«Euch Baslern reichts, wenn Fasnacht ist» Gross wird heute 70 – Zubi, Huggel, Heitz & Co. erinnern sich an die besten Anekdoten

Michael Schifferle

14.8.2024

Hoch soll er leben! Christian Gross wird im St. Jakob-Park gefeiert. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Hoch soll er leben! Christian Gross wird im St. Jakob-Park gefeiert. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
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Es drohte nach dem Job auf Schalke fast vergessen zu werden: Christian Gross war über Jahre der Meistermacher schlechthin. Generationen von Spielern prägte er. Heute wird er 70. Weggefährten erinnern sich.

Michael Schifferle

Keine Zeit? blue Sport fasst für dich zusammen

  • Christian Gross feiert heute Mittwoch seinen 70. Geburtstag. Seit seinem Ausscheiden als Verwaltungsrat des FCB 2022 bekleidet der erfolgreichste Trainer der Schweiz kein Amt mehr.
  • Heute lebt Gross in zweiter Ehe im Engadin. Den Fussball verfolgt er aber noch mit grosser Leidenschaft. Darüber reden will er aber nicht mehr öffentlich.
  • Das Reden übernehmen andere für den Jubilar: Gross' Wegbegleiter Benjamin Huggel, Marcel Koller, Georg Heitz, Pascal Zuberbühler, Mats Gren und Gusti Nussbaumer erzählen blue Sport die besten Anekdoten über Gross und gratulieren zum runden Geburtstag.

Das Video gehört längst zum Kulturgut des Schweizer Fussballs. Christian Gross übt in der Halbzeitpause des Rückspiels im Uefa-Intertoto-Cup-Final (ja, so was gabs damals noch!) gegen Aston Villa 2001 sanfte Kritik an seinem berühmten Spielmacher: «Hakan, nöd so egoistisch! Eimal chönted sie de Doppelpass spiele mitem George (Koumantarakis, d. Red).» Der Gemeinte, Hakan Yakin, siehts anders, nörgelt, trötzelt. Gross aber bleibt souverän. Sagt, wie er's gemeint hat. «Hakaaaan! Als Anregung, doch nicht als Kritik.» Der FCB verliert zwar 1:4 – startet danach aber durch und holt in den nächsten acht Jahren unter dem Zürcher Cheftrainer acht Titel.

«Hakan, kei Kritik!» – das legendäre Video von Christian Gross

«Hakan, kei Kritik!» – das legendäre Video von Christian Gross

14.08.2024

Mehr als 20 Jahre später ist das Bonmot von Gross noch in aller Munde. Nati-Trainer Murat Yakin, der Bruder des Kritisierten, nahm kürzlich gar Bezug darauf, als er eine Aussage von Granit Xhaka bewertete: «Ich habe das als Anregung empfunden, nicht als Kritik», sagte Yakin. Der Saal lachte.

Gusti Nussbaumer, der langjährige Teammanager des FC Basel, sagt: «Bis zuletzt fielen auf dem Trainingsplatz immer noch Formulierungen, die er den Spielern eingetrichtert hatte. Kompakt sein, fokussiert sein – wer unter Gross gespielt hat, vergisst so was nicht.»

Heute wird Christian Gross 70 Jahre alt. Er blickt auf schillernde Jahrzehnte zurück. Profi war er, unter anderem bei GC und in Bochum. Vor allem aber Trainer, 33 Jahre lang. 15 Titel gewann er, mit GC und Basel, in Saudi-Arabien und Ägypten. Doch Gross war mehr als Tore, Punkte, Titel. Er war stilprägend für Generationen. Weltstar Ivan Rakitic sagte mal: «Er hat mir gezeigt, was es heisst, Profi zu sein.»

Trainer Christian Gross, rechts, mit Ivan Rakitic gemeinsam im FCB-Training zu Beginn der Saison 2007/08.
Trainer Christian Gross, rechts, mit Ivan Rakitic gemeinsam im FCB-Training zu Beginn der Saison 2007/08.
Bild: Keystone

«Es geht auch ums Münz»

So denken viele. Auch Benjamin Huggel, der acht Jahre unter Gross spielte. «Er hat alle beim FCB im positiven Sinne gestresst. Immer hat er uns eingebläut: Das Resultat zählt. Die Titel zählen. Oder in seinen Worten: Herren, es geht auch ums Münz. Und nicht zuletzt um die Visitenkarte.» Die Visitenkarte! Ein Schlüsselwort von Gross. Regelmässig liess er für die Spieler Visitenkarten drucken, auf denen die Titel gelistet waren, die jeder schon gewonnen hatte. Bei einem jüngeren Spieler hiess es dann schon mal motivierend-provokativ: «Junger Mann, wollen Sie nicht, dass mal etwas darauf steht?»

