An Yann Sommer gibt es in der Nati kein Vorbeikommen, wie Murat Yakin jüngst erklärte. Die Vormachtstellung der langjährigen Nummer 1 sorgt aber für viel Gesprächsstoff.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Schon ein halbes Jahr vor der EM in Deutschland ist klar, dass Yann Sommer das Tor für die Schweiz hüten wird. Gregor Kobel hat damit das Nachsehen.
- Sein Berater Philipp Degen hält das frühe Bekenntnis zu Sommer für fragwürdig. Patrick Foletti, der Goalie-Trainer der Nati, habe ein «extrem enges Verhältnis» zu Sommer, so Degen.
- Der fehlende Konkurrenzkampf in der SFV-Auswahl finden auch andere nicht gut.
In Dortmund geraten sie bei einem Spieler stets ins Schwärmen: Gregor Kobel. Der 1,95 Meter grosse Schweizer kam 2021 für 15 Millionen Euro aus Stuttgart in den Ruhrpott. Ein Schnäppchenpreis, denn seine Leistungen beim BVB sind Woche für Woche herausragend.
Sportdirektor Sebastian Kehl attestiert Kobel «Weltklasse-Format» – womit er «das Interesse vieler Spitzenklubs in Europa geweckt» habe. Sein Trainer Edin Terzić bezeichnet ihn als «einer der besten Torhüter» Europas. Der Vertrauensbeweis des Klubs ist ein Vertrag bis 2028. Ausserdem ist Kobel Vize-Captain.
Im Nationalteam hat der 26-Jährige dagegen ein ganz anderes Standing. Kein Wunder, schliesslich hat Kobel gerade mal fünf Länderspiele auf dem Buckel. Darunter waren zwei Testspiele und eine Partie gegen Andorra. Oder um es in den Worten von Stéphane Henchoz zu sagen: «Es sind meist Scheissspiele gewesen. Da hätte selbst ich im Tor stehen können», feixte der ehemalige Internationale gegenüber dem «Tages Anzeiger».
Ein oder zwei Einsätze wollte Nati-Coach Murat Yakin in der EM-Quali Kobel geben, doch der Keeper verletzte sich beim letzten Nati-Zusammenzug. «Wir hatten den anderen Goalies in der EM-Qualifikation die Möglichkeit gegeben, im Tor zu stehen. Leider musste ‹Gregi› zweimal Forfait erklären», erläuterte Yakin im Fussball-Talk Heimspiel.
Doch auch mit starken Auftritten hätte sich realistischerweise nichts an der internen Hackordnung in der Nati verändert. Denn beim SFV gilt seit dem Rücktritt von Diego Benaglio nach der WM 2014: «Sommer first.»
«Yann Sommer ist die Nummer eins und wird das auch bleiben. Er wird an der EM im Tor stehen», betonte der Nati-Trainer schon im Dezember. Der Inter-Legionär hat also eine Carte blanche für die kommenden Monate.
«Fader Beigeschmack»
Kobels Berater Philipp Degen findet dafür gegenüber «Sky» klare Worte: «Diese Entscheidung zu diesem Zeitpunkt setzt das Leistungsprinzip praktisch ausser Kraft. Gregor ist einer der besten Keeper der Welt und man sagt ihm, dass seine Leistungen nicht relevant sind – das halte ich für ein ganz schlechtes Zeichen».
Degen weiter: «Vor allem vor dem Hintergrund, dass Patrick Foletti, von dem diese Entscheidung eigentlich kommt, da er für die Torhüter verantwortlich ist, zu Yann Sommer ein extrem enges Verhältnis hat, was auch von anderen Nati-Keepern schon mehrfach bemängelt wurde – das hinterlässt natürlich einen sehr, sehr faden Beigeschmack», ärgert er sich. Im «Blick» legt der frühere Liverpool- und BVB-Profi nach. «Was Foletti macht, geht einfach nicht. Sein Verhältnis zu Yann ist einfach viel zu eng, um eine faire Bewertung zuzulassen», betont der 40-Jährige.
