Nach dem Sieg im Pokal gegen Bundesliga-Leader Gladbach und dem spektakulären 3:2 in der Champions League gegen Inter schien BVB-Coach Lucien Favre der Kritik in Deutschland entflohen zu sein. Doch weit gefehlt.
Eine 0:4-Niederlage gegen Bayern München – und schon ist die neu entfachte Euphorie bei Borussia Dortmund verflogen. So zumindest sehen es einige deutsche Journalisten, die es auch in der Länderspielpause nicht lassen können, Lucien Favre eine baldige Entlassung zu prognostizieren.
«Favres Stotter-Jahr», titelt etwa die «Bild»-Zeitung und zählt die Dinge auf, die beim BVB seit Favres Ankunft im Sommer 2018 schiefgelaufen sind. «2019 sollte beim BVB eigentlich ein Titel gefeiert werden. Stattdessen aber wurde in der Rückserie der Vorsaison die sicher geglaubte Meisterschaft noch verspielt. Dazu in Pokal und Champions League das frühe Aus im Achtelfinale.» In der aktuellen Spielzeit liegen die Dortmunder nach elf Spielen sechs Punkte hinter Spitzenreiter Gladbach – «die Schale ist erneut in weiter Ferne», schreibt das Boulevard-Blatt und konstatiert: «Ein Jahr (fast) zum Vergessen».
Die «Bild» zählt auf: Im Vergleich zum letzten Jahr hat der BVB in dieser Saison weniger Punkte geholt und weniger Tore geschossen – trotz Transferoffensive. Und: «Mit dem Hummels-Transfer sollte die Defensive stabilisiert werden. Doch die bittere Erkenntnis: Ein Hummels reicht dafür nicht aus. Weil Akanji reihenweise patzt.»
Magath zieht Vergleich mit Kovac
Auch im Fussball-Talk «Doppelpass» auf «Sport 1» wird Lucien Favre zum Thema. Trainer-Ikone Felix Magath sagt: «Bei den Bayern war deutlich zu sehen, dass die Spieler nicht mehr mit dem Trainer arbeiten wollen. Ähnliches sehe ich jetzt auch bei Dortmund.» Die Mannschaft habe viel mehr Möglichkeiten, was sie in der letzten Saison gezeigt hätte, als «wunderbar attraktiv nach vorne gespielt» wurde. «Und die Spieler sind ja jetzt nicht schlechter geworden, und der Trainer ändert sich natürlich auch nicht. Aber es passt nicht, aus welchen Gründen auch immer.»
Für «Sport 1» ist klar, dass Favre «zunehmend in die Kritik gerät». Auch weil BVB-Sportdirektor Michael Zorc nach dem Debakel in München über eine «Nicht-Leistung» schimpfte und sagte, dass das «überhaupt kein Fussball» war, den Favres Mannschaft gezeigt habe. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke kündigte ausserdem eine Sitzung mit der sportlichen Leitung an: «Wir werden den Ist-Zustand genau analysieren.»
Rückendeckung von Präsident Rauball
Muss Favre also tatsächlich seine Entlassung befürchten? Trotz Vertrag bis 2021 bringt auch der «Kicker» bereits einen möglichen Nachfolger des Schweizers ins Spiel: Daniel Farke, der mit Norwich in der Premier League aufgestiegen ist, da aber nun am Tabellenende steht.
Der «Kicker» hat auch BVB-Präsident Reinhard Rauball zur aktuellen Situation der Dortmunder befragt. Rauball kritisiert zwar die Stabilität und die Auftritte als zu inkonstant, spricht sich aber auch für Lucien Favre aus. «In der Mannschaft steckt mehr, als das Negativ-Erlebnis in München vermuten lässt», so der Präsident. «Gegen Augsburg, Leverkusen, zweimal gegen Gladbach oder gegen Barcelona hat die Mannschaft schon gezeigt, dass sie Qualität hat, teilweise sogar unerwartet hohe Qualität.»
In diesen Spielen habe Favre nachgewiesen, dass die Leichtigkeit des Spiels umgesetzt werden kann, meint Rauball: «Dass die von mir angemahnten Dinge in diesen erwähnten Spielen zu sehen waren, muss deutlich positiv bewertet werden.»
Am Freitagabend (20:30 Uhr live auf Teleclub) empfängt der BVB Schlusslicht Paderborn – und kann mit einem Sieg zeigen, dass auch die Lage in der Liga gar nicht so dramatisch ist, wie einige Journalisten behaupten. Gewinnen die Dortmunder, machen sie – zumindest bis Samstag – einen Sprung auf Platz zwei und überholen auch die Bayern.