Huggel, der heutige SRF-Experte, erinnert sich: «Als er 1999 nach Basel kam, hatte er mit GC schon Titel gewonnen, Champions League gespielt und mit Tottenham den Klassenerhalt geschafft. Uns warf er anfangs vor, zu genügsam zu sein. Nach dem Motto: Euch Baslern reichts, wenn Fasnacht ist und immer mal 40'000 Fans kommen. Aber was ist das wert, wenn wir nicht gewinnen?»

Gross konnte streng sein, unerbittlich. Sass ein Spieler zu später Stunde im Zürcher Kaufleuten, konnte es schon passieren, dass ihn der Kellner ans Telefon bat und der Spieler am anderen Ende der Leitung im scharfen Züritüütsch des Trainers hörte: «Sie gönd jetzt sofort hei!» Huggel sagt: «Er hat uns schon gut im Griff gehabt.» Und wenn der Materialwart im Trainingslager entgegen den Vorschriften mal ein Glacé ass, entging auch das dem Cheftrainer nicht. «Es wäre doch schade, Roger, wenn plötzlich Glacé-Flecken auf dem schönen T-Shirt wären.»

Gross war immer aber auch eines: sehr menschlich. «Er hat sich auch um die Spielerfrauen gekümmert. Sie mal eingeladen und immer auch zu Weihnachten beschenkt. Das war einmalig», sagt Huggel. Um seine krebskranke Schwester kümmerte er sich bis zu deren Tod hingebungsvoll. Und hatte ein Spieler private Probleme, stand seine Tür immer offen.

Gusti Nussbaumer, selbst ein FCB-Urgestein, sagt: «Christian war ein sehr fürsorglicher Trainer. Und er konnte auch mal Fünfe gerade sein lassen, wenn ein Spieler über die Stränge schlug.» Dass er zwischendurch Waisenhausbesuche seiner Spieler anordnete, passt da gut ins Bild.

Eine grosse Trainerkarriere
Christian Gross wurde 1954 in Zürich geboren. Als Trainer gewann er 15 Titel. Er war mit GC und Basel 6-mal Meister und 5-mal Cupsieger. Er war Champion und zweifacher Cupsieger mit Al-Ahli Dschidda in Saud-Arabien und holte mit Zamalek Kairo den Confederation Cup, das afrikanische Pendant zur Europa League. Elfmal war er Trainer des Jahres, in Saudi-Arabien, Ägypten und neunmal in der Schweiz. Wil coachte er von der 2. Liga in die Aufstiegsrunde zur damaligen NLA. Tottenham führte er zum Klassenerhalt. Stuttgart führte er 2010 von einem Abstiegsplatz nach Europa. Enttäuschungen erlebte er 2012 bei YB und 2021 auf Schalke. Beide Male wurde er nach kurzer Zeit entlassen. Bis 2022 im Verwaltungsrat des FC Basel.
Portrait von Christian Gross, Trainer des FC Wil, aufgenommen am 4. April 1993. (KEYSTONE/Str) === ===
Christian Gross 1993 beim FC Wil. KEYSTONE

Gross verlangt nicht nur Respekt, er lebt ihn auch vor. Und Konsequenz. Als die FCB-Führung 2004 eine grosse Sause zu seinem 50. Geburtstag ausrichtete, hatte er längst anders geplant. Ein Festzelt wurde gemietet, Shirts mit Gross’ Porträt wurden gedruckt, Präsident Werner Edelmann hielt eine Rede, und Mäzenin Gigi Oeri spendierte ein grosses Feuerwerk samt musikalischer Untermalung. Gross aber fehlte, weil er an seiner ursprünglichen Planung festhielt. Irgendwann sprang Huggel auf, zog sich ein Gross-Shirt über und parodierte den Trainer vor versammelter Belegschaft mit einer Dankesrede. Huggel lacht noch heute darüber. «An meiner riesigen Wertschätzung für ihn ändert das aber nichts im Geringsten.»

Wer ihn kennt, weiss: Gross hat auch Humor, sehr viel sogar. Huggel sagt: «Wenn wir mit ihm 5 gegen 2 spielten, haute er grossartige Sprüche raus. Und wenn ein Pass von ihm schlecht kam, sagte er bloss: Beni Huggel, ein Nationalspieler muss auch so einen Ball verarbeiten können! Man konnte lachen mit ihm.» Das sagt auch Georg Heitz: «Gross hat einen hervorragenden Humor.»

Heitz erlebte Gross aus zwei Perspektiven: als junger Journalist der Basler Zeitung. Und später als einer der Nachfolger in sportlich verantwortlicher Position. «Er war’s, der den Ehrgeiz nach Basel brachte. Und mit jedem Tag als Sportdirektor wuchs mein Respekt vor dem, was Gross geleistet hat.»