Ähnliche Worte fand Marwin Hitz nach seinem Rücktritt über Foletti: «Die Bindung des Trainers zu seiner Nummer 1 war zu eng, von Deutschland her kannte ich das nicht. Er liess Roman (Bürki) und mich sehr schnell spüren, wer die Nummer 1 ist. In einem Interview vor der EM 2016 sagte er, Yann sei wie ein Sohn für ihn. Es ist schön, wenn es im Fussball menschliche Bindungen gibt. Aber es war nicht einfach, als Profis damit umzugehen», erläuterte der heutige FCB-Goalie gegenüber der «NZZ».
Foletti baute auf Sommer – auf Kosten von Bürki und Hitz
In der Tat liess Foletti all die Jahre nie Zweifel an der Vormachtstellung von Sommer aufkommen. «Vor allem in der Verwaltung der Emotionen und der Spielintelligenz ist er weiterhin vor allen anderen. Ende der Durchsage», resümierte er etwa 2018 im «Tages-Anzeiger. Der Frust bei den Nicht-Auserwählten war dementsprechend gross. Der damalige BVB-Stammgoalie Roman Bürki begründete seinen Nati-Rücktritt wie folgt: «Ich habe mir eine Chance in einem wichtigen Spiel gewünscht, habe aber keine bekommen.»
Der Tessiner geniesst dabei quasi wie sein Schützling im Verband Artenschutz. Nicht weiter verwunderlich, schliesslich feierte der 49-Jährige mit seinen Methoden grosse Erfolge und machte die Schweiz zu einem gefragten Torhüter-Land.
Über viele Jahre gab es an der Vorzugsbehandlung auch nicht wirklich etwas zu rütteln. Sowohl im Klub als auch in der Nati war Sommer ein sicherer Rückhalt. Doch mit seinem Wechsel zu Bayern München vor einem Jahr schien sein Nimbus zu bröckeln. Der Routinier flüchtete im Sommer zu Inter. Während er in Italien an seine Form aus früheren Tagen nahtlos anknüpfen konnte, strahlte der 35-Jährige in der EM-Quali nicht die gewohnte Souveränität aus.
Für Hitz und die blue News Leser*innen wäre Kobel Favorit
«Er hat herausragend gehalten für die Nati, aber die letzten fünf, sechs Spiele waren nicht mehr gut. Hier muss eine echte Neubewertung stattfinden. Ich kann nicht einfach ein Ranking sechs Monate vor so einem Turnier festlegen, ohne die Leistungen mit einzubeziehen», mahnt Degen.
Für ihn hat sein Klient inzwischen die Nase vorne, auch wenn die Kritik nicht gegen Sommer gerichtet sei.« Die Fakten liegen auf dem Tisch. Es muss eine faire Bewertung stattfinden und das zweifle ich massiv an», prangert Degen an.
Für eine Mehrheit der blue News Leser*innen wäre der Fall klar. 60 Prozent der User sprachen sich in einer Umfrage für Kobel als neue Nummer 1 aus. Auch Hitz bekennt im Duell Farbe. Für den FCB-Profi ist Kobel der bessere Torhüter. «Ich erlebte, wie Gregor arbeitet, sah sein Talent, die Explosivität. Er ist ein unglaublich guter Goalie» schwärmt er von dem Mann, der ihm in Dortmund vor die Nase gesetzt wurde, woraufhin Hitz in die Schweiz wechselte.
Eine solche Begeisterung war bei Foletti, der zu Kobel eine «Hass-Liebe» pflegt, wie er es in der Doku «Pressure Game» ausdrückte, jedenfalls für Aussenstehende nie zu spüren. So rief «Fox» vor der WM 2022 für den Posten hinter Sommer einen offenen Zweikampf zwischen Jonas Omlin und Gregor Kobel aus. Immerhin den hat Kobel dann für sich entschieden.
«Es ist immer ein Problem, wenn ein Goalietrainer einen Liebling hat. Er wird einen Cheftrainer immer beeinflussen. Und der Cheftrainer wird immer auf ihn hören. Foletti wird also weiter für Sommer Stellung beziehen», mahnte jüngst Henchoz. Der Vorwurf der Bevorzugung an die Adresse von Foletti und Yakin wird in den kommenden Monaten sicher nicht leiser werden.