In einem Interview mit einem belgischen Magazin nimmt Berater-Ikone Carmine «Mino» Raiola kein Blatt vor den Mund. Der Italiener greift die FIFA frontal an und spricht über seine Vision, den Fussball zu revolutionieren.
Paul Pogba, Zlatan Ibrahimovic, Mario Balotelli – nur drei grosse Namen des Weltfussballs, die bei ihren Millionen-Deals von Mino Raiola vertreten werden. Er gilt als berühmtester wie auch berüchtigtster Spielerberater der Welt.
In einem Interview mit dem belgischen «Sport/Voetbalmagazine» spricht der 52-Jährige offen über seine Tätigkeit und gibt einen Einblick in seine Gedanken und Pläne. Natürlich arbeitet er während des ganzen Jahres, doch so richtig interessant wird es für den Agenten erst während der Transferzeit: «Es ist der 1. Januar, das Theater öffnet, der Vorhang geht auf und die Show kann beginnen.»
Ein Theater, für das er laut eigener Aussage hauptverantwortlich ist. «Ich möchte nicht arrogant wirken, aber ich denke, dass ich diesen Markt erfunden habe», so Raiola. «Es ist mittlerweile eine gigantische Branche, die ich geprägt habe, indem ich nie den Mund gehalten habe und immer einen Standpunkt für meine Spieler eingenommen habe.»
Im Winter machte er den Transfer des begehrtesten Talents Europas perfekt. Erling Haaland wechselte von Salzburg zu Borussia Dortmund. Raiola verrät, dass dieser Deal alles andere als rasch zustande kam: «Mit Haaland war ich fast ein Jahr lang beschäftigt. Ich habe mit einer Reihe von Klubs gesprochen, mir ihre Angebote angesehen und Pläne angehört und dann verhandelt. So konnte Erling eine wohlüberlegte Entscheidung treffen.»
Haaland entschied sich für den BVB – und Raiola schaffte es sogar, dass Dortmunds Bosse ihre eigene Transfer-Philosophie über den Haufen warfen. «Es wird künftig bei Borussia Dortmund keine Ausstiegsklauseln mehr geben», hatte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke vor einigen Jahren noch gesagt. Haaland darf die Borussia in zwei Jahren aber für 60 Millionen Euro wieder verlassen. «Mino ist sehr tough, aber ich sehe für meine Arbeit das Gute daran: Du weisst von Anfang an, woran du bei ihm bist», sagte BVB-Sportdirektor kürzlich über die Haaland-Verhandlungen.
«FIFA? Korruptes Monopol mit unfähigen Anführern»
«Der Fussball ist zu einer Show und Unterhaltung geworden», sagt Raiola über die Entwicklung der beliebtesten Sportart der Welt. Vom aktuellen Transfersystem ist der Italiener aber überhaupt nicht begeistert, da alle Deals über den Weltfussballverband laufen müssen. «Die FIFA ist durch, das alte System ist vorbei. Die FIFA ist ein korruptes Monopol mit unfähigen Anführern», schimpft er. «Dieses Transfersystem ist Menschenhandel.»
Irgendwie paradox, diesen Satz von einem Agenten zu hören, der für seine Geschäfte mit Spielertransfers Handgelder in Millionenhöhe kassiert. Alleine für den Pogba-Wechsel im Jahr 2016 von Juve zu Manchester United kann der Berater 49 Millionen Euro verdienen, sollte der Franzose seinen bis 2021 laufenden Vertrag erfüllen.
«Es ist sehr merkwürdig, dass es immer um mein Gehalt geht, man von der FIFA aber nichts hört, wenn Ajax 150 Millionen Euro für zwei Jungs bekommt (Anm. d. Red.: Matthijs de Ligt und Frenkie de Jong)», rechtfertigt sich Raiola. «Dann ist das toll und Ajax hat es sehr gut gemacht.» Die FIFA hatte im Mai 2019 – kurz vor Eröffnung des Sommer-Transferfensters – eine dreimonatige Suspendierung gegen Raiola ausgesprochen, die wenige Wochen später aber wieder aufgehoben wurde.
Was man Mino Raiola lassen muss: Wohl keiner weiss besser über den Transfermarkt Bescheid als er. Deshalb will die Berater-Ikone die Dinge im Fussball ändern und kündigt an: «Das ist der Start einer neuen Ära, wir legen das Fundament. Wenn es nach mir geht, schaffen wir das aktuelle System sofort ab. Es ist Zeit für eine Revolution.»
Wie er sich das Ganze vorstellt? «Wir bekommen einen Anteil davon, was Spieler verdienen und wenn wir das System abschaffen, haben die Vereine mehr Geld für die Spieler. Dann können die Vereine wählen.» Er verstehe nicht, warum ein Transfer von einem Spieler des FC Twente nach Verona über die FIFA laufen müsse. «Können wir das in Europa nicht selbst? Sie wollen die Kontrolle und einen Teil des Geldes. Bei der FIFA dreht sich alles um Macht und Geld. Nicht um die Belange des Fussballs.» Der Weltverband spiele in der Zukunft keine Rolle mehr – «und das wissen sie».
«Ich habe vor niemandem Angst»
Dass seine offenen und scharfen Worte Konsequenzen haben könnten, fürchtet der Spielerberater nicht. «Ich habe vor niemandem Angst. Weder vor der FIFA, noch der UEFA oder einem Verein», sagt Raiola. «Das ist der Unterschied zwischen mir und vielen anderen Beratern. Ich streite mit Real Madrid, wenn es sein muss ist. Ich habe Florentino Pérez (Anm. d. Red.: Real-Präsident) einmal gesagt, dass er die Spieler benutzt wie Handschuhe. Wenn sie ihm nicht gefallen, nimmt er einfach ein anderes Paar. Das hat ihm nicht gefallen, aber ich habe es ihm trotzdem gesagt.»
Sein Kopf sei voll mit Informationen und die Gedanken über Veränderungen und Verbesserungen im Fussball würden nie aufhören. «Ich versuche etwas zu bewirken, wo ich kann. Aber man muss seine Schwerpunkte gut aussuchen.» Seine nächste Mission wird wohl grösser sein als jeder Transfer seiner Stars: «Für mich hat das Verändern der Fussballwelt jetzt oberste Priorität.»