bei weitem nicht.
Als Geniesser der Olympia-Atmosphäre wandelt Debütant Zverev in der japanischen Hauptstadt auf den Spuren deutscher Tennis-Grössen. Steffi Graf gewann 1988 Gold und vier Jahre später Silber. Vor fünf Jahren feierte auch Angelique Kerber die silberne Plakette. Haas hatte als bislang letzter Deutscher im Herren-Einzel 2000 in Sydney das Endspiel erreicht, aber gegen den Russen Jewgeni Kafelnikow verloren.
Golden-Slam-Traum für Djokovic geplatzt
Egal wie seine letzte Partie in Tokio am Sonntag ausgeht, schon jetzt hat Zverev ein wichtiges Zeichen in seiner Tennis-Karriere gesetzt und sogar Tennis-Idol Boris Becker etwas voraus. Becker holte zwar Doppel-Gold in Barcelona, blieb als Olympia-Solist aber erfolglos.
Als Nebeneffekt verdarb Zverev dem serbischen Weltranglisten-Ersten die Chance auf einen historischen Meilenstein. Djokovic wollte in diesem Jahr die Möglichkeit auf den Golden Slam ergreifen, dazu fehlten ihm noch Olympia-Gold und der US-Open-Titel. Dass der Serbe in Melbourne bei den Australian Open, in Paris bei den French Open und in Wimbledon 2021 der Beste war, zeigt, wie schwierig es ist, ihn zu besiegen. Der Golden Slam bleibt nun weiter ein bisher einmalige Erfolg von Steffi Graf 1988.