«Sind Sie noch im richtigen Beruf?»

Vergessen ist übrigens längst eine Episode, als nach einem 1:8 in Sion 2001 über einem Artikel von Heitz die leicht provokative Frage auftauchte: «Christian Gross, sind Sie noch im richtigen Beruf?» Dass Heitz den Titel nicht selber gesetzt hatte, sondern die Kollegen auf der Redaktion, besänftigte den Trainer zunächst nicht wirklich. «Aber danach war er sofort wieder professionell und souverän.» Und Gross sei weit mehr als ein grosser Motivator gewesen, der die Spieler emotional fesselte, betont Heitz: «Er war auch taktisch sehr stark. Immer auf der Höhe der Zeit.»

Sein unbändiger Ehrgeiz beeindruckte auch Spieler, die bereits vor Gross Erfolge gefeiert hatten. Wie Marcel Koller oder Mats Gren Anfang der 90er bei GC. Koller sagt: «Es gab bei Christian immer nur eines: den Sieg. Dafür hat er immer alles getan. Und er selber ging immer voran.» Legte der prominente Vorgänger Leo Beenhakker den Fokus nicht allzu fest aufs Kämpferische, kitzelt Gross alles raus, was im Team steckt – auch mit unpopulären Mitteln. Gren erzählt: «Er war von Anfang an sehr streng und fordernd. Vor den Heimspielen in der Champions League kasernierte er uns zwei Nächte. Zweimal im Hotel schlafen vor einem Heimspiel? Wir waren schon ein bisschen sauer. Aber unser Respekt war viel zu gross, als dass wir uns getraut hätten, irgendwas zu sagen.»

Pascal Zuberbühler ist Gross noch heute freundschaftlich verbunden. Erstmals kreuzten sich ihre Wege Anfang der 90er, als Zuberbühler junger Goalie des FC Frauenfeld war und Gross Spielertrainer des FC Wil. «Er war damals schon eine Riesenrespektsperson. Uns schlotterten immer ein wenig die Knie, wenn er bei einem Eckball nach vorne kam.» Später feierten sie Titel und Triumphe mit GC und Basel. Zuletzt begleitete Gross den heutigen Fifa-Mitarbeiter Zuberbühler an die Klub-WM nach Saudi-Arabien. «Schon auf dem Rollfeld wurde Christian belagert. Coach Gross! Coach Gross! Das habe ich noch nie erlebt. Und später wollten auch ägyptische Fans Fotos mit ihm machen. Seine Leistungen bei Al Ahli, wo er Meister und Cupsieger war, oder Zamalek, wo er den Confederation Cup gewann (das afrikanische Pendant zur Europa League, d. Red.) werden in der Schweiz viel zu wenig gewürdigt. Sich auf anderen Kontinenten, in anderen Kulturen durchsetzen – das ist eine Riesenleistung.»

Christian Gross und Pascal Zuberbühler geben den Journalisten vor dem Champions-League-Kracher gegen Liverpool 2002 Auskunft.
Christian Gross und Pascal Zuberbühler geben den Journalisten vor dem Champions-League-Kracher gegen Liverpool 2002 Auskunft.
Bild: Keystone

Der Verband sagte ihm bis heute nicht ab

Wo Gross war, war fast immer der Erfolg. Nur in Bern und auf Schalke erlebte er Enttäuschungen. Wobei Schalke als hoffnungsloser Fall galt, an dem sich jeder Trainer die Finger verbrannt hätte – neben Gross waren es in der Saison 2020/21 weitere drei.

In Bern nach nur zehn Monaten vom Hof gejagt worden zu sein – das ärgerte ihn allerdings. Und die frühe Entlassung war wohl auch der Grund, weshalb ihm 2014 Vladimir Petkovic als Nati-Trainer vorgezogen wurde. Gespräche führte der Verband auch mit Gross. Abgesagt wurde ihm übrigens bis heute nicht.

Zuberbühler war in Bern Gross’ Goalie-Trainer. Er sagt im Rückblick: «Uns hat der Support gefehlt. Die Leute wurden viel zu schnell nervös. Christian wollte den Verein step by step nach vorne bringen. Aber man gab ihm die Zeit nicht. Ich bin sicher, dass das eine Erfolgsstory geworden wäre, wenn ein bisschen mehr Geduld da gewesen wäre.»

Heute lebt Gross in zweiter Ehe im Engadin. Ein Amt hat er nach seinem Ausscheiden als Verwaltungsrat des FC Basel 2022 nicht mehr. Den Fussball verfolgt er aber noch mit grosser Leidenschaft. Darüber reden will er aber nicht mehr öffentlich. Happy Birthday, Christian Gross!

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