WM in Katar Nati-Direktor Tami: «Können das Problem nicht mit Slogans auf T-Shirts lösen»

sda

30.3.2021 - 08:28

Pierluigi Tami ist seit Sommer 2019 als Direktor der Schweizer Nationalmannschaft tätig.
Pierluigi Tami ist seit Sommer 2019 als Direktor der Schweizer Nationalmannschaft tätig.
Bild: Keystone

2 Spiele, 6 Punkte: Die Schweizer Nationalmannschaft erfüllt zum Start der WM-Qualifikation die Pflicht. Pierluigi Tami blickt in die Zukunft und äussert sich auch zu Katar als WM-Austragungsort.

sda

Der Start in die WM-Qualifikation ist geglückt, nun blickt das Schweizer Nationalteam in Richtung EM-Endrunde im Juni: Nationalmannschaftsdirektor Pierluigi Tami spricht im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA über den Entwicklungsprozess des Teams und die Ziele an der EM. Aber auch über die Bedeutung der U21-EM sowie über die weltweiten Proteste gegen den WM-Gastgeber Katar.

Zwei Spiele, sechs Punkte: Ich nehme an, Sie haben gut geschlafen nach dem erfolgreichen Start in die WM-Qualifikation.

Pierluigi Tami: «Ja, absolut. Ich bin erleichtert. In einer Kampagne mit nur acht Spielen hat jede Partie eine grosse Bedeutung. Wir mussten gut starten, das ist gelungen. Super! Jetzt können wir uns in Ruhe an die Vorbereitung der EM machen.»

Was kann man aus den Spielen gegen Bulgarien und Litauen mitnehmen im Hinblick auf die EM?

Die Bestätigung, dass die Mannschaft die Reife hat, Resultate abzuliefern und gleichzeitig an den eigenen Spielprinzipien festzuhalten.

Sind für die EM nicht die Erkenntnisse aus den Länderspielen vom letzten Herbst gegen Spanien, Deutschland, Belgien oder Kroatien wichtiger. Da haben die Resultate nicht gestimmt.

Das letzte Jahr war für uns sehr wichtig. Wir sind nur gegen grosse Mannschaften angetreten. Spiel für Spiel. Da hat sich ein Selbstverständnis entwickelt. Das war ein Lernprozess, aber am Ende hatte ich die Bestätigung: Ja, wir können auch gegen die Besten unsere Philosophie durchbringen. Ja, diese Mannschaft hat eine klare Spielidee.



Ist die Mannschaft weiter als vor einem Jahr?

Sie hat wie gesagt an Reife gewonnen. Deshalb ist es wohl so, dass wir – sportlich gesehen – profitieren von der Verschiebung der EM um ein Jahr.

Dann sind Trainer und Team bereit für den grossen Wurf? Die Qualifikation für die Viertelfinals.

Wir sollten langsam vorgehen. Unser Hauptziel bleibt fürs Erste der Achtelfinal. Wenn man Italien sieht, oder etwa die Türkei in den Spielen gegen die Niederlande und Norwegen, dann muss klar sein, dass wir in den Gruppenspielen (ein weiterer Gegner ist Wales – Red.) drei grosse Auftritte brauchen, um nur schon die Vorrunde zu überstehen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir trotz der Stärke der Gegner auch auf uns schauen müssen.

Wie meinen Sie das?

Die Fragen sind: In welcher Form befinden sich unsere Spieler? Was geschieht mit ihnen in den nächsten zwei Monaten in den Klubs? Die Vorbereitung wird sehr wichtig sein. Bei einem Zusammenzug kommen 23 Spieler zusammen, die physisch und mental sehr grosse Unterschiede aufweisen. Es ist eine grosse Aufgabe für den Staff, während der zweiwöchigen Vorbereitung, sehr individuell auf die Spieler einzugehen.

Diesen atmosphärischen Fragestellungen kommt in Corona-Zeiten eine noch grössere Bedeutung zu.

Wir sehen schon bei diesen zehntägigen Zusammenkünften, wie schwierig es ist, die Massnahmen ständig vorzuleben. Es ist schlimm, wenn man nie mal in Ruhe einen Spaziergang machen kann. Jetzt ist es nur eine Woche, aber an der EM dauert es mehr als einen Monat. Während des Turniers muss es Momente geben, in denen man auch mal die Familie oder Freunde treffen kann. Eine lange Zeit ohne Kontakte nach aussen wäre eine riesige Herausforderung.



Wie ist der Stand der Vorbereitung aus logistischer Sicht?

Wir hoffen, dass die UEFA schon bald entscheidet, wie und wo die Spiele stattfinden. Vielleicht macht sie das schon nach ihrer Sitzung vom 7. April. Wir hätten in Baku und Rom perfekte Bedingungen vorgefunden. Aber nun mussten wir wegen der Verschiebung in Rom ein anderes Trainingszentrum finden, weil die Anlage in Trigoria in diesem Sommer renoviert wird und uns nicht zur Verfügung steht. Aber Rom bleibt unser Hauptquartier – sofern die UEFA das Turnier in der ursprünglichen Form bestätigt.

Die EM kämpft mit dem Corona-Problem, die WM 2022 in Katar wird mit weltweiten Protesten oder Boykottaufrufen wegen der Menschenrechtsverletzungen konfrontiert.

Das ist ein heikles und wichtiges Thema. Wir vom SFV setzen auf den Dialog mit der FIFA sowie Amnesty International und auf diesem Weg können wir auch Einfluss nehmen. Auch Amnesty International spricht sich übrigens gegen einen Boykott aus. Der Thematik muss man sich auf seriöse Art stellen, die Verbände müssen auch zusammenarbeiten. Wir dürfen nicht denken, dass wir das Problem mit ein paar Slogans auf T-Shirts lösen können.

Zu einem erfreulicheren Thema: Die U21-Auswahl spielt ihre Endrunde bereits in diesen Tagen.

Diese EM-Teilnahme ist unglaublich wichtig. Die U21 ist keine Ausbildungsmannschaft. Sie spielt einen Wettbewerb von enormer Bedeutung, denn diese U21-EM gibt unserem Fussball Glaubwürdigkeit in ganz Europa. Diese Mannschaft ist der Spiegel des Schweizer Fussballs. Als die Kampagne für die U21-EM begann, spielten 80 bis 90 Prozent der Spieler in der Super League.

Und dann haben einige rasch die U21 als Sprungbrett genutzt, um ins Ausland zu wechseln.

Das ist auch gut für die Klubs, die damit wichtige Einnahmen generieren. Nun bietet die U21-EM ein internationales Schaufenster, das den Schweizern sonst fehlt, weil es für die Klubs immer schwieriger wird, sich für die Champions League oder die Europa League zu qualifizieren.

Aber die Spieler kommen in den grossen Ligen nicht regelmässig zum Einsatz. Könnte das nicht deren Entwicklung hemmen?

Sie erleben eine neue Kultur, haben ein anderes Leben, sind vielleicht zum ersten Mal weg von der Familie. Da braucht man sechs Monate oder ein Jahr, um sich anzugewöhnen. Als ich vor zehn Jahren als Trainer mit der U21 an der EM war, spielten Yann Sommer, Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri oder Admir Mehmedi alle noch in der Schweiz. Später brauchten auch sie im Ausland eine gewisse Zeit zur Angewöhnung. Schwierig wird es dann, wenn einer zwei oder drei Jahre nur Ersatz ist.

Also kann man nicht zu früh ins Ausland wechseln?

Es ist individuell, wann der richtige Zeitpunkt ist. Es ist nicht so, dass in Italien oder Deutschland anders Fussball gespielt wird. Die grösste Hürde ist der Konkurrenzkampf innerhalb des Teams. Die Schweizer müssen lernen, in jedem Training Vollgas zu geben. Wer diese Hürde nimmt, ist bereit für den nächsten Schritt. In unserem Prozess beim SFV ist dies der Schritt von der U21 in die A-Nationalmannschaft.